Fall Bettauer: Ein Mörder als Held

  • Drucken

Vor neunzig Jahren starb der Schriftsteller Hugo Bettauer nach einem Mordanschlag. Die bürgerliche und nationale Presse lobte die "Befreiungstat“.

„Sehen wir dieses kleine Österreich von heute an. Wer hat die Presse und damit die öffentliche Meinung in der Hand? Der Jude! Wer hat seit dem unheilvollen Jahr 1914 Milliarden auf Milliarden gehäuft? Der Jude! Wer kontrolliert den ungeheuren Banknotenumlauf, sitzt an den leitenden Stellen der Großbanken, wer steht an der Spitze fast sämtlicher Industrien? Der Jude! Wer besitzt unsere Theater? Der Jude! Wer schreibt die Stücke, die aufgeführt werden? Der Jude! Wer fährt Automobil, wer prasst in  den Nachtlokalen, wer füllt die Kaffeehäuser, wer die vornehmen Restaurants, wer behängt sich und seine Frau mit Juwelen und Perlen? Der Jude!“ Derjenige, der diese antisemitische Suada von sich gibt, ist in dem Roman „Die Stadt ohne Juden“ österreichischer Bundeskanzler des Jahres 1922,  heißt Dr. Karl Schwertfeger und ist imstande bei seinen Zuhörern Leidenschaften zu wecken wie einst der Wiener Bürgermeister Karl Lueger.

Verfasst hat den Roman der jüdische Wiener Schriftsteller Hugo Bettauer, der sich ab 1910 nach einem abenteuerlichen Wanderleben in Wien niederließ, für diverse Zeitungen als Korrespondent arbeitete und als manischer Vielschreiber begann, wie am Fließband Romane zu schreiben. Mit dem Roman „Die Stadt ohne Juden“ wurde er 1922 mit einem Schlag in weiten Bevölkerungskreisen bekannt, doch das Buch mit dem Untertitel „Ein Roman von übermorgen“ brachte ihm nicht nur Ruhm ein, sondern auch Hass. Man erkannte in der Figur des Dr. Schwertfeger, der „aus Überlebensgründen“ beschließt, die jüdische Bevölkerung aus Österreich auszuweisen, den damaligen Bundeskanzler Ignaz Seipel wieder und es regnete antisemitische Beschimpfungen der christlich-sozialen und völkischen Öffentlichkeit.  Die Nachwelt hat in dem Roman eine Vorausahnung der Untaten der Nationalsozialisten gesehen, die sechzehn Jahre später tatsächlich begonnen haben, Wien von seiner jüdischen Bevölkerung zu entvölkern, gedacht war er als satirische Antwort auf die salonfähig gewordene Judenfeindlichkeit der postkakanischen Ersten Republik.

Bettauer hat nicht als erster und nicht als letzter Autor eine Judenvertreibung durchgedacht und ausformuliert, doch er war der modernste und suggestivste. Als erster bot er das Szenario eines wohlgeordneten administrativen Exodus. Innerhalb weniger Monate nach der Ausweisung der Juden tritt in dem provinziell gewordenen Wien Ernüchterung an die Stelle des Freudentaumels. Die Zeitungen sind langweilig geworden, man spielt in den Theatern nur mehr Ganghofer und Anzengruber, man trägt Lodenmode, die Wirtschaft stagniert. Wien versumpert.

Bettauer vertrat die Ansicht, er hätte ein „ganz amüsantes Romänchen hingehaut“, der Satz zeugt von einer erstaunlichen Naivität. Gedankenlos ist der Autor auch in der Verwendung der gleichen Juden-Stereotypen, die die antisemitischen Publizisten verwendeten. Ein zionistischer Abgeordneter im Parlament schließt sich den Argumenten des christlichsozialen Bundeskanzlers an. Bruno Kreisky hat sich zu dem von vielen Linken hochgepriesenen Bettauer eher abfällig geäußert. Als der Roman 1924 verfilmt wurde (übrigens mit Hans Moser in seiner zweiten Filmrolle) gab es Krawalle und Stinkbomben im Kino.

Romane für die "kleinen Leute"

So gut wie jeder hat in den zwanziger Jahren Hugo Bettauer gelesen, das beweisen die hohen Auflagen seiner Bücher, doch so gut wie keiner gab es zu. Seine Schriften wurden und werden als literarisch minderwertig, spekulativ, obszön bewertet. „Hochliterat“ zu sein lag ihm fern, er schrieb seine zwanzig Romane und die vielen kleineren Erzählungen zur Unterhaltung, die „kleinen Leute“, die ein Buch bald in die Ecke legten, blieben bei ihm dran bis zum Schluss. Anton Kuh meinte, Bettauer war „entgiftet vom Ehrgeiz des Niveaus“.

Die zwanziger Jahre waren die Zeit der Literaturskandale, Zensur, Pornographie, Verbote erregten die öffentlichen Gemüter, 1921 gab es die Uraufführung von Arthur Schnitzlers „Reigen“, und Bettauer wurde zu einem Dauerskandalon der Stadt. Er gründete eine Zeitschrift, nannte sie „Er und Sie Wochenschrift für Lebenskultur und Erotik“ und betrieb damit eine sexualaufklärerisch gemeinte Ratgeberpublikation, wo er unter anderem für eine Liberalisierung der Abtreibung, eine Reform des Homosexualitätsparagraphen, für die Frauenemanzipation und eine Lockerung des Scheidungsrechts eintrat. Das Ganze wurde aufgelockert durch eine fachärztliche Ratgeberrubrik in Sexualitätsfragen und durch Annoncen für Kontaktsuchende.

Doch die gab es – verschleiert – auch in der „Neuen Freien Presse“. Es liegt auf der Hand, dass „dieses Druckwerk“ wiederholt beschlagnahmt wurde. Nüchtern gesagt kann man sagen: Die Wochenschrift, die diese tabuisierten Themen in einer reaktionären Zeit aufgriff, entdeckte – kaufmännisch formuliert – eine Marktlücke. Bettauer wurde ständig Thema im Wiener Gemeinderat: „Wir lassen uns nicht den Juden Bettauer aufdrängen, der unsere Kinder versauen will mit jüdischem Gift und jüdischer Schweinerei!“ (Protokoll vom 22. März 1924)

"Verkörperung aller Pornographie“

Es kam zu einem Prozess - die Anklage: Kuppelei! - und Bettauer wurde überraschend freigesprochen. Doch damit gaben sich seine Gegner nicht zufrieden, er wurde in der Öffentlichkeit zum „sexuellen Dämon“ und zur „Verkörperung aller Pornographie“ stilisiert.  Eine deutschnationale publizistische Öffentlichkeit, die vor Mordaufrufen nicht zurückscheute,  hetzte nun so lange gegen das „perverse Kloakentier“, bis sich am 10. März 1925 ein Vollstrecker fand. Ein blonder, schmächtiger Jungnazi, arbeitsloser Zahnarztgehilfe, namens Otto Rothstock schoss kurz nach 15 Uhr Bettauer in seinem Redaktionsbüro mit mehreren Schüssen nieder. Bettauer starb trotz einer Notoperation am 26. März.

Er lag noch im Spital, als die bürgerliche und nationale Presse die „Befreiungstat“ lobte, Rothstock habe sich, so die „Reichspost“  zwar „in der Wahl der Mittel vergriffen“, aber eigentlich ein „Volksurteil“ vollstreckt. Der Täter ließ sich widerstandlos abführen, seine Verteidigung: „Als ich Bettauer Aug in Aug am 10. März 1925 erschoss, war ich trotz meiner Jugend mir dessen bewusst, dass ich keinen Hauptschuldigen, der an der Demoralisierung der deutschen Jugend arbeitete, beseitigte. Ich war damals wie auch heute kein ausgesprochener Antisemit, ich lehnte mich nur dagegen auf, dass ein Jude die Jugend erotisieren wollte und damit ein Geschäft begann. Ich erklärte auch bei meiner Verhaftung, dass ich die Tat aus Liebe zu meinen Altersgenossen begangen habe.“

Der Prozess gegen Rothstock wurde zu einer Justizfarce von Schattendorf-Format, nach acht Monaten Aufenthalt in einer Nervenklinik spazierte der Mann, der im Prozess den Verwirrten gespielt hatte, wieder durch die Straßen Wiens. Die NSDAP unterstützte ihn in seinem beruflichen Werdegang. Hugo Bettauer gilt heute als das erste berühmte Opfer der Nazis in Österreich.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Film

„Die Stadt ohne Juden“: Ein Film findet sein verschollenes Ende

Der österreichische Stummfilm "Die Stadt ohne Juden" war bisher nur unvollständig erhalten. Die fehlenden Teile, die nun restauriert werden sollen, zeigen, wie radikal die Antisemitismus-Prophezeiung von 1924 war.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.