Die Stadt zerbombt, das Gedenken missbraucht

(c) imago stock&people (imago stock&people)
  • Drucken

Im Bombenkrieg sollte dem NS-Regime eine "deutsche Lektion" erteilt werden. Der alliierte Angriff auf Dresden gilt als "Inbegriff des Massakers". Bis zu 25.000 Menschen sterben bei dem Bombardement.

Das einzige Lebewesen, das sich zwischen den Trümmern bewegte, war ein Lama. Als Wehrmachtsgeneral Erich Hampe am Morgen des 14. Februar 1945 in Dresden eintraf, waren die Überlebenden des Infernos der Nacht bereits aus der Stadt geflüchtet, während noch einige Tiere des zerstörten Zoos durch die Straßen rannten. Unter dem Schutt und der Asche lagen Keller voller Leichen. Bis heute gilt der alliierte Angriff auf Dresden als Inbegriff der Brutalität des Bombenkriegs, bis heute wird das Gedenken an die Opfer aber auch zur Verharmlosung der Verbrechen des Nationalsozialismus missbraucht.

„Die Samthandschuhe müssen ausgezogen werden.“ Im Mai 1940, Deutschland hatte gerade den Einmarsch in Westeuropa begonnen, beschlossen die Briten, den Luftangriff auf das NS-Regime auszuweiten. Die Nähe von Wohngebieten sollte nun kein Hindernis mehr für den Angriff auf militärische und wirtschaftliche Ziele darstellen. Die deutsche Luftwaffe ihrerseits begann im Herbst, systematisch britische Städte und Industriezentren zu bombardieren – „The Blitz“ nannten die Briten die Angriffe. Nun sollte „den Deutschen eine deutsche Lektion erteilt werden“, wie der Historiker Richard Overy in „Der Bombenkrieg“ schreibt. Der Brite zeigt in der ersten Gesamtdarstellung des Luftkriegs in Europa, dass die Tötung von Zivilisten dabei nicht nur in Kauf genommen, sondern beabsichtigt wurde. Winston Churchills Kriegskabinett wollte die deutsche Wirtschaft nicht nur durch die Zerstörung von Infrastruktur, sondern auch durch die Tötung von Arbeitern schwächen. Außerdem sollten die Bomben die Moral der deutschen Bevölkerung brechen.

Doch die Briten hatten die „deutsche Lektion“, die sie nun erteilen wollten, nicht richtig verstanden. Weder hatte sich nämlich die eigene Bevölkerung durch „The Blitz“ demoralisieren lassen, noch war die Wirtschaft entscheidend geschwächt worden. Das wiederholte sich nun auch in Deutschland. Ungeachtet der Bombenangriffe stieg dort die Produktion von Rüstungsgütern zwischen 1941 und 1944 um das Dreifache. Zu Aufständen gegen das eigene Regime führten die Bombardements schon allein deshalb nicht, weil sie die Abhängigkeit vom Staat noch verstärkten. Nur dieser konnte Schutz vor und Hilfe nach den Angriffen gewähren.

Größer als die wirtschaftlichen und die politischen Auswirkungen waren schließlich die militärischen Folgen des Luftkriegs. Er band wesentliche Ressourcen der Deutschen im „Reich“, die auf dem Gefechtsfeld fehlten.

Drei Viertel der auf Deutschland abgeworfenen Bomben fielen zwischen September 1944 und Mai 1945. In Hamburg und Berlin wurden Tausende getötet. Dresden blieb zunächst weitgehend verschont. Im Jänner 1945 beschlossen Briten und Amerikaner jedoch, sich auf Ziele nahe der russischen Front zu konzentrieren. Auch die Sowjetunion drängte auf der Jalta-Konferenz Anfang Februar die Verbündeten, die Verlegung deutscher Truppen von West nach Ost zu behindern. „Von nun an war der Angriff auf Dresden nur noch eine Frage des Wetters und des geeigneten Zeitpunkts“, schreibt der Historiker Frederick Taylor in „Dresden“.


Der Angriff. Der geeignete Zeitpunkt kommt am 13. Februar. Die Meteorologen sagen für die Nacht eine lediglich mittlere Bewölkung über der Stadt voraus – das Urteil über „Elbflorenz“ ist gefallen. Um zehn Uhr abends an diesem Faschingsdienstag schrillen in Dresden die Sirenen. Innerhalb von fünfzehn Minuten werfen britische Lancaster 881,1 Tonnen Bomben auf die Innenstadt ab.

Die meisten Bewohner der Stadt erleben die erste Angriffswelle in den Kellern ihrer Wohnhäuser, die nur notdürftig als Luftschutzräume ausgerüstet sind. Über ihnen tobt ein Feuersturm durch die Straßen, die Feuerwehr steht den Flammen völlig machtlos gegenüber. Der Überlebende Otto Griebel schildert später: „Überall, wohin wir uns auch wandten, brannten die Häuser lichterloh. Die funkendurchwirbelte Luft war zum Ersticken und beizte unsere ungeschützten Augen. Ganze Feuerfladen kamen auf uns zugeflogen, und je tiefer wir in die Straße drangen, desto heftiger wurde der Sturm, welcher brennende Fetzen an uns vorübertrieb.“

Kurz nach ein Uhr nachts der nächste Fliegeralarm, eine weitere britische Staffel bewegt sich auf Dresden zu. Da sie den festgelegten Zielpunkt, die Innenstadt, bereits in Flammen vorfindet, bombardiert sie weitere Stadtgebiete. „Es war diese Entscheidung, die den Angriff zum Inbegriff des Massakers werden ließ“, schreibt Taylor. Die zweite Welle trifft unter anderem den Hauptbahnhof und den Großen Garten, in den sich viele Menschen geflüchtet haben.

Trotz des verheerenden Feuers verbrennen die meisten Opfer nicht, sondern ersticken. Der Feuersturm saugt den Sauerstoff aus den Kellern, die nur in wenigen Fällen mit luftdicht schließenden Türen ausgestattet sind. Auch im Freien ringen die Menschen wegen des Feuersturms um Atem. Der Teer auf den Straßen schmilzt in der Hitze. Am Mittag des 14.Februar fliegt die 8. US-Luftflotte noch eine dritte Angriffswelle, deren Auswirkungen aber nicht mehr so verheerend sind. Eigentlich hätten die Amerikaner vor den Briten bombardieren sollen, das Wetter verhinderte es.


Ruinen der Stadt. Die Überlebenden stehen vor den Ruinen ihrer Stadt. Fast 12.000 Wohnhäuser sind völlig zerstört, Kulturgüter wie die Semperoper, der Zwinger und das Königsschloss liegen in Schutt und Asche. Die Frauenkirche steht noch bis Donnerstagvormittag. Auch die Kriegsindustrie der Stadt (der Mythos, es habe keine gegeben, hält sich hartnäckig) ist schwer getroffen. „Alle drei leben, Stadt weg“, schreibt eine Bewohnerin ihrer Tochter später.

Für manche Dresdner bedeutet die Katastrophe freilich einen Ausweg: Victor Klemperer, Jude und dank seiner Ehe mit einer „Arierin“ bisher nicht deportiert, hatte am Vormittag des 13.Februar dem Großteil der wenigen noch in Dresden lebenden Juden ein Schreiben zustellen müssen, das ihnen für den Freitag den Abtransport zum „auswärtigen Arbeitseinsatz“ ankündigte. Klemperer überlebt die Bombardierung, im allgemeinen Chaos nach dieser Nacht reißt er sich den Judenstern von der Kleidung und flieht die kommenden Monate durch Sachsen und Bayern. „Derselbe Feuersturm riß Jud und Christ in den Tod; wen aber von den etwa 70 Sternträgern diese Nacht verschonte, dem bedeutete sie Errettung, denn im allgemeinen Chaos konnte er der Gestapo entkommen“, schreibt er später.


Opferstreit. Lang herrschte Unklarheit über die Zahl der Todesopfer von Dresden. Die zuständigen Behörden meldeten 25.000, die Propaganda ließ daran eine Null hängen. Nach dem Krieg legte sich die Stadtverwaltung auf 35.000 Tote fest, diese Zahl wurde in vielen Publikationen übernommen, aber man las auch deutlich höhere. Erst 2004 beauftragte der damalige Dresdner Oberbürgermeister eine Historikerkommission mit der Untersuchung der Opferzahlen. In dem 2010 veröffentlichten Untersuchungsbericht ist von maximal 25.000 Toten die Rede. Zahlreiche Argumente, die immer wieder für eine deutlich höhere Zahl vorgebracht wurden, widerlegen die Experten in ihrem Bericht. So sei Dresden nicht in dem Maß wie oft behauptet von nicht registrierten Flüchtlingen überfüllt gewesen. Dass zahlreiche Leichen nicht geborgen worden seien, habe sich ebenfalls nicht bewahrheitet. Und technische wie archäologische Untersuchungen ergaben, dass die Menschen nicht rückstandslos verbrannten, dafür war die Hitze nicht groß genug.

An der kriegsrechtlichen und moralischen Bewertung des Bombardements scheiden sich bis heute die Geister. Auch das Gedenken der Stadt bleibt zwiespältig. „Dresden war keine unschuldige Stadt“, betont Oberbürgermeisterin Helma Orosz, von einem „Bomben-Holocaust“ schwadronieren Neonazis auf „Trauermärschen“ am 13. Februar.

Vor allem aber gehen tausende Dresdner Bürger jedes Jahr für Frieden und Toleranz auf die Straße. Zum 70. Jahrestag am kommenden Freitag werden in der wieder aufgebauten Frauenkirche auch Vertreter aus Großbritannien, den USA und Russland erwartet.

Die letzten Kriegsmonate in Europa

17.Jänner 1945: In Warschau kapitulieren die letzten deutschen Einheiten.

27.Jänner: Soldaten der Sowjetunion befreien das KZ Auschwitz.

4.–11.Februar: Die Jalta-Konferenz legt die Nachkriegsordnung für Deutschland fest.

13/14.Februar:Alliierter Angriff auf Dresden.

16.April: Die sowjetische Armee beginnt den „Sturm auf Berlin“.

30.April: Hitler begeht Selbstmord.

7./8.Mai: Die Wehrmacht kapituliert bedingungslos.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.