Tschechien/Bayern: Der Verzicht der Sudetendeutschen

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GERMANY SUDETEN MEETING(c) EPA (Daniel Karmann)
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Die Sudetendeutsche Landsmannschaft verlangt in einer Satzung keine Restitution mehr für Eigentum, das auf Basis der Beneš-Dekrete nach 1945 konfisziert worden war.

Prag/München. Revolutionäre Wende bei der Sudetendeutschen Landsmannschaft: Die Bundesversammlung der aus der ehemaligen Tschechoslowakei kollektiv vertriebenen 3,5 Millionen Sudetendeutschen hat in München die „Wiedergewinnung der Heimat“ sowie eine „Restitution oder gleichwertige Entschädigung“ für die kollektive Enteignung der Volksgruppe nach dem Zweiten Weltkrieg als Ziele aus ihrer Satzung gestrichen.

Der frühere tschechische Außenminister und Präsidentschaftskandidat Karel Schwarzenberg zollte diesem Beschluss im „Presse“-Gespräch seine „Hochachtung“. „Es ist furchtbar schwer, über Jahrzehnte geltende Grundsätze aufzugeben. Alles braucht seine Zeit“, sagte er. „Václav Havel, der einst den Vertriebenen die Hand gereicht hatte, würde sich über diesen Schritt aber sehr freuen.“ Schwarzenberg empfahl den Tschechen, jetzt „ihrerseits Zeichen zu setzen“.

Der amtierende sozialdemokratische Außenminister, Lubomír Zaorálek, nannte die Geste der Vertriebenen „eine Voraussetzung zur Verbesserung der Beziehungen“. Die meisten Prager Zeitungen informierten am Montag eher klein über den Beschluss der Sudetendeutschen. Einer Kommentierung enthielten sie sich völlig.

Die Sudetendeutsche Landsmannschaft bekräftigte in ihrer Satzung ihren Willen, „Bindeglied im deutsch-tschechischen Dialog“ zu sein. Weiter heißt es im Text der Satzung nunmehr: „Verstöße gegen diese Rechte wie Völkermord, Vertreibungen, ethnische Säuberungen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, menschen- und völkerrechtswidrige Enteignungen sowie Diskriminierungen“ seien „weltweit zu ächten und dort, wo sie erfolgten, auf der Grundlage eines gerechten Ausgleichs zu heilen.“

Bekenntnis zu Verantwortung

Zwar werden in dem Beschluss die Verbrechen an den Sudetendeutschen und die nach dem Zweiten Weltkrieg vom damaligen tschechoslowakischen Präsidenten, Edvard Beneš, gegen die Sudetendeutschen gerichteten Dekrete kritisiert und die Heilung allen Unrechts gefordert. Deutlich wie nie zuvor spricht die Landsmannschaft aber auch von der eigenen „Mitverantwortung“ der Volksgruppe „für die Verfolgung und Ermordung von Sudetendeutschen und Tschechen, die dem nationalsozialistischen Regime missliebig waren, sowie für den Holocaust an den Juden in Böhmen, Mähren und Sudeten-Schlesien“.

Die Sudetendeutschen hätten sich „durch ihre Repräsentanten wiederholt zu ihrer Verantwortung im Zusammenhang mit den Verbrechen der Nationalsozialisten bekannt“ und seien „entschlossen, diese Vergangenheit auch weiterhin aufzuarbeiten“. Die Landsmannschaft setze sich dafür ein, die Volksgruppe „auch in kommenden Generationen als lebendige und vielfältige Gemeinschaft zu erhalten, die sich ihrer historischen sowie kulturellen Wurzeln bewusst ist und sich aus dieser Verantwortung heraus den aus ihrer Geschichte erwachsenen Aufgaben stellt“.

Der Beschluss ist Teil eines Reformprozesses, den die Sudetendeutschen unter Führung ihres Sprechers Bernd Posselt seit Längerem vollziehen. Posselt, langjähriger Abgeordneter des Europaparlaments für die CSU, hatte schon vor Jahren auf die Rückgabe des konfiszierten Eigentums seiner Familie, die in Nordböhmen gelebt hatte, verzichtet. Das hatte ihm unter den Vertriebenen nicht nur Beifall eingetragen. Da machte auch schon einmal die Formulierung vom „Verzichtspolitiker“ die Runde. Wenig Freunde hatte sich Posselt zudem mit einer Entschuldigung in einer Livesendung des tschechischen Fernsehens für den Anteil der Sudetendeutschen an der Unterdrückung der Tschechen im von Hitler besetzten sogenannten Protektorat Böhmen und Mähren gemacht.

Der traditionelle Schirmherr der vertriebenen Sudetendeutschen, die bayerische Staatsregierung, hatte sich über viele Jahre hart gegenüber den tschechischen Nachbarn gezeigt. Der frühere Ministerpräsident Edmund Stoiber reiste zwar durch die ganze Welt, fand aber nie den Weg ins benachbarte Tschechien. Er knüpfte einen solchen Besuch immer an die Aufhebung der Beneš-Dekrete durch die tschechische Führung. Besagte Dekrete hatten die kollektive Enteignung und spätere Vertreibung der 800 Jahre auf dem Gebiet der einstigen Tschechoslowakei siedelnden Deutschen veranlasst.

Segen von Seehofer

Erst der jetzige CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident, Horst Seehofer, durchbrach die Zeit der Sprachlosigkeit mit den tschechischen Nachbarn. Er besuchte Tschechien bereits mehrfach und ehrte dabei auch das Andenken an die ermordeten Tschechen in Lidice und Theresienstadt. In seiner Begleitung waren immer auch Posselt und andere Vertreter der Sudetendeutschen gewesen. Es darf davon ausgegangen werden, dass die neue Beschlusslage der Landsmannschaft mit Seehofer eng abgesprochen gewesen ist.

Die Entscheidung der Sudetendeutschen Landsmannschaft konterkariert Bemühungen der Vertreter der Sudetendeutschen, die nach Österreich vertrieben wurden. Dort war unlängst erst eine Umfrage unter den Vertriebenen gestartet worden, ob die auf ihr altes Eigentum im heutigen Tschechien verzichten würden. Eine große Mehrheit lehnte dies ab.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2015)

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