„Frühlingserwachen“ 1945: Hitlers letzte Offensive

Panzer VI (Königstiger) in Ungarn
Panzer VI (Königstiger) in UngarnBundesarchiv (Hamann)
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Anfang März 1945 starten deutsche Truppen im Großraum Plattensee den letzten Großangriff. Es geht um Ungarns Erdöl. Hauptspeerspitze sind Verbände der Waffen-SS. Ihre Panzer bleiben im Schlamm stecken.

„Am 3. März erkundete SS-Obersturmführer Fritz Hagen (ein Pseudonym) das Gelände, von dem aus seine Kampfgruppe angreifen soll. Es regnete in Strömen. Der junge, hochdekorierte Offizier und Panzerkommandeur ließ seinen Geländewagen anhalten. Mit großer Geste deutete er auf die endlose Schlammwüste, die sich nach Osten dehnte, und sagte zu seinen Männern: ,Meine Herren, wir befinden uns jetzt in unserer Ausgangsstellung.´ Zuerst lachte man, dann fing man an zu fluchen.

Als Hagen sich durch den Morast nach Veszprém nördlich des Plattensees zurückgekämpft hatte, rief er das Korpskommando an: ,Ich habe Panzer, keine U-Boote. Sie können mich kreuzweise! Das mache ich nicht.´ - , Immer mit der Ruhe´, kam es vom anderen Ende. ,Das regeln wir schon.´" (John Toland: „Das Finale – die letzten hundert Tage“, Deutsche Buchgemeinschaft, 1969)

Es geht zu Ende

Anfang 1945, das war für weltweit so ziemlich jeden Beobachter inklusive der Masse der deutschen Soldaten und Offiziere klar, ging der Krieg in Europa seinem Ende zu. Gewaltige westalliierte Heere standen nach der Landung in der Normandie vom Juni 1944 und der Zerschlagung des deutschen Westheers am Rhein, vorerst im Elsass und den Niederlanden. Ein letztes großes deutsches Aufbäumen, die Ardennen-Offensive in Südbelgien und Luxemburg, war im Dezember nach Anfangserfolgen versandet, zwei mächtige US-Armeen drängten die deutsche Ausbeulung bis Anfang Februar an die Reichsgrenze zurück.

US-Soldat in Frankreich nimmt Deutsche gefangen
US-Soldat in Frankreich nimmt Deutsche gefangenww2gallery/flickr

In Italien stand die weichende Front in etwa auf der Linie Ravenna – La Spezia, also schon teils am Südrand der Poebene. Im Osten, dem größten Kriegsschauplatz, war die deutsche Front ebenfalls im Juni 1944 unter der bis dato gewaltigsten Offensive der Roten Armee, der Operation Bagration, weitgehend zusammengebrochen – einer Serie von Großschlachten in Weißrussland, dem Baltikum, Ostpolen und der Westukraine, die es anders als die alliierte Landung in Frankreich nie recht in die Köpfe der Nachkommenden schaffte.

Dann hatte die Rote Armee über Rumänien den Balkan aufgerollt, die deutschen Verbündeten Rumänien und Bulgarien wechselten im August bzw. September ins sowjetische Lager. Die deutschen Streitkräfte der Heeresgruppen „E" und „F" zogen sich aus Griechenland und Südjugoslawien bis Kroatien und Slowenien zurück, auch verfolgt von nun schon regulär und in Masse auftretenden Tito-Partisanen unter beidseits grausam und gnadenlos geführten Kämpfen.

Ungarische Truppen mit Turán-Panzer in Siebenbürgen, Ende 1944
Ungarische Truppen mit Turán-Panzer in Siebenbürgen, Ende 1944Bundesarchiv (Bauer)

Bis in den Jänner hinein hatten sowjetische, rumänische und bulgarische Truppen Ungarn bis inklusive Budapest, nördlich davon jenseits der Donau bis an den Rand der slowakischen Karpaten sowie südlich Budapest bis zum Balaton (Plattensee) und in einer Linie hinab zur Drau an der kroatischen Grenze erobert.

Brutale Schlacht um Budapest

Budapest fiel zwischen 11. und 13. Februar 1945 nach rund 100-tägiger Schlacht und fruchtlosen deutsch-ungarischen Entsatzangriffen der dortigen "Heeresgruppe Süd", allein in der Hauptstadt gingen, unterschiedlichen Angaben zufolge, 80.000 bis 150.000 deutsche und ungarische Soldaten durch Tod, Verwundung und Gefangenschaft verloren, nur etwa 750 schafften den Ausbruch bis zu den eigenen Linien im Westen. Die Rote Armee und rumänische Einheiten verloren in den stalingradesken Straßenkämpfen rund 80.000 Mann allein durch Tod, 38.000 bis 40.000 Zivilisten starben.

Deutscher Königstiger einer SS-Division in Budapest, Ende 1944
Deutscher Königstiger einer SS-Division in Budapest, Ende 1944Bundesarchiv
Sowjetische Soldaten während der Schlacht um Budapest
Sowjetische Soldaten während der Schlacht um BudapestWikipedia/Rote Armee

Und dann startet die Rote Armee am 12. Jänner noch ihren Großangriff in Polen und Ostpreußen, samt einer Sekundäroperation in den slowakischen Westkarpaten, auf einer mehr als 1200 Kilometer langen Front und mit einer vielfachen Überlegenheit, allein bei Kampfpanzern steht es mehr als 4500 zu etwa 700, bei Flugzeugen 5000 bis 8000 zu 1300. Es ist müßig, die turmhohe Überlegenheit der Sowjets gegenüber den ausgezehrten Deutschen länger zu beschreiben; General Heinz Guderian (1888-1954), der Westpreuße, maßgebliche Schöpfer der deutschen Panzerwaffe und Anfang 1945 Generalstabschef des Heeres, schrieb später in seinen Memoiren „Erinnerungen eines Soldaten", man habe die russische Überlegenheit als Kombination aus Zahl und Kampfwert allein zu Lande mit 15:1 eingeschätzt.

Die Sowjets vor Berlin

Die Offensive bringt Stalins Armeen in wenigen Wochen von Ostpreußen, von Warschau und der Weichsel zu Oder und Neisse, zwischen Görlitz im Süden und Stettin an der Ostsee, am 31. Jänner war die Oder vor Berlin erreicht, 60 bis 80 Kilometer von Hitlers Führerbunker nahe des Brandenburger Tores im Zentrum von Berlin.

Dort hat sich Adolf Hitler mittlerweile entschieden, den Rat seiner Generäle anzunehmen und die einstürzende Ostfront mit Truppen von der Westfront zu stärken. Er tut das unter anderem auch, da er unter dem Einfluss des Chefs des Wehrmachtsführungsstabes im Oberkommando der Wehrmacht, General Alfred Jodl (1890-1946, ein Franke), glaubt, dass die offenkundig gescheiterte Ardennenoffensive die Westalliierten aus dem Tritt gebracht und vorerst gestoppt habe. Doch statt Truppen nach Polen bzw. an die Oder zu verlegen, um den Kern des Nazi-Reichs zu schützen, eröffnet Hitler am 16. Jänner seinen Offizieren, darunter Guderian, in der Reichskanzlei, dass man die Front just in Ungarn, bei der Heeresgruppe Süd, stärken werde – vor allem mit der 6. SS-Panzerarmee, die eben aus der Ardennenschlacht kommt und am Oberrhein mehr schlecht als recht auffrischt. Und es gehe in Ungarn nicht um eine defensive Abwehrschlacht, nein: um eine Offensive.

>>>Karte: Der Schauplatz dieser Geschichte

Es entstehen tagelange Debatten. Hitler argumentiert einerseits damit, er müsse das verbündete Regime Ungarns unter „Pfeilkreuzler"-Diktator Ferenc Szálasi (1897-1946) retten und so dessen Armee im Boot behalten. Guderian indes hält wenig von dem farblosen Mann, der Ungarn seit dem Sturz des Reichsverwesers Admiral Miklós Horthy (1868-1957), dem letzten Chef der k.u.k.-Marine, im Oktober 1944 im Griff hat: Szálasi, unter dem massive Deportationen, zwangsweise Arbeitseinsätze und Morde an Juden und Zigeunern einsetzen, an denen deutsche Truppen mitwirken, hatte Anfang Dezember Hitler in Berlin besucht, und Guderian schreibt: „Die Unterhaltung blieb schleppend. Der Eindruck des neuen Mannes ließ keine Taten erwarten. Er schien ein Emporkömmling wider Willen. Wir hatten keinen Bundesgenossen mehr."

>>> Filmaufnahme des Treffens:

Hitler indes spekulierte weiter, die Sowjets müssten auf einen großen Angriff in Ungarn doch reagieren und folglich Truppen von ihrer Oder-Offensive abziehen; vor allem aber gehe es um die Ölfelder und Raffinerien in Westungarn, insbesondere das Fördergebiet um die Stadt Nagykanizsa (Großkirchen) unweit des Westendes des Balaton, das Zentrum von Ungarns Ölindustrie, und um die Raffinerien bei Komárom an der Donau und Pétfürdő am Ostufer des Plattensees. Ungarns Ölanlagen und große Depots waren tatsächlich nach dem Verlust der rumänischen Ölfelder die letzten Treibstoffquellen des Reichs, neben jenen im Weinviertel (NÖ) und den Anlagen zur Herstellung synthetischen Benzins aus Kohle in Deutschland selbst, deren Produktion unter Bombenangriffen schwand.

"Meine Generäle verstehen nichts"

„Wenn Sie keinen Brennstoff mehr erhalten, können Ihre Panzer nicht mehr fahren und die Flieger nicht mehr starten. Das müssen Sie doch einsehen. Aber meine Generäle verstehen eben nichts von Kriegswirtschaft“, meinte Hitler patzig zu Guderian.

Seltenes Dokument von 1943: Links neben Hitler ist Guderian, der Zivilist links von diesem ist Ferdinand Porsche; unmittelbar rechts hinten neben Hitler Wilhelm Keitel, Chef des Oberkommandos der Wehrmacht
Seltenes Dokument von 1943: Links neben Hitler ist Guderian, der Zivilist links von diesem ist Ferdinand Porsche; unmittelbar rechts hinten neben Hitler Wilhelm Keitel, Chef des Oberkommandos der WehrmachtFoto: Walter Frentz; Rechteinhaber: Hanns-Peter Frentz

Dabei hatte der selbsterklärte Feldherr aus Oberösterreich, der zu diesem Zeitpunkt meist nur noch theoretische Divisionen, Korps, Armeen und Luftflotten verschob und sich von neuen, aber zu wenigen Waffen wie den Messerschmitt Me 262-Düsenjägern, Arado Ar 234-Düsenbombern, V2-Raketen, schweren "Königstiger"-Panzern und U-Booten vom Typ XXI blenden ließ, wohl auch zwei Dinge übersehen: Ungarns Öl würde für die gesamten Streitkräfte nie reichen; und da der Schienenverkehr wegen der Luftangriffe nur zäh lief, war mit den ungarischen Reserven im Grunde nur noch die Versorgung der Heeresgruppe Süd (Ungarn, Slowakei, Ostösterreich) und teilweise der Heeresgruppe Mitte nördlich davon in der Slowakei, Mähren und Schlesien sowie der Verbände der Heeresgruppe E in Nordjugoslawien möglich.

Aber der Krieg sollte dennoch fortgehen, zumindest irgendwo, keine Kapitulation!, die „Wunderwaffen" würden alles wenden und der psychisch angeschlagene Führer griff nach jedem Strohhalm, auch wenn der nur von regionaler Bedeutung sein sollte.

Die Heeresgruppe Süd

Besagte Heeresgruppe Süd war auserkoren, die Offensive vorzutragen. Sie stand nur noch dem Namen nach in der Tradition früherer Heeresgruppen in den Kriegen mit Polen und der UdSSR, hatte zeitweise unter anderen Titeln (etwa HG Nordukraine, April bis September 1944) firmiert und war erst Ende September 1944 in Siebenbürgen aus Resten anderer Großverbände neu formiert worden. Ihr Chef Anfang 1945 war General Otto Wöhler (1894-1987), ein ostkriegserfahrener, militärisch sachlicher, unideologischer Niedersachse, den Hitler einmal „schlechten Nationalsozialisten" schalt und deswegen seine Beförderung zum Generaloberst ablehnte.

General Otto Wöhler
General Otto WöhlerBundesarchiv

Nunmehr bestand die HG Süd aus drei deutschen Armeen und einer ungarischen: In einer Linie hart westlich von Budapest bzw. von den slowakischen Westkarpaten entlang des Flusses Hron (Gran) und bei der Stadt Esztergom hinab über die Donau und den Balaton bis zur Drau standen (in der Reihenfolge): die 8. Armee des Gebirgsjägergenerals Hans Kreysing (1890-1969, ein Niedersachse) nördlich der Donau; südlich der Donau die 3. Ungarische Armee (Generaloberst József Heszlényi, 1890-1945), die 6. Armee, genannt „Armeegruppe Balck" des Panzergenerals Hermann Balck (1890-1982, ein Ostpreuße) sowie die 2. Panzerarmee von General der Artillerie Maximilian de Angelis (1889-1974, ein in Budapest geborener Altösterreicher). Schon ab Ende 1944 war diese HG mit Divisionen aus dem Westen, aus Italien und sogar Polen verstärkt worden, speziell mit Panzereinheiten.

General Hans Kreysing
General Hans KreysingFoto: Walter Frentz, Rechteinhaber: Hanns-Peter Frentz
Generaloberst József Heszlényi
Generaloberst József HeszlényiWikipedia
General Hermann Balck
General Hermann BalckBundesarchiv
General Maximilian de Angelis
General Maximilian de AngelisArchiv

Die Zahlen sind heute ohne hier nicht mögliche zeitintensive Recherche nur schwer zu ermitteln, die Quellen sind nicht eindeutig und es herrschte in der Endphase des Kriegs ein reges Kommen, Gehen und Verschwinden von militärischen Formationen. Zudem hieß das Präfix „Panzer" nicht mehr zwingend, dass Panzer in nennenswerter Zahl auch vorhanden waren: De Angelis’ 2. Panzerarmee etwa hatte fast nur Infanterie- und Jägerdivisionen, abgesehen von einer SS-Panzergrenadierdivision (der 16. „Reichsführer SS") mit Jagd- und Schützenpanzern und Sturmgeschützen, die man im Jänner aus Italien geholt hatte.

Wöhlers Heeresgruppe dürfte im Jänner/Februar 1945 jedenfalls aus etwa sechs Panzerdivisionen (davon zwei der SS), neun Infanterie/Gebirgs/Jägerdivisionen und zwölf Divisionen der Ungarn bestanden haben. Keine war noch auf Sollstärke: Eine frische deutsche Infanteriedivision hätte laut Plan 16.500 Mann zählen sollen, eine Heeres-Panzerdivision 11.400 Mann und 80 bis 120 Kampfpanzer; man wird die HG Süd damals auf etwa 300.000 bis 400.000 Soldaten und 400 bis 600 Panzer und Sturmgeschütze taxieren können. Das IV. SS-Panzerkorps, das Ende Dezember nach Ungarn beordert worden war, hatte anfangs jedenfalls sicher etwa 300 Panzer gezählt. (Der Autor freut sich über fundierte genauere Zahlen, Anm.).

Zwei sowjetische Fronten

Nördlich der Donau stand der 8. Armee der HG Süd die 2. Ukrainische Front des Marschalls Rodion Malinosksi (1898-1967) entgegen, ein Verband aus mindestens vier Armeen und einer Panzerarmee, zusammen mindestens 400.000 Mann mit mehr als 500 Panzern. Zwischen Donau und Drau wiederum stand die 3. Ukrainische Front des Marschalls Fjodor Tolbuchin (1894-1949), sie war von vergleichbarer Größe wie Malinowkis Front, mit etwas weniger Panzern (mehr als 400), doch zuzüglich der 1. Bulgarischen Armee (100.000 Mann) an der linken Flanke im Mündungsgebiet der Drau in die Donau und mehreren rumänischen Divisionen weiter hinten.

Marschall Rodion Malinowski
Marschall Rodion Malinowskiuahistory.info
Marschall Fjodor Tolbuchin
Marschall Fjodor TolbuchinWikipedia

Alles zusammen war die HG Süd zwar noch imstande, ihre Stellungen zu halten, vereinzelt taktische Gegenangriffe zu fahren und nur langsam zu weichen, aber angesichts weit überlegener und verschwenderisch ausgestatteter Sowjettruppen, die auch rücksichtslos ins Feuer geworfen wurden, blutete sie samt ihren Verstärkungen langsam aus - wobei hinzugefügt sei, dass die Luftherrschaft seit langem im wesentlichen auf die Rote Luftwaffe übergegangen war und das den deutschen Panzereinheiten in den Ebenen Ungarns arg zusetzte.

Der Hammer: die 6. SS-Panzer-Armee

Ende Jänner wurde die 6. SS-Panzerarmee - der eigentliche Hammer, der die Offensive möglich machen sollte - vom Oberrhein nach Westungarn verlegt. Das dauerte wegen der Störungen im Zugsverkehr recht lange, das Unternehmen lief unter Geheimhaltung. Man verbreitete, die Armee sei an die Oder unterwegs, hohe Offiziere erhielten Tarnnamen, einschlägige Abzeichen an den Uniformen durften nicht getragen werden. Die Truppenzüge fuhren, meist bei Nacht, über Dresden, Prag, Brünn und Wien, dann ging es Richtung Győr. Die Panzerarmee war einer der letzten intakten und gut gerüsteten Großverbände der Deutschen.

Sein harter und fanatischer SS-Kern, der sich unter der ungarischen Bevölkerung bald unangenehm bemerkbar machte, bestand aus zwei Korps mit gesamt vier Panzerdivisionen: der 1. („Leibstandarte Adolf Hitler"), 2. („Das Reich"), 9. („Hohenstaufen") und 12. („Hitlerjugend"). Man hatte diese Verbände, die in den Ardennen schwer angeschlagen worden waren, wieder überraschend gut aufgefüllt, jedenfalls mit Mannschaften: Die Leibstandarte etwa hatte mehr als 19.000 Mann, die Hohenstaufen 19.400, insgesamt etwa 85 Prozent des Solls.

Königstiger
KönigstigerBundesarchiv

Der Ersatz war allerdings großteils jung und unerfahren, oder frisch genesen, und stammte häufig aus Einheiten der Luftwaffe und Marine. Vor allem betrug der Fahrzeug- und Artilleriebestand nur 40 bis 70 Prozent des Solls. Zur Veranschaulichung: Die „Leibstandarte" hätte laut Plan am 1. Dezember 1944, vor der Ardennenoffensive, die hohe Zahl (SS-Divisionen waren größer als die der Wehrmacht und die Leibstandarte war sogar innerhalb der SS sehr groß) von 195 Kampfpanzern aufweisen sollen, am 31. Jänner 1945 sogar 230 zuzüglich 100 (!) Sturmgeschützen. Für letzteren Tag aber waren nur 39 Panzer und 29 StuGs als fahrbereit gemeldet, weitere 51 Panzer und drei StuGs wurden als „in kurzfristiger Instandsetzung", also in Kürze wieder verfügbar, gemeldet.

Um diese vier Panzerdivisionen herum waren weitere Großverbände in die 6. SS-Panzerarmee integriert, vor allem zwei Panzerdivisionen des Heeres, drei Infanteriedivisionen, zwei Kavalleriedivision und mindestens drei Divisionen der Ungarn. Einige der Divisionen stießen erst ab Beginn der Offensive hinzu. Auch die 44. Reichsgrenadier-Division „Hoch- und Deutschmeister", die ihre Aufstellungstradition zum gleichnamigen Wiener Hausregiment zurückführt und lange eine großteils ostösterreichisch-bayerische Division war, fand sich in dieser Panzerarmee.

Ein prototypischer Nazi-General

Deren Befehlshaber war die prototypische Verkörperung einer im Rahmen des Nazi-Systems möglichen militärischen Karriere eines ursprünglich militärischen Laien: Josef „Sepp" Dietrich (1892-1966), ein Bayer aus dem Unterallgäu. Der Sohn von Landarbeitern hatte in der Schweiz eine Hotelfachlehre gemacht, war im I. Weltkrieg bei der Artillerie und 1918 in einer der ersten deutschen Panzereinheiten. Nach 1918 war er in bayrischen Freikorps aktiv, arbeitete bei einer Tankstelle, geriet 1925 in die Kreise der NSDAP und bald in die der SS, Hitlers Leibgarde.

Sepp Dietrich 1941 im Griechenland-Feldzug
Sepp Dietrich 1941 im Griechenland-FeldzugBundesarchiv

In dieser Formation erklomm er immer höhere Ränge, wirkte an der Entmachtung der SA mit, ließ Gegner hinrichten, schuf aus dem ursprünglichen kleinen SS-Trupp „Leibstandarte SS Adolf Hitler" ein ganzes Infanterieregiment und zog damit in den Krieg, in Polen, Belgien, Frankreich, am Balkan, in Russland, zog damit eine Spur von Kriegsverbrechen ebenso wie eine von zweifelsfreien militärischen Leistungen (© Manfried Rauchensteiner, „Der Krieg in Österreich 1945“). Er baute die Leibstandarte im Rahmen der sich entfaltenden Waffen-SS weiter aus, zur Division, zum Korps.

Im September 1944 bekam der Mann mit dem rauen Charme und dem Image des Anpackers, mittlerweile Generaloberst und als SS-Oberst-Gruppenführer im höchsten Rang der SS unter dem Reichsführer SS Heinrich Himmler, seine eigene, die 6. Panzerarmee; man stellte sie am Oberrhein auf.

Noch einmal Dietrich (li.), Jänner 1945
Noch einmal Dietrich (li.), Jänner 1945Bundesarchiv (Roeder)

Anfang März 1945 wird Dietrichs Armee der wichtigste Hammer vor Budapest sein. Der Plan: Im Rahmen der Offensive „Frühlingserwachen" soll diese Armee aus der schmalen, knapp 40 Kilometer breiten Landfläche zwischen dem Ostzipfel des Plattensees und dem kleinen Velencei-See, der auf halbem Weg nach Budapest liegt, nach Osten hervorbrechen, in der Landenge liegt Stuhlweißenburg (Székesfehérvár). Die 6. Armee (Balck) – sie bekommt wie die meisten übrigen Armeen der HG Süd (mäßige) Verstärkungen - deckt den Raum nördlich der 6. SS-Panzerarmee, also deren linke Flanke gegenüber Budapest. Zwischen Balck und die Donau bei Tatabánya und Komárom ist die 3. Ungarische Armee primär zur Verteidigung geschoben, während vom Südzipfel des Balaton die 2. Panzerarmee nach Osten über Kaposvár angreift. (Siehe die Karte unten, wo auch die sowjetischen Gegenangriffe bereits eingezeichnet sind; es wirkt verwirrender, als es ist,  und es ist so ziemlich die beste verfügbare Karte).

Die Donau in Griffweite

Das Ziel: Von der Durchbruchszone zwischen den Seen bei Stuhlweißenburg müsste Dietrichs Panzerarmee sich nur etwa 30 bis 55 Kilometer nach Osten zur Donau vorkämpfen und dort teilen: Ein Teil fährt die Donau hinauf nach Norden bis Budapest und kesselt dabei bestenfalls drei bis vier Armeen Tolbuchins ein oder wirft sie über den Fluss; der andere Speer stößt die Donau südlich hinunter und vereint sich im Raum Mohács mit Einheiten der balkanischen Heeresgruppe E, die zuvor die Drau überschritten haben.

Dieser Angriff über die Drau namens „Unternehmen Waldteufel" wird aber von relativ schwachen und wenig motorisierten Verbänden vorgetragen: einer Division Infanterie, einer Jäger- und einer Luftwaffenfelddivision zusammen mit kroatischen und kosakischen Einheiten. In Verband mit dem dritten Element - dem Angriff der 2. Panzerarmee von Westen - soll es, so der Plan, trotzdem gelingen, in den südungarischen Ebenen zwischen Donau und Drau rund um Pécs noch zwei Armeen Tolbuchins und die eine der Bulgaren zu schlagen und insgesamt die ganze 3. Ukrainische Front vom Feld zu nehmen.

Operation
Operation "Frühlingserwachen" (schwarze Pfeile) samt sowjetischer Folge-Offensive auf Wien (rot)Der große Atlas zum Zweiten Weltkrieg (1973)

Die 8. Deutsche Armee nördlich der Donau wirkt in der Offensive nicht mit. Ohne diese stehen in den ersten Märztagen schätzungsweise mindestens 450.000 Mann für den Gesamtkomplex „Frühlingserwachen" bereit, in etwa 30 Divisionen, davon elf oder zwölf Panzerdivisionen. 100.000 bis 140.000 Mann allein sind in Dietrichs Panzerarmee, die auch das Gros der Artillerie, der Panzer und Sturmgeschütze, Jagd- und Schützenpanzer ballt.

Das beste Gerät des Reichs

Dabei werfen die Deutschen ihr bestes Gerät in den Kampf: Panther, Tiger und Königstiger-Panzer; die flachen, schnittigen „Jagdpanther“-Jagdpanzer; die schweren, ja objektiv viel zu schweren „Jagdtiger", rollende, 70 Tonnen schwere Stahlbunker mit brutal zuschlagenden 128-mm-Kanonen; natürlich viele ältere, so gut es geht kampfwertgesteigerte Panzer IV; Panzerhaubitzen wie „Wespe" und „Hummel"; Flak-Panzer, und so fort.

Jagdpanther
JagdpantherArchiv
Jagdtiger: Riesig, zu schwer, kaum zu gebrauchen
Jagdtiger: Riesig, zu schwer, kaum zu gebrauchentaringa.net

Mehr als 700 Kampfpanzer sind für die Offensive gesamt bereit, es ist gar die Rede von fast 900, und einige deutsche Historiker sprechen sogar davon, dass die HG Süd später mit Stichtag 15. März rund 1800 Panzer in den Listen hatte - es seien aber gut 1000 davon in Service oder Reparatur gewesen oder aus anderen Gründen nicht zum Einsatz gekommen. Diese Zahl dürfte indes nicht nur Kampfpanzer, sondern auch Sturmgeschütze und Jagdpanzer umfassen.

Was allerdings diese „anderen Gründe" betrifft: Der wichtigste war das Wetter. Schon Ende Februar hob frühlingshaftes Tauwetter an, der Winter war streng gewesen, der Schnee schmolz und verwandelte das absehbare westungarische Kampfgebiet, ja die Regionen herum noch bis Ostösterreich in weiche, morastige Landschaften. Dazu kam starker Regen, der die Böden und die vielen unbefestigten Wege weiter aufweichte, das viele Wasser floss schlecht ab und es bildeten sich flache Steppenseen.

Eine Orgie von Schlamm

Auf den wenigen festen Anmarschstraßen standen die Kolonnen und waren für sowjetische Flieger gut zu sehen, was indes für diese keine Überraschung mehr war: Moskau hatte Anfang Februar von Amerikanern und Briten Infos bekommen, wonach die Deutschen Truppen von Westen nach Osten verlegten. Die Informationen waren zwar unpräzis und dank der deutschen Täuschungen teils irrig (es war die Rede von zwei Angriffsschwerpunkten in Pommern sowie im Raum Wien und Mähren), die Russen aber fanden heraus, wo der Hase wirklich im Pfeffer lag.

"Leibstandarte" in Ungarn, 1945Archiv

Interessanterweise hatte man bei der HG Süd zeitgleich erkannt, dass die Russen ihrerseits dabei waren, eine Offensive von Ungarn nach Österreich vorzubereiten: Am 25. Februar hielt der Generalstab des Heeres in Berlin fest: „Aufgabe der 2. und 3. Ukrainischen Front wird vermutlich sein, durch Vorstoß aus dem ungarischen Raum mit Schwerpunkt beidseits der Donau in das Wiener Becken und in den ostmärkischen Raum vorzustoßen (...) mit einer späteren Weiterführung der Operationen in Richtung Pilsen – Prag (...) Das Schwergewicht der 3. Ukrainischen Front dürfte im Raum nördlich des Plattensees liegen zum Stoß in Richtung Wiener Becken, zu dessen südlichem Flankenschutz der Angriff von Teilkräften in Richtung Marburg – Steinamanger in Rechnung gestellt werden muss."

Damit waren die später folgenden Ereignisse fast exakt vorweggenommen, wenngleich die Planung der Sowjets ursprünglich einen anderen Schwerpunkt gehabt hatte, nämlich nördlich der Donau bei der 2. Ukrainischen Front. Deren Marschall Malinowski hätte am 15. März angreifen, die 8. Deutsche Armee werfen und über Pressburg nach Wien und Mähren rollen sollen; Tolbuchin südlich der Donau hätte primär flankierende Aktionen mit Hauptstoßrichtung ins Mittelburgenland, die Steiermark und Slowenien durchführen sollen, inklusive der Eroberung des westungarischen Ölgebietes.

Russische Truppen in Ungarn
Russische Truppen in UngarnWikipedia

Als aber die Russen die heranziehende deutsche Offensive am Balaton bemerkten und trotz aller Tarnung Dietrichs SS-Truppen identifizierten, verlegten sie den Schwerpunkt und wählten den Linksausleger: Tolbuchins Front, so das Kalkül, würde standhalten, bekam Verstärkungen, bereitete dichte Abwehrlinien inklusive Minengürtel und Pak-Riegel vor. Man war auch artilleristisch haushoch überlegen. Die Devise hieß: Kommen lassen, zerschlagen und unter Zuführung frischer Armeen aus Malinowskis Front (unter anderem der 6. Garde-Panzerarmee und der 9. Garde-Armee) im selben Raum zum Gegenangriff Richtung Wien antreten.

In den Granatenregen

Die Deutschen indes hielten trotz des üblen Wetters an ihrem Angriffstermin – 6. März – fest, ja mussten es erst recht, wollten sie den Sowjets zuvorkommen. Da halfen weder die angewiderten Berichte der Truppenführer, die den Kampfraum erkundeten, noch die Mahnungen ungarischer Offiziere, wonach sich das aufgeweichte, landwirtschaftlich genutzte Flachland zwischen Stuhlweißenburg und Donau zu der Jahreszeit nicht als Angriffsgebiet eigne; die schweren Panzerfahrzeuge würden hier trotz Ketten hängenbleiben, für Soldaten zu Fuß sei es eine Schinderei.

Deutsche Truppen in Ungarns Ebenen
Deutsche Truppen in Ungarns Ebenen carnets-de-guerre

Auch höchste Offiziere der HG Süd waren skeptisch, wegen der Kräfteverhältnisse ebenso wie ob der natürlichen Verhältnisse: General Balck von der 6. Armee etwa sagte am 19. Februar zu General Wöhler, dass angesichts der Schlammperiode „das gesamte Material in kürzester Zeit zugrunde gehen" müsse. Versuche sogar seitens der 6. SS-Panzerarmee, den Angriff einige Tage zu verzögern, wurden von Hitler und den Stäben in Berlin abgewehrt.

"Gegen Mitternacht vom 5. auf den 6. März näherte sich die Kampfgruppe Hagen ihren Ausgangspositionen. Ihre Panzer, denen das Wasser bis zur Wanne stand, schoben schäumende Bugwellen vor sich her. Die Infanteristen tapsten stumm und im Gänsemarsch durch die Finsternis, wobei sich jeder beim Vordermann festhielt. Als grau der Morgen dämmerte, sahen sie im undeutlichen Licht weite Wasserflächen vor sich. Dann wummerten deutsche Granaten über ihre Köpfe: Artillerie schoss Vorbereitungsfeuer. Die Panzersoldaten sahen einander stolz an. Aber im gleichen Augenblick ging ein Hagel russischer Granaten und Werfergeschosse nieder: Die Sowjets legten auf das ganze Gebiet ein Sperrfeuer, gegen das das eigene erbärmlich wirkte, ein fürchterliches Schauspiel. Die Infanteristen saßen in der Falle; sie konnten sich, da das Wasser an die 30 Zentimeter hoch stand, nicht eingraben. Die meisten fielen oder wurden verwundet.“ (Toland, „Das Finale")

Deutsche Infanterie beim
Deutsche Infanterie beim "Vormatsch" Der große Atlas zum Zweiten Weltkrieg

Tatsächlich wird der Angriff frontweit ein Fiasko. Während die Amerikaner in Köln eindringen und einen Tag später, am 7. März gegen Mittag, die Rheinbrücke von Remagen nördlich Koblenz unversehrt einnehmen, fahren, nein wühlen sich die deutschen Panzer durch Schlamm und Wasser nur langsam voran und fahren ins Feuer von Artillerie und Pak-Riegeln und in Minenfelder - sofern sie fahren: Hunderte Panzer schaffen den Weg aus den mittelgebirgigen, bewaldeten, relativ geschützten Bereitstellungsräumen nördlich des Balaton und Stuhlweißenburgs aus technischen und organisatorischen Gründen und ob des Straßenzustands nicht; in viele Motoren und Benzintanks ist Wasser gekommen, sie springen vorerst nicht an.

Die Panzer bleiben liegen

„Die Wege sind katastrophal“, schreibt Dietrich in der Tagesmeldung vom 6. März. Viele Panzer werden auch absichtlich nicht in den Angriff geschickt, da es sinnlos scheint. Stattdessen greifen oft Infanterieregimenter zu Fuß und Panzergrenadiere in Schützenpanzern an, die wiegen weniger als Panzer und kommen mit dem Gelände eher zurecht.

Eine Vorstellung vom Kampfraum
Eine Vorstellung vom KampfraumBundesarchiv
Eine Vorstellung vom Kampfraum
Eine Vorstellung vom Kampfraumwaralbum.ru

Die Sowjets ihrerseits ziehen einen Geschosswasserfall hoch, gegen den der Beschuss der deutschen Artillerie wie ein erwachender Frühlingsregen wirkt: In ihrem 40 Kilometer breiten, nein schmalen Angriffsstreifen wird Dietrichs Panzerarmee von etwa 400 Geschützen unterstützt. Die Russen (hier vor allem die 27. Armee) hatten bis zu 65 Geschütze und Raketenwerfer pro Kilometer aufgebaut, also um die 2600, eine 6,5fache Überlegenheit, ganz abgesehen von zusätzlich 28 Pak pro Kilometer. Und dafür haben sie auch genügend Munition, während die deutschen Kanoniere - übertrieben gesagt – vor jedem Schuss ein Antragsformular ausfüllen müssen.

Russische Artillerie
Russische ArtillerieWikipedia

So bleibt die letzte Offensive des kollabierenden NS-Reichs binnen weniger Tage stecken. Die 6. SS-Panzerarmee entwickelt zwar zwei größere Stoßkeile und kann in den ersten Tagen mehr Panzer nach vorn werfen, ein letztes Aufbäumen der Luftwaffe schafft Aufwind, es gelingen Einbrüche von 15 bis knapp über 40 Kilometer, der tiefste reicht von der Balaton-Nordspitze bis zum Städtchen Simontornya im Südosten. Auf Höhe von Stuhlweißenburg, wo die Donau am nächsten ist, mickrige 30 Kilometer, drücken „Das Reich", „Hohenstaufen" und Einheiten der 6. Armee, darunter die 5. SS-Panzerdivision „Wiking", die Verteidiger etwa 22 Kilometer zurück, der Donaustrom ist fast in Sichtweite, aber dann geht in der brettlebenen, baumlosen, von Bächen und Bewässerungskanälen durchzogenen Schlammebene nichts mehr.

"Waldteufel" scheitert an Bulgaren und Serben 

Südlich des Plattensees war der Stoß eines Korps der weitgehend panzerlosen 2. Panzerarmee mit drei Divisionen nach wenigen Kilometern hängengeblieben und erreichte nicht einmal Kaposvár. Unter den Truppen waren hier Reste der kroatischen SS-Gebirgs-Einheit „Handschar“, einer aus bosnischen Muslimen und zuletzt auch „Volksdeutschen" rekrutierten Division, die im Partisanenkrieg am Balkan durch exzessive Gewalt und Gräueltaten aufgefallen war.

Nach der Schlacht am Balaton
Nach der Schlacht am BalatonRote Armee

An der Drau gelang den Einheiten von „Waldteufel", alles zusammen etwa 50.000 Mann, an mehreren Stellen der Brückenschlag und die Schaffung größerer Brückenköpfe; dann ging gegen die Bulgaren des Generals Wladimir Stojtschew (1892-1990), die russische Verstärkungen bekamen, sowie gegen die Partisanen der 3. Jugoslawischen Armee von General Kosta Nađ (1911-86) nichts mehr.

Stojtschew war Absolvent der Theresianischen Militärakademie in Österreich und als Spring- und Dressurreiter Teilnehmer der Olympischen Spiele in Paris 1924 und Amsterdam 1928 gewesen.

General Wladimir Stojtschew
General Wladimir Stojtschewgenerals.dk
General Kosta Nađ (Mitte)
General Kosta Nađ (Mitte)Wikipedia/Mladifilozof

Ab etwa dem 10. März wurde das Wetter besser und die Böden fingen langsam an zu trocknen, doch der Schwung war gebrochen, die letzten Reserven in den Angriff geworfen und nirgends hatte man die Russen geknackt - ihre Verbände, zwar teils schwer mitgenommen, hatten sich stets, wenn es nicht anders ging, zurückgezogen und nur wenige Gefangene verloren. Am 14. war endgültig Schluss, und nachdem die Gegend wieder panzertauglicher geworden war ließ Tolbuchin am 16. März seine mittlerweile auf mehr als 700.000 Mann verstärkten Armeen los.

Jetzt kommen die Russen

Ein gewaltiger Feuerüberfall (bis zu 170 Geschütze und Werfer pro Kilometer) leitete die Gegenoffensive zweier Armeen an einer heiklen Stelle ein: nördlich des Velencei-Sees bis nach Tatabánya, auf weniger als 35 Kilometer Breite. Dort hielt zwar die 6. Armee Balcks wie geplant die Stellung, aber sie hatte schwere Verluste erlitten und die Sowjets prügelten sich gezielt in die Nahtstelle zur zusehends, auch durch Desertionen, unzuverlässig gewordenen 3. Armee der Ungarn nördlich davon hinein. Gleichzeitig griffen sie am Südufer des Balaton entlang Dietrichs SS-Armee von der Unterseite an, das Ziel war klar: Hinter Stuhlweissenburg die Ost-Ausstülpung der Panzerarmee abzuzwicken, ein Kessel drohte. Die „Wiener Angriffsoperation" der Roten Armee hatte begonnen.

Vom 6. März bis zu diesem Tag hatten die Verluste der Roten Armee in der Abwehrschlacht nach eigenen Angaben etwa 33.000 Mann (davon 8500 Tote) betragen, die Panzerverluste dürften bei mehr als 200 gelegen haben, das war doch rund die Hälfte des Anfangsbestands der 3. Ukrainischen Front des korpulenten Tolbuchin. Die Deutschen verloren mehr als 12.000 Mann; zu den Gefechts-Totalverlusten an Panzern indes gibt es überraschende Zahlen: Es sollen bis dahin nur etwas mehr als 30 (!) gewesen sein. Das sei einerseits eine Folge der puren Stärke der deutschen Panzer, aber auch der Tatsache, dass nur relativ wenige in den Einsatz fuhren. Weitaus mehr wurden beschädigt aus dem Feld genommen oder fielen durch Defekte auf dem Marsch aus (Getriebe und Motor waren Schwachpunkte). Die 6. SS-Panzerarmee soll am 15. März nur 185 fahrbereite Panzer gehabt haben.

Hunderte Panzer zurückgelassen

Erst mit Beginn der Sowjet-Offensive seien die deutschen Panzerverluste explodiert. Auch da handelte es sich oft nicht um Totalschäden, denn in der Verteidigung waren Panther, Tiger und Co. mit ihren weitreichenden Kanonen schwer zu überwältigen: Vielmehr wurden hunderte Panzer defekt, mit leeren Tanks, im Boden festgefahren oder aus Panik zurückgelassen, die Russen fanden ganze Kolonnen in den Wäldern nördlich des Balaton.

Es ging dann ab 16. März sehr schnell. Die SS-Panzerarmee setzte sich hinter ihre Ausgangsstellungen ab und tauschte den Platz mit der Armee Balck, um nach Norden hin zu verteidigen, während nun Balck die Linie zwischen den Seen hielt. Jetzt aber krachte die Armee der Ungarn, auch Stuhlweißenburg ging verloren, am 21. März, worauf Balck der Einschluss drohte.

Deutsche Kolonne in den Wäldern nördlich des Plattensees
Deutsche Kolonne in den Wäldern nördlich des Plattenseesww2incolor.com

Es entwickelte sich daraus jene komplizierte Situation, die zu Hitlers Bruch mit seiner SS und dem berühmten „Ärmelstreifen-Befehl" führte. Simpel erklärt: Balck, schwer unter Druck, bekam von Dietrichs Armee nicht nur keine Verstärkungen (woher auch) sondern musste, wie er später berichtete, zusehen, wie sich die angrenzende Hohenstaufen-Division ohne auf Ablösung zu warten nach Westen absetzte. Überhaupt kam die ganze SS-Armee ins „Rutschen", die Männer verloren sichtlich (angesichts der Lage wohl verständlich) die Nerven, die Fluchtbewegung setzte ein. Nur mit Glück konnte Balck seine Einheiten durch einen schmalen Schlauch nördlich des Balaton zurücknehmen und sich dem Rückzug anschließen, im Zuge dessen wie gesagt hunderte Panzer, Geschütze und andere Fahrzeuge zurückgelassen wurden, weit mehr, als im Gefecht verloren gegangen waren.

Laut Tagebuch der HG Süd vom 24. März 1945 zählte etwa die SS-Division „Das Reich" noch sieben einsatzbereite Panzer und zehn Sturmgeschütze; die 6. Panzerdivision (Heer) 23 Panzer und fünf StuGs; die 13. Panzerdivision (Heer) war mit 36 Panzern und zwölf StUGs geradezu ein Großverband. Die 357. Infanteriedivision (Heer) zählte noch 6010 taugliche Männer, die 71. Infanteriedivision 1119. Die 20. Ungarische Division meldete sagenhafte acht (!) Mann und eine Panzerabwehrkanone.

Hitler entehrt seine Prätorianer

Hitler tobte über das „Versagen" der SS und erließ den Befehl, die Männer Dietrichs sollten sich die hoch verehrten Streifen an den Ärmeln mit den Divisionsnamen abreißen. Guderian berichtet genüsslich, Hitler habe ihn nach Ungarn fliegen lassen wollen, um dieses Symbol der Entehrung zu übermitteln, aber der Panzergeneral lehnte ab: „Ich schlug ihm vor, den gerade anwesenden Reichsführer SS (Himmler, Anm.), den direkten und für die Manneszucht verantwortlichen Vorgesetzten der Waffen-SS, mit diesem Auftrag zu versehen und in Ungarn selbst nach dem Rechten sehen zu lassen. Dieser hatte bisher jeden Einfluss des Heeres auf seine Verbände abgelehnt; jetzt wand er sich, aber es blieb ihm nichts anderes übrig, zumal ich wichtigeres zu tun hatte. Viel Liebe hat er sich damit bei seiner Waffen-SS nicht erworben."

Ärmelstreifen einer der SS-Divisionen
Ärmelstreifen einer der SS-Divisionengermandaggers.com
Beispiel für die Trageweise: Offiziere der Division
Beispiel für die Trageweise: Offiziere der Division "Großdeutschland", 1944 in Rumänien(c) Bundesarchiv (Scheerer)

Als Dietrich von dem Befehl erfuhr, riss er, wie berichtet wird, sein Ritterkreuz mit Brillanten von der Jacke und warf es klirrend in eine Ecke. Den Befehl gab er nicht weiter – es wäre auch sinnlos gewesen: Die Männer hatten nämlich ihre Ärmelstreifen aus besagten Tarngründen sowieso schon vor dem Eintreffen in Ungarn entfernen müssen.

Deutscher Rückzug
Deutscher RückzugBundesarchiv (Woscidlo, Wilfried)

Die HG Süd brach nun rasch zusammen, setzte sich nach Westen ab, wurde aufgespalten, ein Teil (darunter die 6. SS-Panzerarmee) gelangte in den Raum Wien und Mähren, der andere (darunter Balcks 6. Armee) Richtung Graz und Slowenien. Am 29. März fuhren Panzereinheiten der 6. Garde-Panzer-Armee der 3. Ukrainischen Front bei Klostermarienberg, einem Dorf im mittelburgenländischen Bezirk Oberpullendorf unweit des heutigen Thermenortes Lutzmannsburg, über die Grenze Österreichs, in 140 km Luftlinie von den Ausgangsstellungen der SS-Armee Dietrichs bei Stuhlweißenburg am Balaton.

Der letzte Akt in Österreich

„Wir sind über die große Linie geschritten", hieß es in einer russischen Meldung. Wenige Tage später, zwischen 4. und 6. April, begann die Schlacht um Wien.

Russen (vorne: SU-76 Panzerjäger/Panzerhaubitze) in Niederösterreich, vermutlich Kirchschlag (Bucklige Welt), April 1945
Russen (vorne: SU-76 Panzerjäger/Panzerhaubitze) in Niederösterreich, vermutlich Kirchschlag (Bucklige Welt), April 1945thefewgoodmen.com

General Heinz Guderian wurde von Hitler am 28. März nach einem Streit (es hatte derer viele gegeben) auf Urlaub geschickt. Er fuhr samt seiner Frau in ein Sanatorium bei München, um sich wegen Herzproblemen zu kurieren, ging im Mai nach Tirol und am 10. Mai in US-Gefangenschaft. Nach seiner Entlassung 1948 schrieb er Bücher (auch über die Verteidigung Europas gegen den Osten), traf sich mit ausländischen Offizieren zu „Reflektionen", beriet die Vorläuferorganisation der Bundeswehr. Er starb Mai 1954 in Schwangau bei Füssen (Ostallgäu) an der Grenze zu Tirol.

General Alfred Jodl unterzeichnete im Auftrag des neuen Staatsoberhaupts Großadmiral Karl Dönitz am 7. Mai 1945 in Reims (Frankreich) die Kapitulation der Wehrmacht. Er wurde in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen zum Tod verurteilt und im Oktober 1946 hingerichtet.

Ferenc Szálasi floh mit Mitgliedern seiner Regierung über Wien nach Bayern, stellte sich am 1. Mai US-Soldaten und wurde im Oktober nach Ungarn ausgeliefert, wo er Februar 1946 von einem Volksgericht wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode verurteilt wurde. Man hat ihn und mehrere faschistische Mitstreiter im März 1946 in Budapest öffentlich gehängt.

General Otto Wöhler wurde Anfang April als Chef der HG Süd ersetzt. In den Nürnberger Prozessen wegen Verbrechen der Wehrmacht (OKW-Prozesse) wurde er 1948 zu acht Jahren Haft verurteilt, kam aber 1951 frei. Er war im Stadtrat von Burgwedel nahe Hannover, saß Vereinen und Stiftungen vor und hinterließ nach seinem Tod im Februar 1987 eine nach ihm benannte gemeinnützige, nicht unumstrittene Stiftung zur Unterstützung Bedürftiger.

General Hans Kreysing schlug sich nach der deutschen Kapitulation von Mähren zu Fuß nach Norddeutschland durch, ging in britische Gefangenschaft. Nach der Enthaftung 1948 arbeitete er ehrenamtlich im Roten Kreuz und betrieb mit seiner Frau lange eine Pension auf der Nordseeinsel Norderney. Er starb im April 1969 und wurde in Oldenburg (Niedersachsen) begraben.

Generaloberst József Heszlényi (er war von Geburt Deutsch-Slowake und hatte die Technische Militärakademie in Mödling, NÖ, besucht) floh mit Resten seiner Truppen nach Österreich, ging in US-Gefangenschaft, sein Ende ist unklar: Es heißt, er sei den Russen übergeben und in ein Lager in die UdSSR verbracht worden, wo er sich im Juni 1945 umgebracht habe; es gibt auch die Version, wonach der Selbstmord im Mai im Raum Zwettl (NÖ) geschehen sei.

General Hermann Balck ergab sich in der Obersteiermark den Amerikanern, kam 1947 frei, wurde von einem deutschen Gericht wegen illegaler Erschießung eines im Dienst betrunkenen Offiziers (es hatte rechtswidrig ohne Standgericht stattgefunden) zu drei Jahren Haft verurteilt, aus der er vorzeitig freikam. Frankreich verfolgte ihn erfolglos wegen der Zerstörung einer Kleinstadt in den Vogesen Ende 1944. Später lebte er ruhig und schrieb Bücher, er starb im November 1982 in Baden-Württemberg.

General Maximilian de Angelis geriet in der Steiermark in US-Gefangenschaft, wurde an Jugoslawien ausgeliefert, dort 1948 zu 20 Jahren verurteilt, aber kurz danach an die Sowjets weitergereicht, die ihn zu 50 Jahren Gefängnis verurteilten. 1955 ließ man ihn frei, wohl infolge des Besuchs des deutschen Kanzlers Konrad  Adenauer in Moskau, er lebte ein ruhiges Leben in München und später in Graz, wo er im Dezember 1974 starb.

Marschall Rodion Malinowski führte seine verkleinerte 2. Ukrainische Front nördlich der Donau nach Niederösterreich und Mähren, seine Truppen eroberten Wien östlich der Donau. Noch im Sommer übernahm er die Truppen im Fernen Osten und besiegte in einem schnellen Feldzug die Japaner in der Mandschurei, Korea und auf Sachalin. Nach dem Krieg war er noch lange in Fernost und von 1957 bis zu seinem Tod im März 1967 Verteidigungsminister der UdSSR.

Sowjets am Rand von Wien
Sowjets am Rand von WienWikipedia

Marschall Fjodor Tolbuchin, der bei seinen Truppen den Ruf hatte, mild zu sein und (für Sowjetgeneräle eher ungewöhnlich) auf niedrige Verluste zu achten, eroberte das Gros von Wien und der Steiermark sowie NÖ südlich der Donau bis zur Enns. Nach dem Krieg führte er bis zu seinem Tod im Oktober 1949 den Transkaukasischen Militärbezirk.

SS-General Sepp Dietrich ergab sich nahe Krems US-Truppen, während sowjetische Soldaten schon in der Umgebung waren. 1946 wegen Erschießung von US-Gefangenen durch seine Männer zu lebenslang verurteilt, kam er 1955 frei, fand einen Job in einer Werbeagentur, wurde von einem deutschen Gericht wegen Mordtaten an SA-Leuten („Röhm-Putsch" 1934) erneut verurteilt und wiederum vorzeitig (1959) enthaftet, wegen Herzproblemen. Dietrich blieb NS-Anhänger, wirkte in einem Interessensverein ehemaliger Waffen-SS-Leute (HIAG) und starb April 1966 in Ludwigsburg nahe Stuttgart.

Der bulgarische General Wladimir Stojtschew führte seine Armee über Slowenien nach Kärnten und traf bei Völkermarkt auf die aus Italien kommenden Briten. Er wurde vorübergehend Botschafter in den USA, in den 1950ern oberster nationaler Sportverantwortlicher und war bis in die 1980er Chef des bulgarischen Olympischen Komitees. 1990 starb er hochbetagt mit 98 Jahren in Sofia.

"Am Ende haben wir sie natürlich liquidiert"

Jugoslawen-General Kosta Nađ stieß mit seiner Armee in die Steiermark und nach Kärnten, was dort noch zu großen Problemen mit Briten und Amerikanern führte, bis die Partisanen auf Druck der Siegermächte abzogen. Vor allem aber begehen die Partisanen schlimme Racheakte und Übergriffe an geflohenen Gegnern, etwa Kroaten und serbischen Tschetniks, aber auch an deutschen und österreichischen Kriegsgefangenen und Zivilisten. Nach dem Krieg stieg Nađ in Jugoslawiens Militär auf, hatte hohe politische Ämter und starb im November 1986 in Belgrad. Noch 1985 hatte er, wie der US-Politologe Rudolph Rummel in seinem Buch „Death by Government" (1994) schreibt, in einem Interview angedeutet, was mit vielen Gefangenen sowie Personen, die fremde Mächte (etwa die Briten) den Partisanen übergeben hatten, denn so geschehen sei: Mindestens 150.000 Menschen seien es im Laufe der Zeit allein bei seiner 3. Armee gewesen. Und: „Am Ende haben wir sie natürlich liquidiert."

Hitlers Ärmelstreifen-Befehl hatte sich im März 1945 doch bis zur Truppe durchgesprochen. „Hagen rief seine Offiziere zusammen: ,Wir nehmen einen Nachttopf, werfen unsere Orden hinein und umwickeln ihn mit einem Ärmelstreifen der Division Götz von Berlichingen!´ - Aber sein Zorn verflog, die Kampfgruppe Hagen ging wieder in den Kampf."

ENDE

Nach dem Sieg, April/Mai 1945, Hofburg, Wien
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