Heute vor... im April: Kurze Geschichte des Ringstraßenbaus

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Ring, Lastenstraße und Gürtel fix geplant.

Neue Freie Presse am 30.4.1865

Zunächst wurde die Kaistraße am rechten Ufer des Donaucanales hergestellt, ein Teil derselben von der Rotenturmstraße bis zur Ferdinandsbrücke am 1. Mai 1858 dem Verkehr übergeben und der übrige Teil im Lauf des Jahres 1859 vollendet. Im Jahr 1861 stellte die Commune die Gartenanlage am Franz Josephs-Kai her. Der Bau der Ringstraße, verzögert durch längere Verhandlungen zwischen dem Ministerium und dem Gemeinderat, begann im Jahr 1863 von der verlängerten Kärntnerstraße bis zum ehemaligen Stubentor, im Jahr 1864 wurde der Bau in der Richtung von der Kärntnerstraße bis zum Burgtor, dann von dem ehemaligen Stubentor bis zur Kaistraße fortgesetzt und in demselben Jahr noch der Bau vom Donau-Kai bis gegen den Schottenring begonnen, sodass für das Jahr 1865 noch der Bau der Ringstraße von dem Burgtor bis zur Schottenstraße und von dort wieder bis zur Kaistraße erübrigte. Parallel mit der Ringstraße, und zwar näher den Vorstädten gelegen, wurde eine zweite Communication, die Lastenstraße, angelegt. Ein dritter Straßenzug, die Gürtelstraße, wird außerhalb der Linien sämtliche Vorstädte Wiens umspannen.

Unentbehrliche Kriegshunde

Furchtlose Begleiter im Pulverdampf.

Neue Freie Presse am 29.4.1915

Heute fand die erste Vorführung der Kriegshunde auf einer Wiese im Prater in Gegenwart von Militär- und Zivilbehörden statt. Man erläuterte die Bedeutung der Kriegshunde in der Praxis und wies auf die großen Ersparnisse an Menschenmaterial hin, welche durch die Einstellung von Kriegshunden erreicht werden. Besonders für die Bahnbewachung, die Bewachung von gefährdeten militärischen Objekten, das Bewachen von Gefangenen, Verfolgung von Spionen, Unterstützung von Patrouillen, seien die Kriegshunde als unentbehrlicher Behelf zu bezeichnen. So lässt der Posten den Hund „revieren“, das heißt, ein bestimmtes Terrain abstreifen und sich die Meldung bringen, ob ein Feind in Sicht sei. Die vom Kriegsschauplatz Zurückkehrenden erzählen, wie groß ihre Beruhigung ist, wenn sie wissen, dass ein Sanitätshund nach dem Kampfe das Schlachtfeld absucht, beziehungsweise, dass ein Kriegshund sie beim Wachen oder bei den Patrouillediensten unterstützt. Bei den Demonstrationen wurde als einer der besten Hunde Österreichs „Wolf von der Spree“ vom Korporal Franz Hauenstein gezeigt, „Lord vom Elbetal“ des Gefreiten Wild und „Lord“ des Gefreiten Gaiswinkler. Die Hunde zeigen vollständige Schussfestigkeit und arbeiteten bei der stärksten Detonation und im größten Pulverdampf mit verdoppeltem Eifer.

Warum die Angreifer bei den Dardanellen scheitern müssen

Analyse der militärischen Situation bei Gallipoli.

Neue Freie Presse am 28.4.1915

Das Kampfgebiet der Halbinsel Gallipoli ist räumlich beschränkt. Mit solchen Armeen, wie sie heute auf den anderen europäischen Kriegsschauplätzen einander gegenüberstehen, kann dort nie gerechnet werden. Wenn die Türken die Halbinsel stark besetzt und die wichtigsten Stellungen gegen Infanterieangriffe gut geschützt haben, werden sie auch einen an diesen Stellen gleichzeitig unternommenen Angriff nicht zu fürchten haben. Der Gegner muss aber an verschiedenen Stellen landen, auch wenn er seine ganze Kraft auf einen Punkt vereinigen will, weil sonst die Landung zu langsam vor sich geht. Seine Truppentransporter und Landungsboote sind aber bei der Landung immer feindlichem Feuer ausgesetzt. Darin liegt das Schwächemoment für den Angreifer, dem auch noch bei schlechtem Wetter die Gefahr droht, von seiner Rückzugslinie, der See, abgeschnitten zu werden. Und den Verlust von einigen Divisionen können die Franzosen und Engländer nicht leicht verschmerzen, zumal es ihnen in den Vogesen, den Argonnen und besonders in Flandern nicht eben glänzend geht.

Die Ermordung Lincolns

Wer führt die Aussöhnung zwischen Nord und Süd jetzt durch?

Neue Freie Presse am 27.4.1865

Eine Schandtat ohne Beispiel, ein Verbrechen wie wir kein größeres kennen, ein politischer Doppelmord von weltgeschichtlicher Bedeutung ist zu Washington verübt worden. In der Nacht vom Gründonnerstag auf Charfreitag streckte Abraham Lincoln, den Präsidenten der nordamerikanischen Freistaaten, die Kugel eines Meuchelmörders nieder, und am Charfreitag starb er an der erhaltenen Wunde. Auch auf den Sekretär des Auswärtigen, Herrn Seward, den talentvollen, treuen und aufopferungsvollen Genossen Lincolns während der fürchterlichen Krise der letzten vier Jahre, wurde ein Attentat versucht. Mit bebender Hand erfüllen wir angesichts dieser Nachrichten von niederschmetternder Tragik unsere publicistische Pflicht. Unabsehbar erscheinen uns im ersten Augenblick die möglichen Folgen dieser Katastrophe, welche den Jubel des amerikanischen Volkes über den Fall von Richmond und die Waffenstreckung Lee’s wenige Tage darauf in tiefste Trauer zu verwandeln geeignet ist. Der Verlust Lincolns ist für das amerikanische Volk, welches ihm jüngst durch seine Wiedererwählung zum Präsidenten einen so großartigen Beweis des Vertrauens und der Verehrung gegeben, kaum zu ersetzen. Denn dieser ehrenfeste, besonnene Mann, der das Schiff der Republik mit sicherer Hand durch einen Sturm gelenkt, aus welchem kein anderer Staat der Welt seine Einheit und Freiheit gerettet haben würde, war nach der Beendigung des Krieges, nach Besiegung dieser beispiellosen Rebellion, wie kein Anderer berufen, ohne Gewalttat, ohne Repression, unblutig und lediglich durch die Allgewalt der Freiheit, die Aussöhnung zwischen Norden und Süden herbeizuführen.

Programm der Ringstraßeneröffnung

Musikkapellen an geeigneten Punkten placirt.

Neue Freie Presse am 26.4.1865

Über das Programm zur feierlichen Eröffnung der Ringstraße am 1. Mai durch Se. Majestät den Kaiser erfährt man Folgendes: Se. Majestät der Kaiser wird gegen halb 5 Uhr Nachmittags aus der Burg ausfahren und sich über den Burg- und Schottenring, dann über den Franz-Josephs-Kai und die Ferdinandsbrücke in den Prater begeben. Die Rückfahrt Se. Majestät aus dem Prater wird über die Aspernbrücke, dann über den Stuben-, Park-, Kolowrat-, Kärntner- und Opernring in die k.k. Hofburg stattfinden. Vor dem Burgthor werden Obelisken aus Reisig errichtet und Zelte aufgeschlagen, in denen der Bürgermeister mit der kaiserlichen und der Stadterweiteruns-Commission des Gemeinderats, die Gemeinde- und Magistratsräte sich versammeln und Se. Majestät nach der Ausfahrt empfangen werden. Der Bürgermeister wird an Se. Majestät den Kaiser eine Ansprache richten, welche die Stadterweiterung zum Gegenstand haben wird. Die Ringstraße wird in ihrer ganzen Ausdehnung mit Flaggen versehen, die an derselben liegenden Gebäude werden festlich geschmückt werden. Mehrere Musikcapellen werden auf geeigneten Punkten placirt werden, darunter eine zunächst den Zelten beim Burgthor, eine auf dem Plateau zunächst dem bestandenen Schottenthor, eine zunächst der Augartenbrücke, eine an der Aspernbrücke und eine zunächst dem Cursalon am Parkring. Durch die Eröffnung der Ringstraße sind die Hauptmomente der Stadterweiterung in Bezug auf Niveau und Straßenbestimmung zum Abschluss gebracht.

Anm.: Die Wiener von 1865 haben die Eröffnung ihrer Prachtstraße mit Spannung erwartet. 150 Jahre später erzählt ein „Presse“-Geschichte-Magazin die Hintergründe der Ringstraße: Ihre Erbauung lief nicht einfach ab wie am Schnürchen. Die Militärs wollten ihre Festungsmauern behalten, die Regierung wollte sie abreißen; der Kaiser wollte sich in barocker Pracht präsentieren, doch ihm fehlte dafür das Geld; die Gemeinde wollte die Wohnungsnot lindern, aber war ein Nobelboulevard dafür geeignet? Der Adel rümpfte die Nase über die neureichen Großbürger, die sich am Ring ansiedelten, der Bürgermeister schimpfte über zu wenig Grünflächen, die konkurrierenden Architekten waren einander spinnefeind, dann kam auch noch Königgrätz und der Börsenkrach und alles drohte zu stagnieren. Eine aufregende Geschichte, man ist erstaunt, dass sie gut ausgegangen ist.

Das Magazin, das die Geschichte der Ringstraße von den Anfängen bis in die Gegenwart rekapituliert,  kann man bestellen unter diepresse.com/geschichte, ab Dienstag den 28.4. erfolgt die Auslieferung in die Trafiken.

Abenteuerliche Flucht aus Sibirien

Zwei kriegsgefangenen Wienern gelingt das Unglaubliche.

Neue Freie Presse am 25.4.1915

Von zwei Wiener Ärzten haben wir alle dieser Tage gelesen, denen die Flucht aus russischer Kriegsgefangenschaft geglückt ist. Aus Sibirien sind sie in die Heimat zurückgekehrt. Quer durch China ging ihr Weg, und dann gelangten sie nach San Francisco und nach Newyork, um von dort die Heimreise anzutreten. Das ist der Stoff eines modernen Märchens, einer Robinsonade von heute. Die beiden erzählen schlicht und sachlich, ohne viel Wesens zu machen, von dem Triumph ihrer zähen Tatkraft und wundersamen Beharrlichkeit.  Seit Menschen denken und dichten, hat Flucht aus der Gefangenschaft stets die Phantasie ganz besonders angeregt. Die Flucht der beiden Wiener mit den kahlgeschorenen Schädeln und den falschen Chinesenzöpfen, die sich tagsüber im hohen Schilfrohr verstecken, um sich in finsterer Nacht mit Hilfe primitiver Landkarten, die sie sich selbst gezeichnet haben, und ihres kostbarsten Ausrüstungsgegenstandes, eines Kompass, den Weg in die Freiheit suchen, wird dereinst gewiss ein ganz besonders merkwürdiges Blatt in der Legendengeschichte des großen Krieges ausfüllen.

Flandern – ein Völkerfriedhof

Blutgetränkt ist jede Scholle, und nur auf wenigen Schlachtfeldern des Weltkrieges wurde mit so viel Erbitterung gekämpft.

Neue Freie Presse am 24.4.1915

Die Landstriche auf beiden Ufern des Ypernkanals in Flandern sind ein Völkerfriedhof. Blutgetränkt ist jede Scholle, und nur auf wenigen Schlachtfeldern des Weltkrieges wurde mit so viel Erbitterung gekämpft. Die deutschen Truppen stießen dort auf die Franzosen, auf die Engländer und auf die Reste der belgischen Armee, und die Gefechte wurden erbarmungslos in den zornigen Stimmungen der Nationen geführt. Gerade in dieser von der Meeresküste begrenzten und von zahlreichen Wasserkäufen durchschnittenen Ecke des unglücklichen Belgien hat sich die Schande zugetragen, dass Inder und Halbwilde aus Afrika in die Streitigkeiten zwischen Europäern hineingezogen wurden, als könnte der Krieg jede Gemeinschaft zwischen den Kulturmenschen aufheben und als dürfte der Hass auch die niedrigsten Werkzeuge gebrauchen. Von der Nordsee her schleuderten die englischen Kriegsschiffe ihre Geschosse, und nach den Schilderungen von Augenzeugen war es furchtbar, wenn gleichzeitig vom Meere und aus den Dünen die schweren Batterien feuerten und die Inder und die Ghurkas mit Geheul sich auf den Feind stürzten und nicht selten die Leidenschaften auf beiden Seiten zum Losstürmen und zum Handgemenge fortrissen, so dass die modernsten und die ursprünglichsten Kampfformen sich eigentümlich vermengten. Bei Ypern hat der deutsche Soldat gezeigt, welchen Reichtum an Vaterlandsliebe und Hingebung und Willenskraft er besitzt. Die Gräben, die ein unentbehrlicher Schutz gegen die jetzigen Waffen sind, waren im Herbst und Winter und besonders, nachdem die Deiche von den Feinden durchstochen wurden und das Wasser aus den Kanälen herausfloss und das Land überschwemmte, ein qualvoller Aufenthalt. Die Erde war durchlässig, aus den Wänden der Gräben sickerte das Wasser, und in diesem Moraste musste der deutsche Soldat vielen Tage und vielleicht auch Wochen und Monate verbringen. Der Feind war zuweilen nicht mehr als fünfzig Meter entfernt und hatte den Vorteil, dass die westlichen Böschungen des Ypernkanals höher liegen und deshalb weniger feucht gewesen sind. England wollte die Deutschen um jeden Preis von der flandrischen Küste wegdrängen, und das Schießen dauerte Tag und Nacht fast ohne Unterlass.

Wiener Ärzte kurieren orientalische Potentatin

Wien staunt über den Tschador.

Neue Freie Presse am 23.4.1890

Die Gemahlin des Schah von Persien, Nasr-Eddin, die erste der vier legitimen Gattinnen des Perserfürsten und Mutter des Thronerben, ist mit dem Zug aus Krakau heute morgens auf dem Nordbahnhof eingetroffen, um wegen eines Augenleidens die Professoren Fuchs und Mauthner zu konsultieren. Zwei Eunuchen (Mohren) trugen zuerst aus dem Hofsalonwagen der Fürstin drei große Bonbonnieren, dann zwei hohe orientalische Silberkrüge. Unmittelbar darauf trat, von zwei Eunuchen gestützt, die Sultanin langsam und mit schleppendem Gange auf die Plattform des Waggons, stieg sehr bedächtig die vier Stufen herab und wurde nach dem Hof-Wartesalon geleitet, wo sie sich in einem Fauteuil niederließ und ausruhend mit den Damen des persischen Gesandten conversierte. Die Fürstin, welche von sehr kleiner Statur ist und den Eindruck einer an Jahren vorgerückten Dame macht, trug einen dichten schwarzen Schleier und außerdem bis zu den Augen eine Art Capuze, wie unsere Nonnen. Unter dem Überwurf, gleichfalls ähnlich dem Habit geistiger Frauen, sah man eine himmelblaue Samtjacke und ein graues Kleid. In ihrem Hotel soll die Sultanin dann gesonnen sein, niemanden zu empfangen, sondern sich ausschließlich der Pflege und Herstellung ihres kranken Auges zu widmen.

„Gehen wir am 1. Mai in den Prater!“

Wer sorgt für den geordneten Ablauf?

Neue Freie Presse am 22.4.1890

Die Leiter der für den 1. Mai beabsichtigten Arbeiter-Demonstration sind bemüht, die im Publikum herrschenden Besorgnisse und Befürchtungen zu verscheuchen, und geben zu diesem Zweck bekannt, dass sie selbst die ausgedehntesten Vorsichtsmaßregeln gegen jede Störung der Ruhe und Ordnung getroffen haben. Am meisten müssen natürlich die Führer selbst das Eindrängen jener pöbelhaften Elemente scheuen, welche solche Massenansammlungen stets zu Exzessen benützen; aber es ist sehr fraglich, ob es gelingen wird, diese Elemente fernzuhalten und Ausschreitungen derselben zu verhindern. Die Führer der Arbeiterbewegung können sich keiner Täuschung über die Schwierigkeit des Unternehmens hingeben, am 1. Mai Tausende von Arbeitern aus allen Bezirken und Vororten Wiens in den Prater zu führen, dort stundenlang zu überwachen und in Schranken zu halten und dann für den geordneten Rückzug derselben zu sorgen. Nachdem aber das Schlagwort „Gehen wir am 1. Mai in den Prater!“ in die Arbeitermasse geworfen worden ist, nachdem wochenlang in allen Arbeiter-Versammlungen von dieser Demonstration gesprochen und derselben eine künstlich aufgebauschte Bedeutung gegeben wurde, muss man nun auch die Führer der Bewegung für alle Vorkommnisse am 1. Mai persönlich verantwortlich machen und von ihnen verlangen, dass sie ihren Einfluss auf die Arbeiterschaft diesmal auch wirklich beweisen.

Angst vor der sibirischen Pest

Gefahr für Tier und Mensch.

Die Presse am 21. April 1865

Durch die Nachrichten von dem Grassieren der sogenannten sibirischen Pest in Russland ist man in den Nachbarländern sehr beunruhigt. Wir kennen Kaufleute, die auf Zureden ihrer Familien den sonst üblichen Besuch russischer Märkte eingestellt haben. Reisende, die aus Russland kommen, erzählen, dass daselbst große Angst davor herrsche, dass sich etwa die europäischen Staaten aus Gründen sanitärpolizeilicher Sicherheit zur Absperrung der Grenze oder Errichtung einer Quarantäne veranlasst sähen. Der Schreck vor dieser Epidemie ist nichts neues mehr für uns; wir haben ihn schon im Vorjahr erlebt, als die Epidemie in Odessa ihre fürchterliche Wirtschaft getrieben. Es kann durchaus sein, dass die Krankheit auf Russland, und auch da nur auf die dichter bevölkerten Städte, beschränkt bleibt. Aber die Gefahr ist doch vorhanden, und mit ihr die Besorgnis.

(Anmerkung: Gemeint ist der Milzbrand, der bei Weidevieh aufgetreten ist; der Mensch konnte sich mit infizierter Wolle, Häuten oder Leder anstecken. Sporen können durch die Haut eindringen oder eingeatmet werden. Milzbrand war eine PLage, die ganze Viehbestände dahinraffte, der Bazillus, der dafür verantwortlich ist, wurde schließlich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gefunden, vor allem durch die Arbeiten von Louis Pasteur und Robert Koch. Milzbrand ist heute noch nicht völlig besiegt, der letzte Ausbruch in Europa war 2000 in Rumänien. Als biologische Waffe ist der Erreger mit seiner verheerenden Wirkung heute noch eine mögliche Gefahr.)

Gerichtsklage gegen die „Presse“

Zynische Zoten in einer Zeitung sind unangebracht.

Neue Freie Presse am 20. April 1865

Am 22. Februar dieses Jahrs erschien im Lokalanzeiger der „Presse“ ein mit allen übrigen Journalen der Residenz in grellem Widerspruch stehender Ballbericht über einen geschlossenen Gesellschaftsball in den k.k. Redoutensälen. Dieser die Wahrheit mit grober Hand entstellende Bericht trägt den Stempel der Animosität gegen ein zu wohltätigem Zweck veranstaltete Ballunternehmen, ist in vielen seiner Teile für die Ballteilnehmer verletzend, in einigen direkt beleidigend gehalten. Die Herren und Männer, die hier beleidigt wurden, können sich selbst Genugtuung verschaffen. Es wird in dem Bericht aber auch über die Schönheit der Damen, welche dem Ball beigewohnt, ein absprechendes Urteil gefällt. Eine direkte Beleidigung ist die Vergleichung der Damen mit essbarem Grünzeug, welches doch nur Gegenstand materiellen Genusses ist. Die darauf bezüglichen Worte des Gerichtes müssen jedem Ehrenmanne ob gerechter Entrüstung das Blut zu Gesichte treiben; diese Worte wären im vertraulichen Gespräch eine zynische, frivole Zote, verdienen aber, in einem Journale wie die „Presse“ veröffentlicht, den Namen --- ich hätte zwar den passenden Namen, fürchte aber damit diese geheiligten Räume zu entweihen.

(Anm: „Die Presse“ und die „Neue Freie Presse“ existierten damals parallel und waren einander spinnefeind. Daher die ausführliche Berichterstattung über den belanglosen Gerichtsfall. Die inkriminierte Stelle in dem Ballbericht der „Presse“ vom 22.2. lautete: „Mädchen und Mütter waren in großer, mehr als hinreichender Anzahl vertreten. Allein nur die Mütter hatten sich ihres alten Rufes würdig bewiesen, nämlich nicht mehr in der Blüte der Jugend und Schönheit zu stehen. Den Töchtern hingegen können wir beim besten Willen nicht nachsagen, dass sie den bekannten Kranz schöner Mädchen gebildet hätten. Jung waren sie, aber von der Schönheit kam auf die meisten derselben nur jener Teil, welcher bei Tier und Mensch mit der ersten Jugend immer verbunden ist, ja welchen wir sogar bei den ersten Spargeln und Erbsen finden und uns – freilich nur durch den Gaumen – schmecken lassen. Nun es sei ihnen verziehen. Usw.“)

An der Militärgrenze der Monarchie

Situation der Grenzer ist unerfreulich.

Neue Freie Presse am 19.4.1865

Von der Küste des adriatischen Meeres und dem Fuß der Karnischen Alpen längs der Save bis zu den Katarakten der Donau am Eisernen Tor zieht sich ein schmaler Landstrich hin, dessen Bewohner, halb Soldaten, halb Bauern, die schweren Pflichten dieses Doppelstandes erfüllen und seit fast zwei Jahrhunderten die Grenzen Österreichs gegen zwei fast gleich gefürchtete Feinde, die Osmanen und die Pest, sicherten. Die Nachkommen des gewaltigen Suleyman sind längst nicht mehr die gefürchteten Christenfeinde von einst, und die Zweckmäßigkeit der bezeichneten Maßregel gegen die orientalische Pest ist jedenfalls von gewiegten Autoritäten bestritten worden; aber die Grenze und naturgemäß in ihr die Grenzer sind unverändert in der alten Doppelverfassung stehen geblieben. Noch immer lebt der Grenzer unter militärischer Subordination, rückt zur Waffenübung aus, während Haus und Hof durch die Entfernung der Herrn leiden.

Folgen wir einmal dem Entwicklungsgang des Grenzers. Bis zum zwölften Jahr besucht der Knabe die Schule, in der er notdürftig lesen, schreiben und rechnen lernt. Weiter bringt es auch der begabteste Schüler nicht, da der Lehrer nicht mehr lehren kann, als er eben selbst weiß. Hat der Knabe der Schulpflicht Genüge getan, so wird er der Hirt des geringen Viehstandes, das dem Grenzhause gehört. Auf der Weide vergisst er in der Regel das Erlernte weit schneller, als er dazu gekommen ist. Fast das ganze Jahr treibt sich der Hirtenjunge unter freiem Himmel herum und kommt höchstens an Sonn- und großen Festtagen in sein Dorf zurück. Diese Hirtenzeit mag der körperlichen Ausbildung des Grenzerknaben wohl zu statten kommen, wir glauben aber nicht, dass ihm die jahrelange ausschließliche Gesellschaft des lieben Viehes in geistiger Beziehung von gleich großem Nutzen sei.… Alles in allem ist der Zustand der Militärgrenze ein wenig erfreulicher. Die Schulen sind unzureichend, die Mehrzahl der Popen kann als auf einer sehr tiefen Stufe der Bildung stehend bezeichnet werden, und die vielen Feier- oder Kirchtage des orientalischen Ritus unterstützen noch die eingerissene Trägheit. An natürlichem Verstand fehlt es den Leuten ebensowenig wie dem Land an ursprünglicher Fruchtbarkeit, und es steht zu hoffen, dass die Zeit nicht mehr ferne ist, in der die Militärgrenze, aus ihrer Erstarrung geweckt, gleichberechtigt wie die anderen Staatsteile eines gesunderen Daseins sich erfreuen wird, als bislang.

(Anm: Die Wehrbauern, die hier charakterisiert werden, siedelten zum Schutz gegen die Türken vom 16. bis zum 19. Jahrhundert an der Grenze des habsburgischen Reiches. Zur Zeit dieses Artikels hatte sie die größte Ausdehnung, umfasste die kroatische, slawonische, siebenbürgische Militärgrenze über eine Länge von 1850 km. Wie groß die tatsächliche Bedeutung der Militärgrenze bei der großen Auseinandersetzung mit den Osmanen tatsächlich war, ist umstritten. Der gesundheitspolitische Aspekt der Grenze: In regelmäßigen Abständen gab es Quarantänestationen, vor allem zum Schutz gegen die Ausbreitung der Pest.)

Staunen über hauchdünne Strümpfe

Wird etwa gar das nackte Bein Mode?

Neue Freie Presse am 18.4.1925

Eine Dame schreibt uns: Wenn man durch die Kärntnerstraße geht, über den Ring, wo immer, begegnet man den Damen mit den spinnwebdünnen, rosafarbigen, sonnenbrandbräunlichen Strümpfen. Man möchte wetten, von der Entfernung wenigstens, die mehr oder weniger schlanken Beine, die die kurzen Röcke bereitwilligst freigeben, seien nackt. Die Steigerung ihrer durchsichtigen Zartheit bei eintretender Hitze wäre eben das Nichts. Dieses zarte, sensible Kleidungsstück nennt man zwar Strumpf, es hat aber kaum etwas mit den ursprünglichen Absichten des Strumpfes, nämlich den Fuß zu kleiden und zu schützen, etwas zu tun. Aus Paris verlautet etwas von einer strumpflosen Mode. Dortige Modeschöpfer sollen angeblich eine entzückende Sandale für den Abend auf nacktem Fuß zu tragen lanciert haben, deren lange Bänder sich kreuzweise bis über das halbe Bein hinauf verschlingen. Sicherlich wäre so eine Mode für den Alltag ganz praktisch. Man denke nur an den vielen Ärger über den ewig zerrissenen Strumpf! Aber die Frauen hängen nun einmal an dem Schein, der ja, wie so oft im Leben, und sei er noch so spinnefein, brutale Wirklichkeit verschleiert.

Bergarbeiter kämpfen für Achtstundentag

Soldaten gegen Arbeiter.

Die Presse am 17.4.1890

Seit Dienstag strikt die ganze Belegschaft aller vier Betriebe des Graf Wilczek'schen Bergbaues in Polnisch-Ostrau, d.i. an 2400 Mann, denen sich bereits die Bergleute der fürstlich Salm'schen Gruben, an 1200 Mann, angeschlossen haben. Ein Gendarm, der einige besonders vorlaute Leute beruhigen wollte, erhielt von rückwärts mehrere Schläge über den Kopf. Ein in der Direktionskanzlei beschäftigter Bergschreiber, der, mitten in der Arbeitermenge stehend, die laut und drohend den achtstündigen Arbeitstag verlangte, so unvorsichtig war, nach zwölfstündiger Arbeit zu rufen, wurde durchgeprügelt und konnte nur mit großer Mühe schwerer Misshandlung entgehen. Den wegen Ruhestörung verhafteten Cameraden befreiten die Leute gewaltsam. In der Woche zuvor wurden dem Pfarrer die Fenster eingeworfen, weil derselbe am Sonntag gegen die Feier des 1. Mai gepredigt und sich geweigert hatte, an diesem Tage eine Messe zu lesen. Abends langte ein Bataillon des 1. Infanterieregiments Kaiser Franz Josef I. aus Troppau an. Die Strikenden empfingen das Militär mit Hutschwenken und „Hurrah!“, waren aber einigermaßen verdutzt, als sie sahen, dass die Soldaten diesen Gruß ignorierten und scharf luden.

Woher kommt der Staub im neuen Stadtpark?

Bäume machen weniger Probleme als Besucher.

Die Presse am 16.4.1865

Aus dem Stadtpark. Einige von den Kastanienbäumen des Kinderparks haben bereits Blätter entfaltet; die Knospen der übrigen sind bis zur Entfaltung angeschwollen. Damit ist die Furcht beseitigt, dass die Mehrzahl dieser „übersetzten“ Kastanienbäume dem Absterben nahe sei. Von den Lindenbäumen sind mehrere ausgeblieben, und sie müssen deshalb durch junge Bäume ersetzt werden. So wohltuend das frischkeimende Grün auf Auge und Gemüt auch einerseits wirkt, so belästigend, ja erstickend und den Besuch des einzigen Erholungsortes vergällend sind andererseits die Staubmassen, welche von den Schleppen der Damen aufgewirbelt werden. Das Bespritzen der Gänge wäre daher eben so notwendig, wie aus anderem Grunde das der Wiesen und Gesträuche.

Soll der 1. Mai arbeitsfrei werden?

Zumindest ein Teil der Arbeiter muss im Dienst bleiben.

Neue Freie Presse 15.4.1890

Die Regierung sah sich veranlasst, eingehende Erhebungen und Beratungen darüber zu pflegen, wie sie sich dazu verhalten solle, wenn auch die Arbeiter staatlicher Betriebsstätten die Forderung aufstellen sollten, dass der erste Mai als Ruhetag erklärt und demgemäß die Arbeit an diesem Tage eingestellt werde. Von verschiedenen einzelnen Etablissements abgesehen, sind es insbesondere die Tabakfabriken, die Salinen und die Eisenbahnwerkstätten der Staatsbahnen, welche hier in Betracht kommen. Wie verlautet, sollen die Leiter der staatlichen Betriebsstätten die Weisung erhalten, den Arbeitern, welche das formelle Ansuchen stellen, den ersten Mai freizugeben; in Etablissements insbesondere in den Werkstätten der Staatsbahnen, wo der kontinuierliche Betrieb die vollständige Sistierung der Arbeit nicht gestattet, wird Vorsorge zu treffen sein, dass jedenfalls ein Teil der Arbeiter im Dienst bleibe.

Die alte Zeremonie der Fußwaschung

Kaiser und Kardinal wenden sich den Armen zu.

Die Presse am 14.4.1865

In dem Rittersaal der k.k. Hofburg wurde heute nach vorangegangenem Gottesdienste die Fußwaschung durch Ihre Majestäten nach dem bekannten Programm abgehalten. Der gesamte Hofstaat, die Generalität und das Offizierscorps waren dabei anwesend. Im Burghofe wurden Cavallerie-Posten aufgestellt. Nach beendeter Fußwaschung wurden die Tische in den Saal gebracht, und die Speisen für die Armen durch k.k. Truchsessen aufgetragen. Heute vormittags wurde auch die Ceremonie der Fußwaschung von dem Cardinal-Erzbischof Ritter v. Rauscher an zwölf armen Bürgern Wiens in der Stephanskirche vorgenommen. Im Schottenstift wurde die Fußwaschung an zwölf Greisen vom Stiftsabt Othmar vorgenommen.

Wer stellt das Trinkgeldunwesen ab?

Jeder hält die Hand auf.

Die Presse am 13.4.1890 

Das Trinkgelder-System hat sich hier zu tief eingelebt, als dass es rasch beseitigt werden könnte; es ist eben zu einer fast unausrottbaren Gewohnheit geworden. Der Packer auf dem Bahnhof, der unser Gepäck abwiegt und dem Kassebeamten das Resultat meldet, fordert vom Passagier offen und in Gegenwart des Beamten ein Trinkgeld, trotzdem der Träger ohnedies bezahlt werden muss. Wenn jemand nach beendeter Vorstellung im Theater einen Wagen sucht, eilt rasch irgendein herumlungernder „Wasserer“ oder „Türlaufsperrer“ herbei und verlangt seinen Obolus, trotzdem der Theatergast selbst im Schnee und Regen den Wagen sich suchen musste. Jede Wette, dass unter hunderten Dienstmännern nicht zehn existieren, welche sich an die Taxe halten, es muss immer ein �Zehnerl“ Trinkgeld gegeben werden. Oft ist allein das Publikum schuld. Es schenkt dem Tramway-Conducteur ein oder zwei Kreuzer und vergisst ganz, dass der Kutscher, der einen viel beschwerlicheren und anstrengenderen Dienst hat, leer ausgeht. Solide bürgerliche Geschäftsmänner, die sonst jeden Gulden dreimal umkehren, ehe sie ihn ausgeben, halten sich förmlich für verpflichtet, wenn nicht täglich, so doch wiederholt in der Woche den Zahlkellner, den Speisenträger und den Weinjungen mit einem „Sechser“ zu entlohnen, trotzdem alle drei nur Bedienstete des Wirtes sind, dessen Speisen und Getränke man teuer bezahlen muss.

Der bedenkliche Charakter der 1. Mai-Feier

Ein Tag, dem man mit Sorgen entgegenblickt.

Neue Freie Presse am 12.4.1890

Mit dem Näherrücken des 1. Mai werden die Vorbereitungen, welche die Arbeiterpartei für die Massen-Demonstration an diesem Tage trifft, immer umfassender. Aus den Provinzen laufen vielfach Kundgebungen ein, und in Wien soll sich bereits der größte Teil der Arbeiter für die Demonstration ausgesprochen haben. In manchen Kreisen der Bevölkerung sieht man dieser Demonstration nicht ohne Besorgnis entgegen, und die jüngst stattgehabten Exzesse haben die Befürchtungen dermaßen erhöht, dass viele Geschäftsleute heute schon planen, am 1. Mai ihre Läden geschlossen zu halten. Die Arbeiter haben bekanntlich in ihren Versammlungen den Grundsatz festgestellt, ihrer Feier unter jeder Bedingung einen vollständig friedlichen Charakter zu wahren, und daher beschlossen, im Notfall selbst freiwillig bei der Aufrechterhaltung der Ordnung mitzuwirken. Für den Vormittag des 1. Mai sind, wie erinnerlich, Versammlungen geplant, und es wurden zu diesem Zwecke bereits zahlreiche Lokale gemietet; Nachmittags werden Ausflüge veranstaltet, deren Ziel in den meisten Fällen der Prater sein soll.

Die Abneigung der Schüler gegen Latein

Keine Drohungen, sondern Anreize.

Neue Freie Presse am 11.4.1865

Es fragt sich, wie man das Interesse der Jugend an dem lateinischen Sprachunterricht gewinnen kann. Man frage einmal bei der Jugend an, welches Interesse sie an diesem Unterrichts-Gegenstande nimmt. Ich fürchte, die Antwort dürfte in den meisten Fällen betrübend ausfallen. Mit welchen Mitteln können wir aber dann den Fleiß anregen? Mit Drohungen? Mit dem Hinweis auf den Broterwerb? Die Grammatik als solche ist es gewiss nicht, was anzuziehen vermag. Etwas anderes ist es, wenn ihm die lateinische Sprache im vorhinein als Sprache der Römer, d.h. als Trägerin der römischen Welt entgegentritt. Welchen Eindruck der römische Nationalcharakter, die römische Sage, die römische Geschichte, die ganze römische Welt auf den Knaben macht und machen soll, weiß jeder Lehrer. Man beachte, mit welcher Lust er Erscheinungen der römischen Welt mit dem alten Namen benennt. Finden wir ja selbst durch Lektüre angeregte Knaben, die monatelang Indianer spielen, von Tomahawks, Wigwams sprechen mit einem Pathos, das einer besseren Sache wert wäre! Sollte dies nicht ein Fingerzeig sein, welchen Standpunkt der Lehrer der lateinischen Sprache im vorhinein einzunehmen habe und wie der Lesestoff von Anfang an beschaffen sein muss?

Bösendorfer – eine Wiener Kulturgeschichte

Eine Reitschule als bester Konzertsaal Wiens

Neue Freie Presse am 10.4.1915

Der Kommerzialrat und Klavierfabrikant Ludwig Bösendorfer, oder wie er sich selbst stolz und einfach nennt: der „Klaviermacher Bösendorfer“, feiert morgen seinen 80. Geburtstag, und überall, wo die prachtvollen Klaviere, die den Namen des Hauses Bösendorfer tragen, erklungen sind, wird mit herzlicher Verehrung des Jubilars gedacht. Es gibt in Wien eine Menge an renommierten Klavierfabriken, aber gerade hier haben die meisten großen Virtuosen auf die brausende Klangfülle des Bösendorfer-Flügels nicht verzichten wollen. Um so weniger, als ihnen Bösendorfer nicht nur seine Instrumente, sondern auch einen Saal zu bieten hatte, der für Kammermusikzwecke auf der Welt kaum seinesgleichen fand. Die Geschichte des Bösendorfer-Saales ist oft genug schon erzählt worden. Es war im Jahr 1872, also zu einer Zeit, da es außer dem Musikvereinssal unter den Tuchlauben in der Inneren Stadt keinen vornehmen Konzertsaal gab. Da machte eines Tages der junge Ludwig Bösendorfer durch irgendeinen Zufall die Wahrnehmung, dass die Wände der Reitschule in der Herrengasse den Schall merkwürdig klar zurückwarfen, und sein Plan war fertig. Wo sich bisher muntere Reiter getummelt hatten, bauten fleißige Hände Podium und Bänke, und bereits am 19. November 1872 weihte ein Konzert Hans v. Bülows den neuen Wiener Konzertsaal ein. Nun war Bösendorfer eine Macht geworden, mit der in der Musikwelt gerechnet werden musste.

Exzesse in den Wiener Arbeiterbezirken

Pöbel schließt sich den Streikenden an.

Neue Freie Presse am 9.4.1890

In den an die Schmelz stoßenden Teilen von Neulerchenfeld und Ottakring fanden heute Abend Exzesse statt, die mit der gegenwärtigen Strike-Bewegung in Zusammenhang stehen, bei denen aber nur zum Teile Arbeiter mitwirken und die hauptsächlich das Werk von Pöbelmassen waren. Diese Exzesse nahmen heute einen sehr ernsten Charakter an, und es kam dabei zu argen Gewalttätigkeiten, indem die Menge in mehrere Branntweinläden einbrach und in denselben alles verwüstete und zerstörte. Schon im Lauf des Vormittags hatten sich Gruppen strikender Arbeiter auf der Schmelz eingefunden, zumeist Maurer, ferner auch Schneider-, Schuster-, Bäcker- und Selchergehilfen. Als es dunkelte, zog die Menge von allen Seiten zu dem am Ende der Koppgasse gelegenen freien Platz und besetzte denselben sowie die einmündenden Straßen. Die Polizei, welche einschreiten wollte, wurde verhöhnt und machte vergebens von der flachen Klinge Gebrauch, indem die Leute sich zur Wehr setzten und die Sicherheitswache mit Steinen bewarfen, wozu die frisch beschotterten Straßen und die in der Nähe befindlichen Bauplätze reichliches Material boten. Verhaftungen konnten nur mit größter Mühe vorgenommen werden, und die Haltung der Menge wurde eine immer drohendere, weshalb die Wache, um die Exzedenten einzuschüchtern und zu erschrecken, den Befehl erhielt, ihre Revolver zu ziehen und abzufeuern. Aber die Schüsse wurden nur in die Luft abgefeuert, und als der Pöbel dies bemerkte, brach er in ein Hohngelächter aus und bewarf die Wache mit einem Steinhagel. Um 7 Uhr Abends erkannte die Polizei, dass sie nicht im Stande sei, gegen die angesammelte Masse etwas auszurichten; die Sicherheitswache musste sich zurückziehen und den Exzedenten das Terrain in der Koppgasse überlassen. Ein Pöbelhaufe gab sich nicht damit zufrieden, dass eine Anzahl von Wachmännern durch Steinwürfe verletzt wurde, sondern zog zur Polizei-Wachstube in der Wendtgasse. Nur ein Inspektor befand sich in derselben, als die Rotte hereinstürmte. Der Inspektor musste der Übermacht weichen, worauf die Exzedenten sich in sinnloser Wut auf das Mobiliar stürzten und dasselbe zerstörten. Sie zertrümmerten, was ihnen in die Hände fiel, und schleuderten Teile von zerbrochenen Tischen, Stühlen, Bettgestellen etc. auf die Straße. Übereinstimmenden Berichten von Ohrenzeugen zufolge wurden in der exzedierenden Menge sehr drohende Rufe gegen die Juden laut, wie:“Nieder mit den Juden! Haut' die Juden nieder!“ Antisemitische Agitatoren wurden nicht müde, diese Stimmung fortwährend zu verstärken und anzufeuern. Als Detail von einer Plünderungsszene wird uns berichtet, dass, als in dem Laden eines jüdischen Geschäftseigentümers der Mann und die Frau vom Pöbel schwer verwundet worden waren, christliche Hausleute aus Erbarmen zwei kleine Kinder des jüdischen Ehepaares aus den Betten nahmen und dieselben in Sicherheit brachten, um sie vor der Wut der entmenschten Menge zu schützen.

(Anm.: Bereits im Dezember 1869 war es am Ring zur ersten Massendemonstration von Arbeitern gekommen, sie legten die Arbeit nieder, verlangten Versammlungsfreiheit und die Bildung von Arbeitervereinen. 1870 kam es zu einem Hochverratsprozess gegen 60 Arbeiterführer, Soldaten mit scharfer Munition schützten das Gerichtsgebäude. 1884 wurde der Ausnahmezustand über Wien und Niederösterreich verhängt, Arbeiterzusammenkünfte untersagt. 1890, am 1. Mai, kam zur ersten großen Massenkundgebung, der Ausnahmezustand war inzwischen aufgehoben. Ziel der Streiks des Jahres 1890 war die Durchsetzung des Achtstundentags und die Einführung des Allgemeinen Wahlrechts. Die Berichterstattung der „Neuen Freien Presse“ in diesem Jahr geht nicht auf Anliegen der Arbeiter ein, sie betont den anarchischen Charakter der Ausschreitungen und schürt bürgerliche Ängste vor dem bevorstehenden 1. Mai.

Zur Schreibweise „Strike“: Das Wort Streik im heutigen Wortsinn wurde im deutschen Sprachraum erst 1865 bekannt, einige Jahrzehnte lang wurde es englisch geschrieben, in England begann die Industrialisierung früher, daher tauchte das Wort auch früher auf. Die Einformung ins Deutsche dauerte bis ca. 1890. 1896 taucht im Deutschen erstmals das Wort „Streikbrecher“ auf.)

Distanz des Adels zur Verfassung

Die bürgerliche Zeitung verteidigt den Konstitutionalismus.

Neue Freie Presse am 8.4.1865

In den Wiener Journalen, denen es gewiss sonst an kritischer Laune nicht fehlt, findet man höchst selten oder nie einen Angriff auf die Aristokratie. Kein höhnischer Blick des Proletariers, kaum ein ironisches Lächeln der gebildeten Demokraten folgt den Livreebedienten und Carossen der großen Geschlechter, wenn sie durch die engen Straßen von Wien fahren, und kein Baron Prudelwitz und Strudelwitz ist noch zur stehenden Figur unserer Witzblätter geworden. Doch wie verhält sich der Adel zu den wichtigsten österreichischen politischen Angelegenheiten, nämlich zur Frage der Nationalitäten und der Constituierung des Reiches? Ohne Zweifel gibt es in Österreich nicht wenige Edelleute, die auch in politischer Beziehung vollkommen und im besten Sinn auf der Höhe der Zeit stehen. Aber die Majorität bilden sie nicht oder treten doch nicht als solche hervor; würden sie dies, so stünde es besser um unser politisches Leben. Wenn man die Aristokratie auch im großen Ganzen nicht als der Verfassung feindlich bezeichnen will, so tritt sie doch auch nicht für diese ein. Niemand verlangt von der österreichischen Aristokratie, dass sie sich Hals über Kopf in den Liberalismus stürze, doch es kann nicht ihre Aufgabe sein, bloß die in Österreich von jeher überwiegenden Mächte des Beharrens zu verstärken.

Rezept zur Verminderung der Prostitution

Emancipation der Frauen wäre dienlich.

Die Presse am 7.4.1865

Die Sanitäts-Section des Gemeinderates hat gestern ihre Beratungen über die Ursachen der Prostitution und die Mittel zu deren Abhilfe oder Verminderung erörtert und in letzterer Beziehung empfohlen: Verbesserung des Unterrichts in den Volksschulen; strenge Handhabung der Gesinde-Ordnung; bessere Besoldung der Beamten; zwangsweises Verhalten der Väter zur Sorge für ihre unehelichen Kinder; Verhinderung des zu frühen Eintrittes der Kinder in die Fabriken; Absonderung derselben von den Erwachsenen; Erleichterungen Ehen zu schließen und Reduzierung des Militärs. Häufigere Untersuchung des Militärs in den Kasernen. Obligatorisches Studium der Syphilis für Mediziner, und Emancipation der Frauen, d.h. Verwendung derselben bei industriellen Unternehmungen, zum Telegraphendienst und zu anderen Beschäftigungen. Die Commission ad hoc hat alle diese hier angeführten Punkte in einem Berichte weiter auszuführen.

Schikanen bei den Studiengebühren

Beschwerde eines mittellosen Studenten.

Die Presse am 6.4.1865

Ein Übelstand, der dem armen Studierenden das Studium erschwert, ist die Art und Weise, wie man die Befreiung vom Collegiengeld erlangt. An anderen Universitäten verlangt man ein Moralitäts- und Paupertätszeugnis, um auf Grund derselben eine Befreiung auszusprechen, und diese Befreiung gilt für die ganze Zeit, die man auf derselben Universität zubringt. Oder man stundet die Honorar-Gelder auf die Dauer von sechs Jahren. Hier aber, wo man soviel von Humanität und Liberalität singt und sagt, hier verlangt man: "Colloquien", die entweder den Studierenden und den Examinator unnötigerweise belästigen, oder wenn der Examinator ohneweiteres ein Zeugnis über das Resultat eines nicht vorgenommenen Colloquiums ausstellt, denselben unredlich macht. Was hat der Geist des Studierenden oder seine Fähigkeit mit seiner Armut, seiner Mittellosigkeit zu schaffen? Die Forderung, zur Erlangung der Wohltat der Honorar-Befreiung zu colloquieren, zeugt von geringer Menschenkenntnis. Denn es gibt und muss bei solchen Forderungen Studenten geben, die einen solchen Weg benützen, um das dadurch ersparte Geld zu verjubeln, obgleich ihre Vermögens-Verhältnisse ihnen den Erlag der Honorare erlauben. In der medizinischen Fakultät sind solche Fälle schon gar leicht möglich, da die Honorare so bedeutend sind, dass es einem fidelen Studioso angenehm sein muss, auf dem Weg eines Colloquiums eine erkleckliche Summe sich für die Ferien oder für geheime, den Eltern verborgene Zwecke zu ersparen.

Warum verliert die Post so viele Briefe?

Offener Brief eines zornigen Bürgers.

Die Presse am 5.4.1865

Herr Redacteur! Wenn die löbliche Postdirection doch veröffentlichen wollte, wie es möglich wird, dass ein einzelner Brief verloren geht, ohne dass der ganze Briefsack, in welchem er enthalten ist, geraubt wird oder in Verlust gerät! Am 7. Februar d.J. sendete ich von Baden einen Brief nach Olmütz, welcher nicht an seine Adresse gelangte. Damals herrschten schreckliche Winterstürme auf den Bahnen; ich dachte, ein Bote des Boreas könnte in das Postfelleisen (Postsack, Anm.) gedrungen, gerade auf meinen Brief neugierig geworden sein, und ihn entführt haben; ich schwieg also und verschmerzte. Allein am 27. März war der Winter bereits so weit milde geworden, dass mindestens eine Fahrt von Baden bei Wien nach Wien bei Baden nicht mehr so abenteuerlich zu sein schien, als eine Reise in Central-Afrika. Dennoch ging ein an jenem Tage von mir nach dem Postamt Wieden gesendetes, vollkommen genau adressiertes Schreiben in Verlust, wurde völlig verweht, wie Nestroys berühmter Schneider auf der Simmeringer Haide. Durch das Ausbleiben der Antwort hatte ich verdrießliche Tage und schlaflose Nächte, wurde an einer Reise gehindert, und versäumte Vorteile, die kaum mehr einzubringen sind. Und so mag es vielen ergehen, denn ich kann mir nicht denken, dass ich, der ich niemals einen großen Treffer gewann, gerade in dieser Beziehung vom Schicksal einzeln herausgehoben sein sollte.

Wiener Wohnungen in Kriegszeiten

Viele rechneten mit Zinsnachlässen.

Neue Freie Presse am 4.4.1915

Als der Krieg ausbrach, benützten sehr viele Leute in Wien den Augusttermin, um ihre Wohnung zu kündigen. Sie waren der Ansicht, dass die Umwälzung auf allen Gebieten des Lebens, die enorme Zahl derer, die ins Feld rückten, und andere Momente eine rapide Verminderung des Hauszinses mit sich führen, oder populär ausgedrückt, der Hausherr froh sein müsste, überhaupt Parteien zu behalten, also die Kündigung mit einer Zinsreduktion beantworten würde. Eine von den vielen Täuschungen. Gewinnt man heute einen Einblick in den Wiener Wohnungsmarkt, so kann man sagen, dass sich im großen und ganzen nichts oder so gut wie nichts geändert hat. Draußen, in den fabrikreichen Vororten, wo die große Masse der arbeitenden Bevölkerung in räumlich sehrt beschränkten Wohnungen lebt, ist eine Änderung überhaupt nicht wahrzunehmen. Wohl haben einzelne Hausbesitzer, aus rein menschlichen Gründen Zinsnachlässe gewährt, aber das gehört mehr in das Gebiet der Philanthropie.

Große Geldnot in dem Kärntnerlande

Herrenloses Gesindel treibt sich herum.

Neue Freie Presse am 3.4.1865

In dem Kärntnerlande wird die Geldnot leider immer größer; namentlich leidet der Bauer immer fühlbarer. Auch hofft niemand mehr, dass es so bald besser, sondern fürchtet nur, dass es noch schlimmer werde. Die Masse der arbeitslosen Leute, die sich vornehmlich auf dem Lande herumtreiben, wird allmählich eine fürchterliche Plage für den Landmann. Verweigert er diesem herrenlosen Gesindel Obdach und Nahrung, die er oft kaum für sich selbst aufzubringen vermag, so ist er der Gefahr ausgesetzt, dass ihm seine Keusche über dem Kopfe zusammengebrannt wird. Diese Landplage zu steuern ist schwer. Nicht so grell tritt in der Stadt die Not auf, obwohl sie auch keine geringe ist. Die Geschäfte liegen so ziemlich danieder, mit wenigen Ausnahmen.

Neueste Nachrichten von der Ringstraße

Wackelt Eröffnungstermin 1. Mai?

Neue Freie Presse am 2.4.1865

Eine Kommission des Gemeinderats beging gestern abends die Ringstraße von der Aspernbrücke bis zum Burgtor, um eine etwaige Verschwendung an Beleuchtung herauszufinden. Die Kommission erkannte einstimmig, dass bis zum Schwarzenbergplatz die Beleuchtung eben hinreichend sei, am Kärntnerring bis zum Burgring wollte aber einige Mitglieder der Kommission eine überflüssige Beleuchtung erkennen und sie beantragten, eine ganze Reihe von Gaslaternen zu cassiren. Weiters wurde beschlossen, nachdem trotz des bestehenden Verbotes in den Straßen der Stadt und namentlich auf der Ringstraße Holz abgeladen und auch verkleinert wird, die bezügliche Verordnung in Erinnerung zu bringen, dass die Verkleinerung nur in den Höfen geschehen darf und das Abladen des schon verkleinerten Holzes vor Häusern nur beschleunigt vor sich zu gehen habe. In Folge der ungünstigen Witterung wurde der Termin zur Herstellung der westlichen Ringstraße, welcher am 15. D. M. ablaufen sollte, verlängert, und zwar in der Weise, dass die Fahrstraße und die Gehwege bis 1. Mai vollendet sein müssen. Die Vollendung der Reitsteige kann später erfolgen.

Wien braucht endlich ein neues Rathaus

Neue öffentliche Gebäude sind kein Luxus.

Neue Freie Presse am 1.4. 1865 Wien

In allen Großstädten Europas herrscht gegenwärtig ein edler Wetteifer in der Verschönerung. Je mehr für den äußeren soliden Glanz einer Stadt geschieht, in desto höherem Grade nimmt die Wohlhabenheit der Bevölkerung zu.  Was der Wiener Gemeinderat und die Staatsverwaltung jetzt zu tun haben, ist für den Bau einer Universität und von Museen zu sorgen. Der Bau eines Stadthauses ist eine brennende Tagesfrage. Die Commune Wien hat bislang bei öffentlichen Bauten nicht das Mindeste getan, um den berechtigten Anforderungen zu entsprechen. Die Gegner des Stadthausbaues fühlen sich wohl in dem Magistratsgebäude in der Wipplingerstraße und denken: die Aufsetzung eines dritten Stockwerkes deckt alle Bedürfnisse für lange Zeit. Doch die Partei im Gemeinderat, die gegen alles Große und Bedeutende eifert, die Vorsorge für ein Stadthaus für lächerlich, große öffentliche Gebäude für Schwindel und die Kunst für Luxus hält, macht nicht Propaganda für die Sparsamkeit, sondern für die Gemeinheit der Gesinnung.

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