Untergang der Gustloff: Nur "Für Stalin" traf nicht

Wilhelm Gustloff: Die größte Katastrophe in der Geschichte der Seefahrt
Wilhelm Gustloff: Die größte Katastrophe in der Geschichte der Seefahrt(c) imago stock&people (imago stock&people)
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Vor 70 Jahren versenkte ein sowjetisches U-Boot das deutsche Schiff "Wilhelm Gustloff". Etwa 9000 Menschen starben, die Mehrzahl davon Frauen und Kinder.

Eigentlich hätte sie "Adolf Hitler" heißen sollen. Doch der "Führer" entschied, dass das Vorzeigeschiff der NS-Freizeitorganisation "Kraft durch Freude" den Namen des 1936 von einem jüdischen Studenten erschossenen Schweizer Landesgruppenleiter der NSDAP erhalten sollte: "Wilhelm Gustloff". Am 5. Mai 1937 wurde der Riesendampfer von Gustloffs Witwe getauft, unter den Augen Hitlers und groß zelebriert von der NS-Propaganda. Weniger als acht Jahre später sollte das einst größte Kreuzfahrtschiff der Welt zum Schauplatz der größten Schiffs-Katastrophe der Geschichte werden.

Im Jänner 1945 liegt die mehr als 200 Meter lange "Gustloff" als Unterkunft für die 2. U-Boot-Lehrdivision in Gotenhafen an der Danziger Bucht. Der einst strahlend weiße Anstrich ist einem tarnenden Grau gewichen, die Sonnenliegen an Deck Flakgeschützen. Ostpreußen ist zu diesem Zeitpunkt von den sowjetischen Truppen eingekesselt, zehntausende Deutsche fliehen an die Ostsee. Nachdem das Regime eine Evakuierung zunächst verboten hat, befiehlt Großadmiral Karl Dönitz am 21. Jänner das "Unternehmen Hannibal": Rückzug nach Westen, nicht vom Militär gebrauchter Platz auf den Schiffen wird Flüchtlingen zur Verfügung gestellt.

Die "Gustloff" wird bis auf den letzten Winkel mit Flüchtlingen vollgestopft. Irgendwann wird die Zählung aufgegeben, mehr als 10.000 Menschen befinden sich schließlich an Bord - neben den 918 Soldaten der 2. U-Boot-Lehrdivision vor allem Frauen und Kinder. Auf den Gängen, im früheren Schwimmbad und in Tanz- und Speisesaal kampieren die Flüchtlinge auf dem Boden. Nach der lebensgefährlichen Flucht bei Eiseskälte fühlen sie sich nun in Sicherheit.

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Am Mittag des 30. Jänner legt die "Gustloff" ab, ein Torpedoboot als Begleitschutz an ihrer Seite.

Gegen 18 Uhr erreicht sie ein Funkspruch: Ein Verband von Minensuchbooten fahre ihr genau entgegen. Die Kapitäne (die Gustloff hat auf ihrer Rettungsmission gleich vier) befehlen, die Positionslichter einzuschalten, um eine Kollision zu verhindern. Der Funkspruch ist bis heute ein Rätsel, der Minensuchverband kam nicht.

Als die Lichter auf der "Gustloff" aufflammen, taucht nicht weit davon gerade das sowjetische U-Boot "S-13" auf. Kommandant Alexander Marinesko befiehlt sofort, die Verfolgung des riesigen deutschen Schiffes aufzunehmen. Er lässt vier Torpedos klarmachen. Sie sind beschriftet mit „Für das Mutterland“, „Für das sowjetische Volk“, „Für Leningrad“ und „Für Stalin“.

"Teppich von toten Leibern"

Gegen 21.16 Uhr schlagen drei Torpedos auf der Gustloff ein ("Für Stalin" ist im Rohr steckengeblieben). Sofort bekommt das Schiff Schlagseite. Menschen versuchen in Panik, an Deck zu kommen. Wer hinfällt, hat keine Chance. "Die Masse ging einfach über diesen Teppich von toten Leibern und noch lebenden Menschen hinweg", berichtet später der Zahlmeisteraspirant Heinz Schön dem "NDR".

Die "Gustloff" sinkt in nicht einmal einer Stunde. Nur wenige Rettungsboote werden ordentlich zu Wasser gelassen, weil die Halterungen vereist sind und die Besatzung teils unter Deck feststeckt. Diejenigen, die von Bord springen, sterben im eiskalten Wasser meist innerhalb von Minuten. Kleinen Kindern drücken die viel zu großen Schwimmwesten die Köpfe unter Wasser. Sie sei noch Jahrzehnte später beim Kinderlied "Alle meine Entchen" in Tränen ausgebrochen, berichtet eine Augenzeugin später - wegen der Textzeile "Köpfchen in das Wasser, Schwänzchen in die Höh".

Das Begleitboot und weitere deutsche Schiffe retten 1239 Menschen, darunter auch die Kapitäne der "Gustloff". Mehr als 9000 Menschen sterben - sechs Mal so viele wie beim Untergang der "Titanic". Dennoch ist der Untergang der "Gustloff" nicht halb so bekannt wie jener des britischen Luxusdampfers. Die Nazi-Propaganda verschwieg die Unglücksnachricht, und wer nach Kriegsende über die deutschen Opfer sprach, geriet schnell in Verdacht, die Verbrechen des NS-Regimes relativieren zu wollen. Ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit kam der Fall vor allem durch Günter Grass' Novelle "Im Krebsgang" von 2002.

Dass das Thema auch Jahrzehnte danach noch heikel ist, zeigt ein Streit aus dem Jahr 2002: Nach politischen Protesten aus Polen musste die aus dem Wrack geborgene Glocke der "Gustloff" vorzeitig von einer Vertriebenen-Ausstellung in Berlin nach Polen zurückgebracht werden. "Wenn die Deutschen wollen, können sie sie in einem polnischen Museum ansehen", hieß es damals aus der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit.

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