Auschwitz-Gedenken: "Juden werden wieder zum Ziel"

Gedenken an Auschwitz
Gedenken an Auschwitz(c) Reuters
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Am 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers gedenken rund 300 Überlebende und zahlreiche Staats- und Regierungschef der Opfer. Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses warnt vor neuem Antisemitismus.

Mit Gedenkfeiern in Auschwitz und an anderen Orten auf der Welt ist am Dienstag der 70. Jahrestag der Befreiung des früheren NS-Konzentrations- und Vernichtungslagers durch sowjetische Soldaten begangen worden. In der Früh legten Überlebende vor der sogenannten Todeswand im Stammlager, an der Tausende Menschen erschossen worden waren, Blumen nieder und entzündeten Kerzen.

Bei der zentralen Gedenkfeier am Nachmittag rief der polnische Präsident Bronislaw Komorowski zu einem entschlossenen Vorgehen gegen Rassismus und Antisemitismus auf: "Erinnern wir uns daran, wozu der Bruch internationalen Rechts auf Selbstbestimmung von Nationen führt." Von Auschwitz aus müsse jeglicher Hass verdammt werden.

Komorowski nannte Auschwitz eine "Hölle von Hass und Gewalt". Gegen jede Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen müsse entschlossen Widerstand geleistet werden. "Die deutschen Nationalsozialisten haben meine polnische Heimat zum ewigen jüdischen Friedhof gemacht," sagte er vor mehr als 300 Überlebenden und zahlreichen Staatsgästen, darunter Bundespräsident Heinz Fischer und Kanzler Werner Faymann.

"Juden werden in Europa wieder zum Ziel, weil sie Juden sind"

"Eine Minute in Auschwitz war wie ein ganzer Tag, ein Tag wie ein Jahr, ein Monat wie eine Ewigkeit", sagte der Überlebende Roman Kent. "Seid niemals Mitläufer", mahnte er. "Wir Überlebenden wollen nicht, dass unsere Vergangenheit die Zukunft unserer Kinder ist."

Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald Lauder, nahm in seiner Rede Bezug auf die jüngsten Anschläge in Paris: "Juden werden in Europa wieder zum Ziel, weil sie Juden sind. Es wirkt eher wie 1933 als 2015." Die jüngste Welle von Antisemitismus habe ihren Ursprung im Nahen Osten, sei aber in Europa auf fruchtbaren Boden gefallen.

Gauck: "Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz"

Der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck hatte vor Beginn der Gedenkveranstaltung davor gewarnt, einen Schlussstrich unter das Thema Holocaust zu setzen. "Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz", sagte er in einer Gedenkstunde des Deutschen Bundestages. „Die Erinnerung an den Holocaust bleibt eine Sache aller Bürger, die in Deutschland leben. Er gehört zur Geschichte dieses Landes", fügte er hinzu. Aus dem Erinnern ergebe sich ein Auftrag: „Er sagt uns: Schützt und bewahrt die Mitmenschlichkeit. Schützt und bewahrt die Rechte eines jeden Menschen."

Gauck reagierte damit auch auf eine aktuelle Umfrage, wonach sich die Mehrheit der Deutschen nicht mehr mit dem Holocaust beschäftigen will. 81 Prozent möchten demnach die Geschichte der Judenverfolgung „hinter sich lassen", 58 Prozent einen Schlussstrich ziehen.

Orban bedauert „beschämende Rolle“ der Ungarn

Ungarns Regierungschef Viktor Orban erkannte indes die Komplizenschaft seines Landes beim Holocaust an. „Wir waren ohne Liebe und unentschlossen, als wir hätten helfen sollen", sagte Orban in Budapest. „Und sehr viele Ungarn haben sich zum schlechten Handeln entschlossen statt zum guten, zu beschämenden Aktionen statt zu ehrenwerten." Rund 600.000 ungarische Juden wurden während des Holocausts getötet. Die meisten von ihnen wurden von den Nazis mithilfe der ungarischen Polizei nach Auschwitz deportiert.

Nicht unter den Staatsgästen in Auschwitz war Russlands Präsident Wladimir Putin. Dass der Kremlchef als Vertreter der Befreier nicht explizit als Ehrengast eingeladen worden war, hatte zuletzt heftige Reaktionen ausgelöst.Die Gedenkstätte Auschwitz wies darauf hin, dass die Gedenkfeier nicht von der Warschauer Regierung organisiert werde. Es sei jedem frei gestellt sei, zu kommen. Offizielle Einladungen habe Polen an niemanden verschickt.

Am Dienstag warnte nun Putin bei einer eigenen Zeremonie in Moskau vor Geschichtsklitterung. "Jegliche Versuche, die Ereignisse zu vertuschen und zu verzerren sowie die Geschichte umzuschreiben, sind inakzeptabel und unmoralisch", sagte er in einem jüdischen Museum, wo er eine Gedenkfeier leitete.

Befreiung von Auschwitz

Am 27. Jänner 1945 erreichten die ersten sowjetischen Soldaten Auschwitz. Nur rund 7000 Häftlinge erlebten die Befreiung des Konzentrationslager, innerhalb von viereinhalb Jahren waren dort mehr als 1,1 Millionen Menschen ermordet worden.

Am 2. Juni 1947 wurde auf Beschluss des polnischen Parlaments in dem ehemaligen Lager die Gedenkstätte als Mahnmal für künftige Generationen errichtet.

(Red./APA/AFP/dpa)

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