Wehrmacht: Wie eine Ausstellung die Bevölkerung spaltete

"Verbrechen der Wehrmacht": Wie eine Ausstellung die Bevölkerung spaltete(c) Imago
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Vor 20 Jahren wurde die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" zum ersten Mal gezeigt. Sie löste hitzige Debatten, Schlägereien und einen Sprengstoffanschlag aus.

"Über das Thema Wehrmacht und Kriegsverbrechen wird in der Öffentlichkeit nicht mehr so geredet werden können wie vor dem Start unserer ersten Ausstellung 1995." Zum Abschluss der Wehrmachtsausstellung zog der Leiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Jan Philipp Reemtsma, eine selbstbewusste Bilanz. Tatsächlich spaltete die in zwei Teilen bis 2004 laufende Geschichtsschau des Instituts Deutschland und Österreich wie wohl keine zweite - und schrieb damit selbst Geschichte. Sie wurde von Demonstrationen, Prügeleien und politischen Debatten begleitet.

Am 5. März 1995 öffnet die Wanderausstellung unter dem Titel "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" in Hamburg erstmals ihre Pforten. Ihre Kernaussage: Die Wehrmacht war in der Sowjetunion strukturell am Völkermord der Nationalsozialisten beteiligt. Das ist zu diesem Zeitpunkt in der Wissenschaft schon länger unbestritten, hat sich in der breiten Öffentlichkeit aber noch nicht durchgesetzt. Viele Deutsche und Österreicher halten immer noch am Bild der "sauberen Wehrmacht" fest und reagieren emotional. "Unsere Väter und Großväter waren keine Verbrecher", heißt es - auch wenn die Ausstellungsmacher betonen, den Vorwurf der Kollektivschuld nicht zu erheben.

"Stoppt die Verräter", skandieren rechte Gruppen auf Demonstrationen, "Nazis raus" rufen ihnen Gegendemonstranten entgegen. In Dresden kann die Ausstellung 1998 nur unter massivem Polizeischutz eröffnen, Rechts- und Linksradikale liefern sich Massenschlägereien. Im März 1999 wird auf die Saarbrückener Volkshochschule, in der die Wanderausstellung gerade untergebracht ist, ein Sprengstoffanschlag mit erheblichem Sachschaden verübt. Im deutschen Bundestag kritisiert die Union die ihrer Ansicht nach einseitige Dokumentation.

(c) imago/Christian Ditsch (imago stock&people)

Aber auch Historiker erheben Einspruch. Zahlreiche Fotografien würden nicht Verbrechen deutscher Soldaten, sondern die des sowjetischen Staatssicherheitsdienstes zeigen, schreibt der polnische Historiker Bogdan Musial. Reemtsma zieht die Ausstellung schließlich im November 1999 zurück und ordnet eine Untersuchung an. Eine unabhängige Historikerkommission findet einige "sachliche Fehler, Ungenauigkeiten und Flüchtigkeiten bei der Verwendung des Materials" und kritisiert eine teilweise "verallgemeinernde" Präsentation.

"In Verbrechen nicht nur verstrickt"

In ihrer Grundaussage sei die Schau aber korrekt, heißt es in dem Gutachten: "Es ist unbestreitbar, dass sich die Wehrmacht in der Sowjetunion in den an den Juden verübten Völkermord, in die Verbrechen an den sowjetischen Kriegsgefangenen und in den Kampf gegen die Zivilbevölkerung nicht nur „verstrickte“, sondern dass sie an diesen Verbrechen teils führend, teils unterstützend beteiligt war. Dabei handelte es sich nicht um vereinzelte „Übergriffe“ oder „Exzesse“, sondern um Handlungen, die auf Entscheidungen der obersten militärischen Führung und der Truppenführer an der Front und hinter der Front beruhten.“

Am 28. November 2001 öffnet die Ausstellung in neuer Gestalt und unter neuer wissenschaftlicher Leitung. "Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskriegs 1941-1944", so der neue Titel. Die Schau kommt nun nüchterner und weniger moralisierend daher, Texte statt Bildern überwiegen. In der Sache ist sie aber sogar härter, wie der Historiker Hans Mommsen, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats, betont: Die neue Ausstellung weise eine noch weitergehende systematische Verstrickung der Wehrmacht in den Vernichtungskrieg nach als die vorherige. Und so führt sie auch erneut zu Demonstrationen, unter anderem auch in Wien.

Insgesamt besuchen rund 1,2 Millionen Menschen die beiden Wehrmachtsausstellungen. Reemtsma erklärt sich die Aufregung im Nachhinein damit, dass es "um ein Familienthema ging": Schließlich habe es in fast jeder deutschen Familie einen Wehrmachtsangehörigen gegeben. Und so habe sich, wie es der Historiker Volker Ullrich gegenüber dem "NDR" anlässlich des 20.Jahrestages ausdrückt, "jeder Besucher eigentlich fragen können: 'Wo warst du Vater, wo warst du Bruder?'"

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