Auschwitz-Überlebender: "Bei Befreiung wog ich 37 Kilo"

Walter Fantl-Brumlik
Walter Fantl-Brumlik(c) Georg Hochmuth (APA)
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"Das Überleben war reine Glückssache", erinnert sich Walter Fantl-Brumlik. Der 90-Jährige verlor seine gesamte Familie im Konzentrationslager - nur ein Gürtel ist ihm geblieben.

Walter Fantl-Brumlik zählt zu den wenigen Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz. "Das Überleben in Auschwitz war reine Glückssache", berichtet der 90-Jährige anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung des Lagers, in dem über 1,1 Millionen Menschen ermordet wurden. Auch Fantl-Brumlik hat seine Familie im KZ verloren. Sein Vater wurde bei der Ankunft vom SS-Arzt Joseph Mengele in die Gaskammer geschickt. "Auf der Rampe wurden wir aussortiert, mein Vater wurde nach rechts und ich nach links geschickt, aber ich hatte keine Ahnung was das bedeutet, deshalb hab ich auch gefragt, ob ich nicht mit meinem Vater gehen könnte." Auf die Frage, was mit seinem Vater passiert sei, habe später ein anderer Häftling mit dem Finger nach oben gezeigt und gemeint, der sei im Himmel. Fantls Mutter wurde ebenfalls in der Gaskammer in Auschwitz getötet, seine Schwester starb im KZ Bergen-Belsen an Typhus.

Er selbst wurde ins Nebenlager Gleiwitz I gebracht, wo er für die deutsche Reichsbahn arbeiten musste. "Die Arbeit war sehr schwer, der Kommandant war ein richtiger Sadist", erzählt er. Als gelernter Schlosser habe er aber im Reichsbahnwerk wenigstens nicht im Freien arbeiten müssen.

Eintätowierte Häftlingsnummer
Eintätowierte Häftlingsnummer (c) Georg Hochmuth (APA)

Jeden Tag mussten die Häftlinge vom Lager zur Reichsbahn marschieren, "dabei gab es jeden Tag Tote zu beklagen", erzählt er. "Die SS-Männer, die uns begleitet haben, haben oft so Spielchen gemacht, oft haben sie einem Häftling die Kappe vom Kopf gerissen und über den Sperrbereich geworfen, das war wie ein Todesurteil." Denn jeder musste eine Häftlingskappe haben, um ins Lager zurückzukehren. "Wenn man die Kappe geholt hat, haben sie ihn abgeknallt - auf der Flucht erschossen." Die Toten wurden dann ausgestellt, und die Häftlinge mussten an ihnen vorbeigehen. Wie man das alles aushält? "Man hat dort keine Gefühle gehabt, das war wie ein Fieber, völlig abgestumpft wurde man", meint Fantl.

"Ich konnte heimlich essen"

Am Samstag und Sonntag mussten die Häftlinge zur Schikane Steine vom nahegelegenen Steinbruch ins Lager und wieder zurücktragen. "Der Mensch hält viel aus, aber es war alles reine Glückssache das Überleben", wiederholt Fantl mehrmals im Gespräch mit der APA. Ihn selbst gerettet habe, dass ein deutscher Meister, der bei der Reichsbahn als Oberaufseher arbeitete, ihm jede Woche zwei oder dreimal Essen gebracht habe. "Er hat das Essen mit dem Schweißapparat aufgewärmt und in dem Bremshäusel auf einem Waggon konnte ich das heimlich essen, solche Menschen hat es auch gegeben."

Den Tag der Befreiung Ende Jänner 1945 hat der damals 20-Jährige im Außenlager Blechhammer erlebt. Die russischen Truppen befreiten und verpflegten die wenigen völlig ausgehungerten Überlebenden. Glücklicherweise hielt sie ein älterer Freund von Fantl davon ab, zu viel zu essen. "Der hat uns das Essen eingeteilt, damit wir nicht zu viel essen." Denn viele starben noch nach der Befreiung, weil ihre Körper das Essen nach jahrelangem Hungern nicht mehr vertrugen. Auch Fantl selbst hatte während seiner Zeit im Lager massig Gewicht verloren: "Bei der Befreiung wog ich nur noch 37 Kilo."

Gürtel aus dem Vernichtungslager
Gürtel aus dem Vernichtungslager (c) Georg Hochmuth (APA)

Er deutet auf einen Gürtel: "Der Gürtel ist das einzige, das ich von Wien nach Auschwitz mitgenommen habe und wieder zurück", so der Überlebende. Er habe ihn in dem halben Jahr in Auschwitz vier Mal händisch enger machen müssen.

Rückkehr nach Auschwitz, "hat mir meine Frau verboten"

Nach der Befreiunjg fuhr Fantl zunächst nach Theresienstadt, wo er seine Mutter und Schwester 1944 das letzte Mal gesehen hatte, und erfuhr erst dann von ihrem Tod. Die Rückkehr nach Wien war schwierig, erzählt er. "Es war sehr schwierig, so ganz alleine dazustehen, nur mit einem Sakko, einer Hose und sonst nix." Das Haus seiner Eltern in Bischofstetten, wo er bis zum Anschluss 1938 eine unbeschwerte Kindheit verbracht hatte, bekam er restituiert, verkaufte es aber. "Es war mir nicht möglich, dort im Ort weiter zu wohnen, wir waren die einzigen Juden dort." Obwohl er sich nicht erinnern konnte, dass er in dem kleinen Ort angestänkert worden wäre.

Nach Auschwitz ist der fast 91-Jährige, der immer noch die tätowierte Häftlingsnummer B-11521 am Unterarm hat, seither nie mehr gefahren. "Das hat mir meine Frau verboten, und es war recht so", erzählt er. Es hat eine Zeit lang gedauert, bis er über das erlebte Grauen sprechen konnte, in den vergangenen Jahrzehnten führte er aber als Zeitzeuge zahlreiche Gespräche mit Schülern und Historikern. Das sei wichtig: "Es gibt ja auch nicht mehr viele Zeitzeugen, die davon erzählen können."

Befreiung von Auschwitz

Am 27. Jänner 1945 erreichten die ersten sowjetischen Soldaten Auschwitz. Nur rund 7000 Häftlinge erlebten die Befreiung des Konzentrationslager, innerhalb von viereinhalb Jahren waren dort mehr als 1,1 Millionen Menschen ermordet worden.

Der Komplex Auschwitz-Birkenau war das größte nationalsozialistische Vernichtungslager, zu Kriegsende umfasste er über 40 Quadratkilometer und 48 Nebenlager. Im Juni 1940 war auf Befehl von SS-Chef Heinrich Himmler das spätere Stammlager auf dem Gebiet einer ehemaligen Artilleriekaserne der österreichisch-ungarischen Monarchie in der Stadt Oswiecim im besetzten Polen errichtet worden.

Es war ursprünglich als Verbannungsort für Polen gedacht, die sich der deutschen Besatzungsmacht widersetzten. Der erste Transport mit 728 politischen Häftlingen kam am 14. Juni 1940 in Auschwitz an. Im dritten Kriegsjahr bestimmten die Nazis Auschwitz zum Ort des Völkermords an den europäischen Juden. Im März 1941 wurde entschieden, im benachbarten Dorf Birkenau Auschwitz II zu bauen. Im September 1941 wurde erstmals das Gas Zyklon B eingesetzt. Dabei erstickten 600 sowjetische Kriegsgefangene qualvoll.

Die genaue Zahl der Ermordeten ist nicht feststellbar. Die Mehrheit wurde sofort nach der Ankunft in die Gaskammern getrieben, ohne dass sie namentlich erfasst wurden. Aus Österreich wurden schätzungsweise 11.000 Menschen in Auschwitz ermordet.

Am 2. Juni 1947 wurde auf Beschluss des polnischen Parlaments in dem ehemaligen Lager die Gedenkstätte als Mahnmal für künftige Generationen errichtet.

(Das Gespräch führte Judith Egger/APA)

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