Wie Wladimir einst Russland erschaffen hat

Wiktor Wasnezow: Taufe Wladimirs (1890)
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Vor 1000 Jahren stirbt der slawische Großfürst Wladimir. Er hat die Russen zu Christen gemacht. Begonnen hat alles mit einer Massentaufe. Nicht in Moskau, sondern in Kiew. Bis heute instrumentalisiert die russische Politik das Ereignis.

Als die Götzenbilder niedergerissen sind, steigen sie einer nach dem anderen in den Dnjepr-Fluss, am Popen vorbei und wieder heraus. Tausende empfangen im Jahr 988 in Kiew an diesem Tag das christliche Sakrament der Taufe. Der Kiewer Fürst Wladimir ist selbst zum christlich-orthodoxen Glauben übergegangen und lässt nun sein Volk antreten, es ihm im gleichzutun. Die Massentaufe bringt das orthodoxe Christentum in die Kiewer Rus, ein historisches Slawenreich, das sich ab dem 9. Jahrhundert über die heutige Ukraine, Weißrussland und Westrussland erstreckt. Noch heute steht ein bärtiger Wladimir mit mannshohem Kreuz an jener Stelle des Ufers, wo das Spektakel stattgefunden haben soll.

Das Taufwasser auf der Stirn einiger tausend slawischer Bauern hat schwerwiegendere Konsequenzen als nur neue Ikonen für das Volk. Es bedingt, wenn auch nicht sofort, die Geburt einer neuen Kirche: der russischen Orthodoxie. Und weil die christliche Zugehörigkeit einen wesentlichen Teil der russischen Identität bildet, bietet das Ereignis an einem Sommertag vor mehr als tausend Jahren bis heute Stoff für großrussische Träume. Es gilt gemeinhin als Ursprung der russischen Nation – auch wenn es in Kiew stattgefunden hat und obwohl über die geschichtliche Interpretation der Kiewer Rus bis heute ukrainische und russische Historiker streiten. Erstere sehen in dem ostslawischen Reich den Ursprung der ukrainischen Eigenstaatlichkeit, Zweitere sehen darin eben das urrussische Staatengebilde.

Wladimir hätte sich damals auch anders entscheiden können. Missionare verschiedener Religionen waren an seinen Hof gereist. Er habe aufgrund der Schönheit der orthodoxen Liturgie schließlich die Religion von Byzanz gewählt, schreibt später die zeitgenössische Nestorchronik.

Historisch verbrieft sind hingegen die ständigen Auseinandersetzungen zwischen der Rus und dem byzantinischen Reich, die der Taufe Wladimirs vorangegangen sind.

Strategische Hochzeit. Erst eine dynastische Heirat sollte die Wogen glätten: Der byzantinische Kaiser Basileios II. hat Wladimir die Hand seiner Schwester Anna versprochen, wenn dieser unter das orthodoxe Dach tritt. Und wenn er Soldaten schickt: Denn es steht schlecht um den Kaiser in Konstantinopel, dessen Reich von den Bulgaren bedrängt wird. Wladimir denkt strategisch und stimmt dem Handel zu. Eine Liebesheirat trägt andere Züge, gewiss, hat aber auch weniger historisches Echo als dieses Bündnis: Die russisch-orthodoxe Kirche wird dereinst zur mächtigsten Kirche der orthodoxen Welt aufsteigen und Wladimir heilig gesprochen.

Der eigenen Blütezeit geht die russische Kirche nicht allein entgegen. In enger Symbiose leben Klerus und Herrscher zusammen und kultivieren das Erbe der byzantinischen Staatstradition, die von der Nähe zwischen weltlicher und geistiger Ordnung geprägt ist. „Das Idealbild der Orthodoxen zeichnet eine Symphonie zwischen dem weltlichen und dem kirchlichen Oberhaupt“, sagt Rudolf Prokschi, Professor an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Wien. Die beiden Pole bilden eine Einheit, in der die weltliche Macht ihre Hand über die religiös definierte Gesellschaft hält und die geistige Macht dem Staat die religiöse Legitimation liefert.

Dass Politiker und Popen dieses Modell nicht erst in jüngeren Tagen beherzigen, beweist das 15. Jahrhundert. Es ist die Zeit, in der der Herrscher der Kirche die Unabhängigkeit verschafft, und sie ihn wiederum zum Kaiser krönt. Nicht das erste Mal verhilft der russische Klerus damit einem Herrscher zur Macht. Aber der Reihe nach.


Moskau setzt sich durch. Um die erste Jahrtausendwende sehen sich die slawischen Fürsten auf ihrem flachen eurasischen Landmassiv ständiger Bedrohung asiatischer Reitervölker gegenüber. Seit Mitte des 13. Jahrhunderts kontrollieren die Mongolen die späteren Kerngebiete Russlands im Nordosten und Osten der Rus. Der Khan ist zwar ein Ungläubiger, lässt die Kirche aber gegen Tributzahlungen gewähren, während die Fürsten der relativ lose zusammenhängenden Rus begonnen haben, um die Vorherrschaft zu streiten. Es ist ein Machtkampf, den der Moskauer Fürst in Moskau im 14. Jahrhundert für sich entscheiden kann.

Als Steigbügelhalter hat der orthodoxe Metropolit, also der höchste Bischof der Russen, seinen Sitz schon 1328 nach Moskau verlegt und damit den Machtanspruch des dortigen Fürsten bestätigt. Der russische Metropolit untersteht aber weiterhin dem Patriarchen in Konstantinopel. Noch.

Denn Konstantinopel liegt, durch osmanische Angriffe geschwächt, bald in den letzten Zügen. Längst wünscht sich der 1425 zum Großfürsten ernannte Wassili II. in Moskau einen Metropoliten, der nicht mehr von Konstantinopel geschickt wird, für sein immer kompakter werdendes Staatsgebilde. 1448 ruft er ein paar russische Kleriker und Bojaren an, einen russischen Metropoliten zu wählen. Konstantinopel kann diesem Unrecht nichts mehr entgegensetzten. Die Autokephalie – also die Selbstständigkeit der russischen Kirche im Zusammenspiel der orthodoxen Welt – ist besiegelt. Die Kleriker werden es Wassili danken und seinen Enkel Iwan zum Zaren krönen. Da ist Konstantinopel schon an die Türken gefallen.

Mit Iwan, auch der Schreckliche genannt, ist nach dem Fall Konstantinopels an die Osmanen 1453 der einzige Orthodoxe auf einem Kaiserthron. Ein Zar mit großer Machtfülle in Moskau nur mit einem Metropoliten, aber ein Patriarch ohne Kaiser und von Sultans Gnaden in der ehemaligen byzantinischen Hauptstadt, das stellt das Weltbild der Russisch-Orthodoxen auf den Kopf. „In der Logik der Symphonie zwischen Politik und Klerus müsste der Ersthierarch der russischen Kirche nun zum Patriarchen ernannt werden“, sagt der Theologe Prokschi. Damit der weltlichen Macht das geistliche Pendant von Rang gegenübersteht. Der Patriarch in Konstantinopel sträubt sich gegen ein Patriarchat in Moskau. Er hat zwar keinen Kaiser mehr, aber ein neues Patriarchat ist seit der Antike nicht mehr gegründet worden. Noch immer bilden die fünf Patriarchate in Rom, Konstantinopel, Alexandria, Antiochien und Jerusalem in der sogenannten Pentarchie die Einheit der gesamten Christenheit.

Das dritte Rom. Der Patriarch muss in Istanbul aber den Sultan bei Laune halten, und bald geht ihm das Geld aus. Bei einer Bettelreise nach Moskau lässt ihn die russische Führung festsetzten und presst ihm kurzerhand das russische Patriarchat ab. Moskau soll, nachdem das erste Rom durch Häresie gefallen und im zweiten Rom, in Konstantinopel, die „gottlosen“ Türken regieren, nach orthodoxer Logik mit eigenem Patriarchen zum dritten Rom und Zentrum der östlichen Christenheit aufsteigen. Ein Anspruch, der 1589 umgesetzt wird.

Und heute? Zum Todestag des Großfürsten Wladimir, der sich heuer zum 1000. Mal jährt, erfährt die orthodoxe Kirche in Russland höchste Popularitätswerte im Volk und Unterstützung vonseiten der Macht. Der Zusammenbruch der Sowjetunion hat vor allem der Kirche viel Raum geschaffen. Präsident Wladimir Putin zeigt sich öffentlichkeitswirksam mit dem hohen Klerus, Patriarch Kyrill liefert ihm im Gegenzug den religiösen Unterbau der wertkonservativen gesellschaftlichen Ausrichtung. Politik und Patriarch ziehen sichtbar an einem Strang.

Die Taufe von Wladimir (Putin). Die Geschichte haben sie nicht vergessen. Vor allem Putin erinnert gern an die Wurzeln Russlands in der Kiewer Rus. „Dort stand die Wiege des zukünftigen, riesigen russischen Staates“, zitiert das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ den Präsidenten im September 2013 – als alle Welt noch an ein Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU glaubt. Im selben Jahr im Juli strahlt das staatliche Fernsehen anlässlich des 1025. Jubiläums der russischen Christianisierung eine Dokumentation aus, die in Anspielung an das Wiedererstarken des Glaubens nach 1991 den Titel „Die zweite Taufe Russlands“ trägt. Darin kommt auch der Präsident zu Wort. Er erzählt den Russen, wie ihn einst seine Mutter heimlich auf den Namen Wladimir taufen ließ.

ZEITTAFEL

Um das Jahr 700dringen die nordischen Waräger über die großen Flüsse nach Süden. Um Kiew entsteht ab Ende des 9. Jahrhunderts das Zentrum der Kiewer Rus.

988. Der Kiewer Fürst Wladimir tritt zum orthodoxen Glauben byzantinischer Prägung über, ebenso seine Untertanen. Als Liturgiesprache dient aber nicht Griechisch, sondern Kirchenslawisch. Wladimir stirbt 1015.

Ab dem 13. Jahrhundert nehmen zentrifugale Kräfte in der ehemals losen Kiewer Rus zu. An die Spitze stellt sich der Moskauer Fürst.

1448 wird die russisch-orthodoxe Kirche von Konstantinopel unabhängig, wird autokephal.

1453. Die Osmanen erobern Konstantinopel.

1589. Das Patriarchat in Moskau wird gegründet, das erste der Neuzeit. Die Einheit von Kaiser und Patriarch ist vorläufig wiederhergestellt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2015)

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