Tonträger-Geschichte: Vom guten Ton des U-Boot-Kriegs

(C) Decca
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Als der Krieg nach „Klangtreue“ verlangte: Eine neue Edition von Pionieraufnahmen des britischen Labels Decca erinnert an eine makabre Verbindung.

Höchste Klangtreue ersehnen sich Musikfreunde von Tonaufnahmen. Zu diesem Zwecke arbeitete man seit der Erfindung des Grammofons fortwährend an der Verbesserung der Aufnahmetechnik. In England entwickelte die Firma Decca das sogenannte Full Frequency Range Recording, abgekürzt FFRR. Es war, horribile dictu, zu keinem kleinen Prozentsatz dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs geschuldet. Jedenfalls hätte ohne die bitteren Notwendigkeiten der Kriegstechnologie die Entwicklung der Aufnahmekunst weitaus länger gedauert.

Im Beiheft der verdienstvollen CD-Edition „Decca Sound“, die auf 53 CDs Meilensteine der Pionierzeit zwischen 1944 und 1956 dokumentiert, sind die abenteuerlichen historischen Volten nachzulesen.

Arthur Charles Haddy, ein findiger Kopf, dem in der Schule schon langweilig wurde, weil ihm dort alles zu langsam voranging, erfand zunächst einen modernen Stichel für den Schnitt von Schellackplatten, experimentierte dann im Verein mit den Decca-Technikern mit Mikrofonierung bei symphonischen Aufnahmen.

Was er erfand, wurde über Nacht kriegswichtig. Statt Tschaikowsky nahm man plötzlich die Funksignale deutscher Jagdflieger auf, die vom Bodenpersonal der Royal Airforce dechiffriert werden konnten. Bald ging man mit dem Equipment sogar unter Wasser. FFRR machte es möglich, Geräusche von U-Booten zu unterscheiden: Kamen sie von den Deutschen? Oder waren es die eigenen Schiffe? Bei dieser Gelegenheit machte die Verfeinerung der Aufnahmekunst Fortschritte, die in Friedenszeiten Jahre, ja vielleicht Jahrzehnte in Anspruch genommen hätten. „Das bedeutete High Fidelity“, erinnerte sich Haddy 1951 im Interview.

Klassik nach gewonnenem Krieg

Das Zauberwort „High Fidelity“ hatte die amerikanische Unterhaltungsindustrie längst erfunden, die Engländer setzten den Traum nun in die Tat um. Als der Krieg offenkundig gewonnen war, ging man wieder ins Tonstudio und begann mit Einspielungen für einen FFRR-Schellack-Katalog. Tschaikowskys Fünfte Symphonie war jetzt wirklich an der Reihe. Ihr galt der Jungfern-Termin: Die drei Kondensatormikrofone einer Filmfirma, die dabei zum Einsatz kamen, wurden zum Standard für die Aufnahmen des ersten Nachkriegsjahrzehnts. Auf einem eigens entwickelten „Mischpult“ führte man die drei Aufnahmen zusammen. Was die klangliche „Treue“ betraf, einigte man sich mit dem Dirigenten über die Pegel – und ließ dann der Musik ihren Lauf.

Die Aufnahme auf fünf Schellacks erschien noch im Krieg, im November 1944. Das FFRR-Logo prangte jedoch erst Ende 1945 auf den Decca-Schallplatten, die man mit den großen Symphonieorchestern von London, mit dem Concertgebouw Amsterdam und dem Konservatoriumsorchester aus Paris produzierte.

Man war mobil mit der Gerätschaft und konnte in verschiedenen Städten ans Werk gehen. Wobei man in Sachen Klang immer zu Experimenten aufgelegt war. Haddy hatte präzise Vorstellungen und setzte beispielsweise das Concertgebouw Orchester in Amsterdam ins Parkett. Chefdirigent Eduard van Beinum war verzweifelt – bis er die ersten Probeaufnahmen zu hören bekam . . .

Der Siegeszug der Langspielplatte

Begeisterung herrschte auch bei den Konsumenten, von denen sich allerdings die wenigsten die speziellen Abspiel-Utensilien leisten konnten, die man zur Nutzung der FFRR-Technik brauchte. Bei einer bedeutenden Erfindung waren die Amerikaner dann Pioniere. Eine Pressekonferenz war für die Tonträger-Historie mindestens so bedeutend wie der vielen noch erinnerliche Auftritt Herbert von Karajans mit dem seinerzeitigen Sony-Chef, bei dem Anfang der Achtzigerjahre die Compact Disk lanciert wurde: American Columbia präsentierte am 18. Juni 1948 die Langspielplatte.

Ab sofort musste man nicht mehr Schellacks übereinander auf Stapeln anordnen, um wenigstens einen längeren Symphoniesatz hören zu können. Die ersten Langspielplatten bei Decca wurden noch durch umständliches nahtloses Schneiden mehrerer Schellacks hergestellt. Erst 1949 gab es das erste Tonband – und damit die Chance, längere Takes pausenlos einzuspielen.

An der Umwandlung von Schellacks in LP war übrigens ein Mann beteiligt, der später Aufnahmegeschichte schreiben sollte wie Haddy: John Culshaw. Er wurde zum legendären Produzenten der gerühmten Aufnahmen der Wiener Philharmoniker in den Sophiensälen. Die erste Gesamtaufnahme des „Rings des Nibelungen“ unter Georg Solti, natürlich in Stereo (man hatte seit 1954 diesbezügliche Erfahrungen gesammelt), führt uns nahtlos vor die CD-Regale heutiger Sammler: Die „Ring“-Aufnahme fehlt in keiner gut sortierten Diskothek, längst von LP auf CD „umgeschnitten“; und mittlerweile von vielen wohl sogar schon auf Computerfestplatte gebannt: FFRR und High Fidelity genießt noch die Streaming-Generation . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2015)

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