Drei Männer und die Ruinen Europas

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In Jalta auf der Halbinsel Krim verhandelten die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs vor 70 Jahren eine europäische Staatenordnung, die zum Kalten Krieg führte. In einem luxuriösen Palast wurde über die Ruinenlandschaft Europas beraten.

Die Verbundenheit der Russen mit der Krim ist keine neuere Erfindung, sondern reicht tief in die Zarenzeit zurück, bis zu Katharina der Großen, die die Krim 1783 zu einem Teil des russischen Reiches gemacht hat. Von da an hatte sie den geradezu mythischen Ruf als Kleinod des Imperiums, bot sie doch alles, woran es im rauen Russland sonst mangelte: eisfreie Winter, südliche Wärme, friedvolle Ruhe. Der Lieblingsferienort der russischen Aristokratie, der Urlaubsort der Zarenfamilie, wurde nach der Machtergreifung der Bolschewisten zur Riviera der Revolutionäre mit Kuranstalten, auf Wunsch Lenins sogar mit einem wohl weltweit einzigartigen Bauernsanatorium, denn: „Der Menschen schnelle Reparatur geschieht in der riesigen Schmiede der Krim.“ (Wladimir Majakowski, Dichter der Revolution)

Der Nichtschwimmer Stalin mochte die Krim nicht, er hielt nichts davon, mit Schwimmreifen im Wasser zu plantschen (wie es später sein Nachfolger Chruschtschow machte), sondern wanderte gern im Schatten dunkler Wälder, er liebte die Sonne nicht, berichtet seine Tochter in ihren Memoiren. Doch im Winter ist die Lufttemperatur an der Südküste der Krim angenehm, fast mediterran, und Stalin schlug, als Ende November 1944 der Vorschlag zu einer großen Konferenz der alliierten Kriegsteilnehmer auftauchte, Jalta auf der Krim vor. Der gesundheitlich angeschlagene amerikanische Präsident Franklin Delano Roosevelt hätte lieber einen Ort in der Mittelmeerregion gehabt, die lange Reise war eine Zumutung für ihn, aber auch Stalin argumentierte mit seinem schlechten Gesundheitszustand und so blieb es bei Jalta. Die geschichtsträchtige Konferenz der „Großen Drei“ am 4. Februar 1945 – der Dritte im Bund war der englische Premierminister Winston Churchill – begann, zu diesem Zeitpunkt stand die russische Armee bereits 65 Kilometer vor Berlin. Es war die Stunde für die Ordnung der Nachkriegszeit.

Luxusoase. Der Liwadija-Palast in Jalta, den die Sowjets im Februar 1945 als Konferenzort auswählten und präparierten, liegt in einem fast 60 Hektar großen wunderschönen Park oberhalb des Schwarzen Meeres mit exotischen Grünpflanzen und ist 1910 unter Zar Nikolaus II. als Residenz für die Sommer- und Herbstzeit erbaut worden. Dieser „Weiße Palast“ mit seinen 58 Gemächern, in dem die Oberhäupter der drei Siegermächte berieten, ist eine Stilmixtur von so gut wie allen denkbaren europäischen Architekturelementen, konzipiert als Renaissancebau, aber geschmückt mit byzantinischen, arabischen, neogotischen Elementen, mittelalterliche Kreaturen gaffen den Besucher an, sie sollen die bösen Geister vertreiben, ein schmiedeeisernes Gittertor stammt aus Verona, orientalische Säulen aus der Türkei. Unweit des Palastes liegt das Haus, in dem die russische Literaturikone Anton Tschechow fünf Jahre lebte, er schrieb dort seinen „Kirschgarten“. Also: russische Muttererde. Stalin hielt diesen Nobelkurort, eine Luxusoase, für den geeigneten Konferenzrahmen, um über die kriegszerstörte Ruinenlandschaft Europas zu sprechen. Vorübergehend hatte hier der Stab des deutschen Wehrmachtsgenerals Erich von Manstein logiert, seit rund einem Jahr war die Krim aber wieder in sowjetischer Hand, Hitlers Eroberungspläne eines „deutschen Gibraltar am Schwarzen Meer“ waren bereits ausgeträumt.

Im Erdgeschoß des Palastes befand sich das Empfangs- und Arbeitszimmer des amerikanischen Präsidenten, nur er wohnte direkt am Ort der Besprechungen, ein Entgegenkommen, Roosevelt war von den Hüften abwärts gelähmt. Churchill wohnte 17 Kilometer außerhalb von Jalta, im Schwalbennest bei Alupka, einem Märchenschloss, das im 19. Jahrhundert als Liebesnest für den Grafen Woronzow gedient hat. Stalin selbst hatte sich im Schloss Jussupow, in dem einst Rasputin umgebracht worden war, einquartiert und begann die Konferenz mit einer wohlkalkulierten Flegelei: Er holte die illustren Gäste nicht persönlich vom Flughafen ab, sondern entsandte seinen Außenminister, Wjatscheslaw Molotow. Die Geste bedarf keiner großen Erklärungen: Konzessionen an die Partner waren zu diesem Zeitpunkt bereits entbehrlich. Wenn sich jemand zu bewegen hatte, waren es die Briten und Amerikaner.

Stalin nutzte die Vorteile des Heimspiels schamlos. Die Zimmer der Gäste waren verwanzt, der Geheimdienst NKWD hatte während der ganzen Konferenzwoche im Hintergrund die Zügel in der Hand. Die Getränkevorräte waren gefüllt, man zeigte den Charme und Luxus des Proletarierparadieses. Stalin war überzeugt davon, dass er den Ausgang der Verhandlungen über Europas Nachkriegsordnung so gut wie diktieren konnte, es erschien ihm zweifelhaft, ob es auf der anderen Seite ähnlich präzise Vorstellungen über die Verteilung der Kriegsbeute gab wie auf der sowjetischen.

Uncle Joe. In der Tat konnte von einer geschlossenen Achse Churchill/Roosevelt nicht die Rede sein: Roosevelts Interesse lag in der Gründung der UNO und in der Niederschlagung Japans, Churchill lag das Schicksal Osteuropas am Herzen. Roosevelt zeigte eine naive Vertrauensseligkeit gegenüber der Ehrlichkeit des sowjetischen Führers: Verhängnisvollerweise projizierte er seine eigene Noblesse auf sein Gegenüber Uncle Joe, einen skrupellosen Machttaktiker. „Nur ein solides Einvernehmen zwischen den Demokratien hätte Stalins Appetit unter Kontrolle gehalten“, resümierte die amerikanische Seite später. Der weit klügere und vorausschauende Churchill befürchtete eine „schreckliche Art von Schisma“ zwischen den westlichen Demokratien und der Sowjetunion, er wog seine Konzessionen sehr genau gegen die Gefahr einer drohenden Konfrontation mit dem Kriegsalliierten ab und musste sich den Vorwurf gefallen lassen, wie die Appeasement-Politiker des Jahres 1938 zu agieren.

Die „Erklärung über das befreite Europa“, das Schlussdokument der Jalta-Konferenz, verkam zur Makulatur. Deutschland wollte man in vier Besatzungszonen teilen mit gemeinsamer alliierter Verwaltung. Stattdessen ging in der Folge der Strich, der Europa in zwei Blöcke teilte, quer durch Deutschland. Den Kriegseintritt in Fernost ließ sich Stalin abkaufen, den hatte er zur Sicherung des Beuteanteils ohnehin geplant. Für die von den Nationalsozialisten besetzten Länder Polen, Bulgarien, Ungarn, Rumänien und Tschechoslowakei wurden demokratische Reformen und freie Wahlen vorgesehen. Doch stattdessen wurden Millionen Menschen in diesen formell eigenständigen Staaten Teil des russischen Imperiums, ihre Autonomie endete an der Parteilinie der KPdSU. Das Schisma, das Churchill für Europa befürchtet hatte, war als Eiserner Vorhang Realität geworden, als Kalter Krieg sollte es für Jahrzehnte das Schicksal Europas bestimmen.

Fakten

Konferenz von Jalta

Zeit: 4. bis 11. Februar

Ort: Liwadija-Palast, Krim

Teilnehmer: Winston Churchill, F. D. Roosevelt, Stalin (für England, USA und Sowjetunion)

Gesprächsthemen: Gründung der Vereinten Nationen

Kriegseintritt der Sowjetunion in Fernost

Vierzonenteilung Deutschlands unter alliierter Verwaltung

Demokratische Reformen und freie Wahlen in den befreiten Ländern

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2015)

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