Sechzig Jahre lang ein „Tagelöhner der Zeit“

THOMAS CHORHERR
THOMAS CHORHERR(c) APA/HERBERT PFARRHOFER
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Thomas Chorherr. Der „Presse“–Doyen hat seine Erinnerungen zu Papier gebracht. Darin sinniert er auch über die Rolle der Medien, über Eitelkeit und Selbstüberschätzung.

Am 1. März 1970 traute man weder bei der Volkspartei noch bei der SPÖ den unwahrscheinlichen Zahlen: Konträr zu allen Voraussagen überrundeten bei der Nationalratswahl die Sozialisten unter Bruno Kreisky die regierende Volkspartei.

Der Journalist und frühere langjährige „Presse“-Chef Thomas Chorherr erinnert sich 45 Jahre später an eine bezeichnende Episode, in der VP-Kanzler Josef Klaus und der Obmann der Freiheitlichen, Friedrich Peter, die Hauptrollen spielten. Klaus hatte eine tiefe Skepsis gegenüber dem „blauen“ Klubchef. „Im Fasching 1970, kurz vor den Wahlen, gab es im Parkhotel Schönbrunn einen Presse-Ball, an dem auch etliche ranghohe Politiker aller Parteien teilnahmen. Ich hatte eine Zeit lang die Gelegenheit, mit dem Bundeskanzler am Tisch zu sitzen, und auch da verkündete er mir seine Abneigung gegen die FPÖ und besonders gegen deren Vorsitzenden.“

Klaus hatte was gegen Peter

Chorherr wusste nichts über Motiv und Gründe dieses Widerwillens. „Dieser Friedrich Peter schien mir ein Beelzebub zu sein, mit dem Klaus nichts zu tun haben wollte. Er hielt mit dieser seiner Meinung auch nicht hinter dem Berg, vor allem nicht damals auf dem Presse-Ball. Er ließ dies jeden wissen, der es wissen wollte – und dies waren Vertreter aller Medien. Ich war daraufhin nicht mehr bereit, auch nur einen Groschen auf eine weitere absolute ÖVP-Mehrheit zu setzen.“

Damit stand er ziemlich allein. Denn die Demoskopen sagten zwar leichte Verluste der ÖVP voraus, aber keinesfalls einen Erdrutschsieg für Kreisky. So kam es, dass am Wahlabend viele zunächst an einen Rechenfehler glaubten.

Kreisky nicht. Gleich nach dem vorläufigen Endergebnis, das ihm eine relative Mehrheit versprach, ließ er Peter suchen, der mit einigen Vertrauten bei den Drei Husaren in der Weihburggasse saß. Er brauchte einen Mehrheitsbeschaffer, wenn auch nur für kurze Zeit. Und er bekam ihn.

Auch Chorherr sah darin nichts Verwerfliches. „Bei mir hatte sich der Eindruck verstärkt, dass die FPÖ sich durchaus mit den anderen demokratischen politischen Gruppierungen in diesem Land ideologisch messen konnte. Sie hatte gewisse Schmerzpunkte (so etwa konnte sie sich nicht mit dem Begriff einer österreichischen Nation anfreunden), hatte aber mit dem „Verband der Unabhängigen“, der in den zweiten Nationalratswahlen 1949 relativ erfolgreich gewesen war, weil ehemalige NS-Mitglieder erstmals wählen durften, im Grunde nur mehr wenig zu tun, obwohl sie aus dem VdU hervorgegangen war. Die FPÖ stellte sich jedenfalls in den Jahren nach dem Staatsvertrag wesentlich liberaler dar als der VdU.“

Das Ende vom Lied ist bekannt. Klaus hatte eine Koalitionsvariante freiwillig aus der Hand gegeben, Kreisky ergriff die Chance umgehend und dankend. Und regierte danach bis 1983.

Fels in der Brandung namens Zeitgeist

Sechzig Jahre lang ist Thomas Chorherr nun schon Journalist. Aus dem jungen Lokalreporter von einst ist ein weiser alter Mann geworden. Aber einer der wenigen großen Alten, die sich heute noch über die Unsinnigkeiten des vorgeblichen Zeitgeistes aufregen können wie ein Junger. Und sofort zum Handy greifen. Er lebt wie gewohnt tagtäglich mit „seiner“ Zeitung mit. Ärgert sich – und lobt (bisweilen).

Journalisten seien Tagelöhner der Literatur, sagte vor Jahren ein „Presse“-Redakteur. Chorherr verbesserte ihn: „Journalisten sind Tagelöhner der Zeit. Wir sind Historiker aus Neigung. Wir sind Dilettanten der Geschichtsschreibung.“ Und so hat es eben gedauert, bis der längstdienende Chefredakteur und spätere Herausgeber der „Presse“ aufschrieb, was nicht verloren gehen sollte. „Ich habe in meinem Leben nicht nur Päpste, sondern auch Unholde befragt“, sagt er. „Ich habe in all diesen Fällen nicht bewertet, sondern dargestellt. Der Bogen reichte da von Staatsoberhäuptern bis zu Unfallopfern.“

Alle hat er sie gekannt, die politischen Akteure eines halben Jahrhunderts. Schließlich war er in den Siebzigerjahren auch Chef des innenpolitischen Ressorts. Dass er – so wie viele von uns – den Umgarnungen Bruno Kreiskys erlag, der stets Neuigkeiten für uns auf Lager hatte, wer wollte ihm/uns das verargen? Bei seinen ungezählten Arbeitsessen gewann er aber auch Einsichten, die für die Einordnung gewisser politischer Vorgänge wichtig waren. So schildert er eine Unterredung mit Alois Mock, kurz vor der Volksabstimmung über das Atomkraftwerk Zwentendorf 1978. „Es hatte ursprünglich den Anschein gehabt, als ob es eine klare Mehrheit gebe: Aufsperren! Wir brauchen den Atomstrom“, schreibt Chorherr. „Dann aber verband Bundeskanzler Kreisky den Ausgang der Volksabstimmung mit seinem politischen Schicksal: Er trete zurück, wenn die Nein-Stimmen überwiegen, verkündete er. Das war für Mock, wie er mir über einem kleinen Schwarzen erläuterte, das Motiv, seine Partei auf Nein zu vergattern.“

Wie es ausging, ist bekannt: eine hauchdünne Mehrheit gegen Zwentendorf. Und Kreisky trat natürlich nicht zurück. „Aus heutiger Sicht war die Abstimmung richtig“, sagt Chorherr, „und auch, dass Kreisky blieb.“

Waldheim räumte das Feld

Manchmal holten sich die hohen Herren auch Rat beim Chefredakteur. So etwa Kurt Waldheim gegen Ende seiner Amtszeit. Während einer Autofahrt fragte ihn der Bundespräsident, ob er allen politischen Querelen und Widrigkeiten zum Trotz noch einmal kandidieren solle. „Wenn Sie mich fragen, Herr Bundespräsident . . .“, setzte Chorherr an. „Ich frage Sie ja“, sagte Waldheim. „Wenn Sie mich fragen, würde ich Nein sagen“. Waldheim hatte verstanden. Er räumte das Feld.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2015)

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