Lindbergh-Baby: Das umstrittene "Jahrhundertverbrechen"

Bruno Richard Hauptmann
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Vor 80 Jahren wird Bruno Hauptmann in den USA zum Tod auf dem elektrischen Stuhl verurteilt. Er soll das Baby von Flugpionier Lindbergh ermordet haben. Doch bis heute gibt es Zweifel an seiner Schuld.

„Schuldig des Mordes ersten Grades ohne mildernde Umstände.“ So lautet das Urteil, das Richter Thomas Trenchard am 13. Februar 1935 verkündet. Die Geschworenen haben sich nach elfstündiger Beratung geeinigt: Bruno Richard Hauptmann hat das Baby von US-Flugpionier Charles Lindbergh entführt und ermordet. Das Strafmaß: Tod auf dem elektrischen Stuhl. Hauptmann, der stets seine Unschuld beteuert hat, nimmt das Urteil ruhig an. Auch kurz vor der Exekution soll sich das Verhalten des einst illegal nach Amerika eingewanderten Deutschen nicht ändern. „Ich sterbe als unschuldiger Mann“, sagt er am 3. April 1936. Kurz darauf strömen 1500 Volt durch seinen Körper, um 20:47 Uhr wird er für tot erklärt – die Zweifel an seiner Schuld aber verstummten bis heute nicht.

Suche nach dem Lindbergh-Baby
Suche nach dem Lindbergh-Baby(c) imago

Ein Rückblick: Es ist der Abend des 1. März 1932, ein Dienstag. Die Familie Lindbergh ist in ihrem Anwesen in Hopewell, New Jersey. Baby Charles schläft in seinem Gitterbett. Als das Kindermädchen gegen zehn Uhr nach dem Bub sehen will, ist das Zimmer leer. An der Hauswand unterhalb des Kinderzimmerfensters ist eine Leiter angelehnt. Am Fensterbrett liegt ein Brief, gerichtet an den Vater Charles Lindbergh. In holprigem Englisch werden von dem US-Helden – er hatte 1927 erstmals alleine in einer Propellermaschine den Atlantik überquert – 50.000 Dollar Lösegeld gefordert.Lindbergh übergibt das Lösegeld auf einem Friedhof, seinen Sohn aber sieht er nie wieder. Ein Lastwagenfahrer findet die Leiche am 12. Mai unweit des Elternhauses am Straßenrand. Das Baby starb an einem Schädelbruch. Der Fall schockiert, in den Medien geht das Wort „Jahrhundertverbrechen“ um. Der Kongress reagiert: Er erklärt Kidnapping zum Bundesdelikt, auf das die Todesstrafe steht („Lindbergh-Gesetz“). Rund 10.000 Polizisten sind im Einsatz. Nach zwei Jahren finden sie den entscheidenden Hinweis: ein Zehn-Dollar-Goldzertifikat, in Umlauf gebracht an einer Tankstelle. Der Schein stammt aus der Lösegeldzahlung, ausgegeben hatte ihn der Zimmermann Bruno Richard Hauptmann. Der gebürtige Sachse wird verhaftet.

Charles Lindbergh und seine Frau und Anne Morrow Lindbergh
Charles Lindbergh und seine Frau und Anne Morrow Lindbergh(c) imago

In seiner Garage werden in einem Schuhkarton rund 15.000 Dollar in Goldzertifikaten gefunden – Teile des Lösegeldes. Zudem wird entdeckt, dass eine Dachlatte am Haus fehlt. Laut einem Sachverständigen soll diese in der Entführungsleiter verarbeitet worden sein. Hauptmann beharrt auf seiner Unschuld, beteuert, das Geld von einem Freund, dem deutschen Pelzhändler Isidor Fisch, „zum Verwahren“ bekommen zu haben. Letzterer sei bald darauf nach Deutschland gereist und dort an Tuberkulose gestorben. Da ihm Fisch Geld geschuldet habe, habe er die Summe behalten, so Hauptmanns Version. Doch die Geschworenen glauben ihm nicht – Lindbergh hingegen schenken sie ihr Vertrauen.

Der Flugpionier sagt vor Gericht aus, mit einem gewissen John Condon auf einen Friedhof in der Bronx gefahren zu sein, wo dieser einem Mann das Lösegeld übergeben habe. Er selbst habe in 70 Meter Entfernung gewartet. Gehört habe er von dort aber eindeutig Hauptmanns Stimme. Dass Lindbergh wenige Monate vor Prozessbeginn noch gemeint hatte, die Stimme nicht identifizieren zu können, stört in diesem Moment keinen der Geschworenen.

Unterschlagene Informationen

Jahrzehnte später kocht der Fall neuerlich auf. 1961 berichtet die Athener Zeitung „Acropolis“, dass im Nachlass des Griechen Constantinos Maratos etliche Geldbündel gefunden wurden, die aus Lindbergh-Lösegeld stammen.

„Hauptmann war unschuldig“, schreibt 1976 das  „New York Magazine“. Der Schuldspruch sei eine „der skandalösesten Justizverdrehungen“ der Geschichte, Beweise gegen Hauptmann von der Polizei „fabriziert“, Entlastendes „unterschlagen" worden, heißt es unter Berufung auf bis dato unter Verschluss gehaltene Akten. Demnach sei Fisch den Ermittlern schon ein Jahr vor Hauptmanns Verhaftung aufgefallen: Er hatte sich mit Lösegeldscheinen eine Schiffskarte nach Deutschland gekauft.

Witwe von Bruno Richard Hauptmann
Witwe von Bruno Richard Hauptmann(c) imago

Auch Hauptmanns Witwe lässt der Fall keine Ruhe. Nachdem der Zugang zu (FBI-)Akten erstritten ist, lässt sie ihren Anwalt 1982 Klage gegen mehrere Ermittler sowie Ankläger David Wilentz einlegen. Der Vorwurf: Sie hätten „vorsätzlich falsche Erklärungen abgegeben“. So soll Wilentz dem Gericht laut den Dokumenten verschwiegen haben, dass Lösegeldüberbringer Condon Hauptmann bei einer Gegenüberstellung nicht erkannt hatte – erst vor den Geschworenen wollte er sich eindeutig an ihn erinnern. Weiters sei dem Gericht verheimlicht worden, dass nach der Baby-Entführung im Garten der Lindberghs Fußspuren gefunden wurden, die sich nicht mit Hauptmanns deckten.

Trotz der Dokumente sollte Anna Hauptmanns Kampf um die Rehabilitation ihres Mannes bis zu ihrem Tod 1994 vergebens sein. Bis heute gibt es keine Aufhebung des Urteils, dafür zahlreiche Verschwörungstheorien und „erwachsene Babys“. Seit den 1950er-Jahren klopften immer wieder Personen an die Tore der Lindberghs, die angaben, das „tote Baby“ zu sein. Auch in Büchern und Filmen wurden verschiedene Varianten der Causa präsentiert. So sieht Lindbergh-Biograf Rudolf Schröck in Hauptmann zwar den Baby-Kidnapper, glaubt aber an Mittäter. Der Schriftsteller Ludovic Kennedy hingegen hält den Deutschen für gänzlich unschuldig.

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