Alte Bande: Die Griechen und die Russen

(c) Kloster Sveti Jovan Bigorski/ J.Budissin
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Viel Russisches begann griechisch: von einem Griechenreich auf der Krim, Kyrill und Method, dem „bekehrten“ Wüstling Wladimir und Odessa als Geburtsort der griechischen Revolution.

Als Napoleon den in seinen Augen doppelzüngigen Zaren Alexander I. einen „Griechen“ nannte, meinte er das nicht schmeichelhaft. In Russland selbst konnte es früher sehr ehrend sein, „der Grieche“ zu heißen. „Söhne der Weisen“ wurden sie mancherorts genannt, oder „die rechte Hand Gottes“. Wer den berühmten Film von Andrei Tarkowski, „Andrej Rubljow“, über den mittelalterlichen Ikonenmaler gesehen hat, weiß auch von dessen großem Lehrer, Theophanes dem Griechen, den man als ersten großen Künstler Russlands sehen kann. In der Mariä-Verkündigungs-Kathedrale, einer der drei Kreml-Kirchen, sind heute noch Ikonen erhalten, die er und sein Schüler Rubljow gemalt haben sollen. Theophanes kam freilich nicht aus dem heutigen Griechenland, sondern aus Konstantinopel, der langjährigen Hauptstadt des Byzantinischen Reichs. Trotzdem war er ein „Grieche“, so wie die orthodoxe Kirche oft „griechische Kirche“ genannt wurde. In eben diesem Sinn war auch Russland die längste Zeit unglaublich „griechisch“: geprägt von der griechisch geprägten byzantinischen Kultur. Wenn Alexis Tsipras jetzt in Moskau den griechisch-russischen „Frühling“ heraufbeschwört, schockiert der Regierungschef viele. Dabei ist die russisch-griechische Verbundenheit uralt.

Das „Kirchenslawisch“ aus Griechenland

Religion war ihr Kitt. Was wäre wohl geschehen, wenn nicht zwei sprachbegabte griechische Mönche aus Thessaloniki, die in ihrer Kindheit den Dialekt der dortigen Slawen gelernt hatten, im neunten Jahrhundert zur Mission in den Norden ausgeschickt worden wären? Eine unglaubliche Arbeit, der sie sich da unterzogen: Zuerst mussten sie ein slawisches Alphabet schaffen und dann die heilige Schrift ins Slawische – in den ihnen bekannten mazedonischen Dialekt – übersetzen, bevor sie mit ihrer Mission beginnen konnten. Diese hat die russische Geschichte beeinflusst wie nur weniges und sie mit der griechischen verbunden, obwohl Kyrill und Method nie auf russischem Boden waren.

Der ersten Missionsmannschaft in Kiew, dem Zentrum des späteren russischen Großreichs Rus, erging es nicht gut, sie wurde beseitigt. Aber die byzantinische Infiltrierung hielt an, im zehnten Jahrhundert hatte Kiew eine Kirche, Regentin Olga wurde Christin und ihr Enkel Wladimir heiratete die Tochter des byzantinischen Kaisers, das (orthodoxe) Christentum wurde Staatsreligion. Vor seiner Heirat war Wladimir noch denkbar unchristlich, er galt als Wüstling, hatte sieben Frauen und angeblich 800 Geliebte.

Angeblich wählte er die neue Religion sorgsam aus (der Islam fiel für ihn weg, denn „der Rus ist des Trunkes Freund, wir können ohne das nicht sein“); in Wahrheit ist Russlands orthodoxe Tradition ziemlich zufällig, sie ergab sich aus einem gerade genehmen politischen Deal mit Byzanz. Und so ließ Wladimir denn auch das prächtige Standbild des Gottes Perun mit silbernen Haaren und goldenem Bart (eine Art slawischen Zeus), den er erst acht Jahre vor seiner Heirat in Kiew aufstellen hatte lassen, wieder von seinem Hügel herunterstürzen (das Volk ließ sich nicht beeindrucken, es verehrte Perun trotzdem noch jahrhundertelang).

Byzanz lieferte Russland eine (nach vielen Kämpfen) fertig geformte christliche Lehre und zugleich eine reiche christliche Zivilisation. Die russische Literatur beginnt mit Übersetzungen aus dem Griechischen, und die russischen Metropoliten waren in den ersten Jahrhunderten für gewöhnlich Griechen – bis heute werden Bischöfe mit der griechischen Formel „eis polla eti, despota“ („Auf viele Jahre, o Meister“) begrüßt. Russen ließen sich auf dem Berg Athos ins dortige Mönchsleben einführen, einer, der heilige Antonius, gründete dann in Kiew ein wichtiges Kloster; sein Nachfolger, der heilige Theodosius, war eine Art russischer Franz von Assisi, er predigte ein armes, demütiges Christentum, das sich tief in der russischen Volksreligion festgesetzt hat und bei Schriftstellern wie Tolstoi und Dostojewski nachklingt. Noch weitere Athos-Mönche haben die russische Frömmigkeit sehr beeinflusst, etwa Nikodemos von Naxos; seine Schriften, auf Russisch übersetzt, waren wesentlich für die russische religiöse Erneuerung im 19. Jahrhundert.

Ein griechisches Reich auf der Krim

Die Griechen haben viele ihrer mythischen Helden auf späterem russischen Boden angesiedelt – Medea etwa auf Kolchis im heutigen Georgien, die Amazonen (laut Herodot) in Sarmatien im heutigen Südrussland und der Ukraine. Die Krim hieß bei den Griechen Tauris, dort soll Agamemnons Tochter Iphigenie gefangen genommen worden sein. Aber auch wirkliche Griechen lebten schon seit vorchristlicher Zeit auf späterem russischen Boden – etwa im Bosporanischen Reich: An eben jener Meerenge, an der Russland jetzt eine Brücke zwischen der Halbinsel Krim und der Kaukasus-Region bauen will, lag dieses hellenistische Handelsimperium, das das antike Griechenland mit den Skythen-Gebieten verband. Im zweiten Jahrtausend bildeten Griechen geachtete Minderheiten, bewusst angesiedelt wurden sie im 18. Jahrhundert unter Katharina der Großen, die ebenso griechenfreundlich war wie schon Peter der Große. Sevastopol, Nikolaev, Odessa – etliche südrussische Städte bekamen unter ihr (pseudo-)griechische Namen.

Gegen die Osmanen – von Odessa aus

Odessa war auch die Geburtsstadt des griechischen Unabhängigkeitskrieges – die Revolution gegen die den Russen feindlichen Osmanen wurde schon Jahre vor ihrem Beginn 1821 von dortigen Griechen ausgeheckt. (Ein halbes Jahrhundert davor scheiterte die russisch inspirierte Orlow-Revolte, benannt nach einem Grafen und Liebhaber Katharinas). In zwei Weltkriegen haben Griechen und Russen auf derselben Seite gekämpft, im Ersten flüchteten auch noch viele kleinasiatische Griechen vor den Türken nach Russland. Dort erging es ihnen freilich auch sehr schlecht – unter Stalin wurden sie verfolgt, aber auch später wurde ihre Kultur, Religion und Sprache vom kommunistischen Regime unterdrückt. Ein schlimmes Kapitel der griechisch-russischen Beziehungen, an das Alexis Tsipras derzeit nicht so gern erinnert – als früherer Kommunist und gegenwärtiger Realpolitiker.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2015)

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