Ausstellung: Der Wiener Kongress zieht sich in die Länge

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„Europa in Wien“ im Unteren Belvedere und der Orangerie versucht, zum 200. Jubiläum einen möglichst breiten Überblick über die Neuordnung Europas 1815 zu geben. Man sieht tolle Exponate, aber der Zugang ist akademisch.

Das Ergebnis der Verhandlungen vom Juni 1815 hat Joseph Görres, den Gründer des „Rheinischen Merkur“, gar nicht erfreut. Der katholische Publizist, ein Anhänger der Französischen Revolution, der sich zum glühenden Proponenten eines selbstbestimmten, vereinten und demokratischen Deutschland entwickelte, ereiferte sich über das „elende Machwerk von Teilen und Vereinigen“. Dieses von Görres kritisierte Ereignis, das als Wiener Kongress in die Geschichte einging, brachte dem Kontinent aber immerhin zwei Jahrzehnte Frieden.

Wien war damals mit 240.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt Europas und vom September 1814 bis zum Juni 1815 der politische und gesellschaftliche Mittelpunkt des Kontinents. Gekrönte Häupter und Scharen ihrer geschicktesten Diplomaten fanden sich nach all den Jahren napoleonischer Kriege in der Hauptstadt der Habsburger ein, um ein Gleichgewicht der Kräfte herzustellen.
Im Unteren Belvedere und in der Orangerie ist nun eine große Ausstellung zu diesem Weltereignis zu sehen. „Europa in Wien. Der Wiener Kongress 1814/15“ zeigt in neun prunkvollen Räumen rund 290 Exponate: Gemälde, Zeichnungen, Karten, Hausrat, Kleider, Büsten und einiges Multimediales.

Beethovens ausgekratzte Widmung

Die von Sabine Grabner und Werner Telesko kuratierte Schau nähert sich dem Thema vorwiegend über die Kunst, das Ergebnis ist üppig, aber viel zu akademisch (vor allem auch in den Katalogtexten). Wer vieles bringt, gerät leicht in Gefahr, gleichförmig und brav zu werden. Eine didaktische Randbemerkung: Mehrfach wird die Kunst der politischen Inszenierung in der Schau angesprochen – ein bisschen mehr Show hätte ihr selbst nicht geschadet. Denn unter den Objekten, die gezeigt werden, sind einige sensationelle.

Etwa im vierten Saal, einem kleineren, er ist der Musik gewidmet. Man sieht Vitrinen mit Dokumenten, ein Porträt des Komponisten Antonio Salieri, Stiche von Virtuosen und eine Zeichnung, die das Theaterleben karikiert. Man hört Tonbeispiele. Und unscheinbar in einer Ecke liegt in einem Schaukasten das handschriftliche Titelblatt der Dritten Symphonie Beethovens, eine Leihgabe der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde. Die „Eroica“ war ursprünglich Frankreichs Kaiser Napoleon gewidmet, aber die Zueignung wurde vom Komponisten ausgekratzt. Man hätte das durchaus dramatischer präsentieren können, vielleicht sogar im Kontext zu Hegels bewunderter „Weltseele zu Pferde“.

Frankreichs kühner Eroberer hat in den ersten Sälen seine Auftritte. Napoleon darf auf einem grandiosen Gemälde von Jacques Louis David (eine Version von 1801) auf einem Schimmel am Großen Sankt Bernhard triumphieren. Als Kontrast daneben ein Kupferstich aus dem Jahre 1852 von Alphonse François (nach Paul Delaroche): Darauf überquert der Eroberer die Alpen ohne Dynamik, auf einem müden Maultier.

Solcher Realismus prägt auch manches Schlachtengemälde. Wien wird bombardiert und zweimal von den Franzosen besetzt. Die Schau verliert sich nun rasch im Detail, Aspern, Wagram, Leipzig, Waterloo, in mehrfacher Ausfertigung samt Landkarten. Sämtliche Protagonisten des Kongresses müssen vorkommen. Es sind sehr viele. Am besten wirken die Hauptdarsteller als Ensemble von Büsten: Einträchtig stehen Zar, Kaiser, Könige und Fürsten in Reih und Glied. Das schönste Porträt von Österreichs Chefverhandler Klemens Lothar Wenzel Fürst von Metternich ist eine Leihgabe aus Schloss Johannisberg. Im Ölgemälde von Thomas Lawrence, das um 1815 entstand, wird der komplexe Charakter dieses Mannes offenbar.

Die heile Fassade des Friedens

Neben all den Agierenden kommt das soziale Umfeld weniger gut zur Geltung. Ja, auch der Kongress tanzt, zumindest in einer Karikatur, und sogar ein Ballkleid von 1815 wird ausgestellt, die Soireen, an denen tausende Gäste teilnahmen, sind dokumentiert, Paraden und Ausflüge in den Prater, man sieht das Tafelsilber, Tabakdosen und die Evolution von Napoleons Hüten – Zusammenhänge werden jedoch kaum hergestellt. Und wo bleibt die Schattenseite von Wien, zumindest das Sündige, das fast alle Gipfel begleitet?

Der abschließende Raum, in der Orangerie, lebt allerdings von einer aparten Idee. Die Schlussakte des Wiener Kongresses (aus dem Österreichischen Staatsarchiv) liegt aufgeschlagen neben ihrer roten Lederkassette, mit all den prominenten Unterschriften mit ihren 17 roten Siegeln. Ringsum zeigen Fotos und Bilder, wie Herrscher solche Ereignisse feiern: Münster 1648, Wien 1955, Camp David 1979, Dayton 1995. Alles Fassade. Lauter hohe Herren mit Kampfgrinsen, die arrogant statt friedlich blicken.

Bis 21. Juni, täglich von 10 bis 18, Mittwoch bis 21 Uhr

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2015)

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