Massaker in Rechnitz: Mord als "Mitternachtseinlage"?

Kreuzstadl Westseite, Rechnitz
Kreuzstadl Westseite, Rechnitz(c) Wikipedia
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In der Nacht auf den 25. März 1945 sollen NS-Angehörige im Burgenland an die 200 Juden ermordet haben. Die genauen Umstände bleiben rätselhaft.

Das „Massaker von Rechnitz“ gilt als eines der rätselhaftesten Verbrechen von NS-Angehörigen in Österreich. Denn nicht nur, dass die Opfer bis heute nicht gefunden wurden, auch die Frage, wie genau sie ermordet wurden, ist nicht klar. Zwar gibt es Berichte, wonach NS-Angehörige, die zu Gast auf einer Feier waren, kränkliche Juden als „Mitternachtseinlage“ erschossen haben sollen, doch Beweise dafür fehlen bis heute.

Es ist März des Jahres 1945, der Zweite Weltkrieg neigt sich dem Ende zu. Die Rote Armee ist auf dem Vormarsch gen Westen. Der Donner ihrer Geschosse ist bereits im Burgenland zu hören, gemengt mit dem Lärm fahrender Züge. Ihre Fracht: Rund 600 Zwangsarbeiter, überwiegend ungarische Juden, die von Kőszeg nach Burg transportiert werden. Sie sollen bei der Errichtung des „Südostwalls“ helfen – Adolf Hitlers letztes Aufgebot gegen die Sowjets. An diesem Punkt beginnt das „Rätsel“ um Rechnitz.

Geht es nach dem britischen Journalisten David R. L. Litchfield, werden am 24. März 1945, einem Palmsonntag, knapp 200 der 600 Gefangenen in Rechnitz abgesetzt. Sie sollen zu schwach und kränklich sein, um Bauarbeiten zu tätigen. Gegen Mitternacht werden sie zum Kreuzstadel getrieben, wo andere Zwangsarbeiter tagsüber Gruben ausgehoben haben. Die Entkräfteten, so schreibt Litchfield 2007 in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, müssen sich nackt ausziehen und vor die Gruben stellen. Sie bilden die „Mitternachtseinlage“ für rund 20 Männer – Angehörige von Gestapo und SA, die kurz zuvor noch bei einem „Kameradschaftsabend“ am Schloss der Gräfin Margit von Batthyány getrunken und getanzt haben sollen. Die Männer legen ihre Waffen an, Schüsse fallen.

Litchfield weiter: „Nach dem Massaker werden die Leichen von 15 jüdischen Gefangenen begraben, die man eigens zu diesem Zweck verschont hat. Am folgenden Tag hielt man sie im Schlachthaus der Stadt gefangen, bevor (der Gutsverwalter der Gräfin Margit von Batthyány, Hans Joachim) Oldenburg und (NSDAP-Ortschef Franz) Podezin sie auch noch erschossen.“ Zehn Tage später erreichen die Sowjets Rechnitz. Batthyány wird nie zur Verantwortung gezogen, Podezin flieht, endet der Brite im Artikel.

„Massenmord, aber nicht aus einer Partylaune“

Bei der Geschichte des „Sensationsjournalisten“ Litchfield handle es sich um „Geraune und Hörensagen“, kritisiert der Berliner Antisemitismusforscher Wolfgang Benz 2007 im „Deutschlandfunk“. „Es gibt auch keine oder kaum vergleichbare Fälle, dass jetzt eine Partybelustigung von Prominenten dazu gedient hat, Judenmord zu begehen“, betont er. Außerdem, so der Historiker, hatten kurz vor Kriegsende „auch die ganz unentwegten Fanatiker eigentlich anderes im Sinn, nämlich ihre Haut zu retten“.

Ähnlich Winfried Garscha vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Er betont 2007 im „Spiegel“, dass der Mord an den rund 200 Juden keine spontane, sondern eine längst beschlossene Sache gewesen sei. „Überall wurden damals Marschunfähige umgebracht“, sagt Garscha unter Berufung auf Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft von 1945. Demnach habe Podezin gegen 23 Uhr eine Gruppe NS-Treuer von der Feier geholt und ihnen befohlen, die Juden zu ermorden. Garscha: „Es war unbestritten ein Massenmord, aber nicht aus einer Partylaune heraus.“

Tatsache ist, dass die rund 200 Leichen bis heute nicht gefunden wurden. Im Bericht des Gemeindeamtes Rechnitz „Über die Ereignisse 1944 bis 1956“ findet sich zwar ein Eintrag, in dem von Zwangsarbeitern, die „von früh bis spät Panzergräben in einer Tiefe von 3 m und einer Breite vom 7 m“ ausheben, geschrieben steht, ein Massaker ist jedoch nicht erwähnt. In den 1960er-Jahren werden 18 Leichen gefunden. 1966 und 1993 gibt es Suchaktionen, 2005 auch mit Spürhunden. Vergebens.

Margareta Heinrich und Eduard Erne verarbeiteten die ergebnislose Suche nach den Opfern im Film „Totschweigen“, Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek greift sie im Theaterstück „Rechnitz“ auf. Zur 70. Wiederkehr des Massakers haben Timo Novotny und Alfred Weidinger nun den Film „Árpad und Géza“ produziert. In Rechnitz gibt es seit den 1990er-Jahren die Gedenkinitiative „Refugius“. An der Ruine des Kreuzstadls wird jährlich am Palmsonntag der Opfer gedacht.

(hell)

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