Leopold Figl: Aus der Todeszelle ins Bundeskanzleramt

OEVP-PARTEIVORSTANDSSITZUNG IM JAHR  1945
OEVP-PARTEIVORSTANDSSITZUNG IM JAHR 1945(c) APA
  • Drucken

Zwei neue Biografien zeichnen die Wendung im Schicksal des ersten Regierungschefs nach 1945 nach. Der Bauernführer hatte schon den Tod vor Augen, doch der Krieg endete, bevor der Scharfrichter amtieren konnte.

Seine Lebensgeschichte wäre ein Drehbuch für Hollywood“, sagt der Historiker Helmut Wohnout. Er hat soeben seine Biografie über Leopold Figl, den ersten Kanzler der Zweiten Republik, fertiggestellt.

Und tatsächlich grenzt das Schicksal dieses schmächtigen Bauernbündlers aus dem Tullnerfeld im Schicksalsjahr 1945 ans Makabre. Nicht einmal 43 Jahre alt, zittert er zum Jahreswechsel von 1944 auf 1945 als politischer Häftling im Isoliertrakt des KZs Dachau seiner Hinrichtung entgegen. Dann wird er in eine Todeszelle des Wiener Landesgerichts verlegt, sein Leben scheint verwirkt. Denn er hat sich stets trotzig als österreichischer Patriot bekannt. An der Zellentür ist ein V aufgemalt, das bedeutet Volksgerichtshof. Die hier Eingesperrten haben ein Verfahren zu gewärtigen, und wie das ausgehen werde, darüber macht sich keiner Illusionen. Figl vernimmt immer wieder den dumpfen Schlag des Fallbeils. Im makabren Gefängnisjargon nennt man den einstigen Christlichsozialen und seine Mitgefangenen die „Köpfler“.

Die wundersame Wendung

Am 3.April 1945 müssen sich die politischen Häftlinge plötzlich marschbereit machen. Sie sollen nach Westen abtransportiert werden. Doch am 5.April 1945 wendet sich das Blatt. Der deutsche Gefängnisdirektor des Landesgerichts hat sich abgesetzt, sein österreichischer Stellvertreter teilt den angetretenen Gefangenen mit, sie würden freigelassen. Bis dahin hätten sie Ruhe zu bewahren. Figl, der für die Gefangenen spricht, verlangt aber für alle Häftlinge ordentliche Entlassungspapiere. Denn sonst würden sie von der abziehenden deutschen Wehrmacht unweigerlich an die Wand gestellt.

Am nächsten Morgen ist es dann wirklich so weit. Die Gefangenen bekommen Essen, werden der Reihe nach mit Papieren versorgt und aus dem „Landl“ entlassen. Als einer der Ersten kommt der Volksschauspieler Paul Hörbiger frei, der wegen Widerstandstätigkeit saß. Am Nachmittag des 6.April kann dann auch Leopold Figl endlich das schon fast leere Haus verlassen.

Figl ist von der KZ-Haft gezeichnet, halb verhungert, kahl geschoren. In Dachau hat er Grausames erleiden müssen. Bei einer besonders brutalen Auspeitschung ist die Niere verletzt worden. Er hat ständig Schmerzen (an den Spätfolgen sollte er schließlich 1965, nicht einmal 63 Jahre alt, sterben).

Als Figl das Eisentor des Landesgerichts hinter sich hat, befindet sich die Stadt innerhalb des Gürtels noch in deutscher Hand, die Straßen sind aber menschenleer. Vor der Votivkirche trifft er auf einen Mithäftling, den früheren Rechtsanwalt und Christlichsozialen Felix Hurdes.

Schon im Jahr davor – kurz in Freiheit – hatten die Freunde die Gründung einer neuen Partei erwogen, sollte endlich der Krieg zu Ende sein. Jetzt gehen sie über Schuttberge Richtung Stephansplatz, treten in den Dom und danken still für ihre Rettung. Fünf Tage später sollte dieses Herzstück Österreichs in hellen Flammen stehen („Die Welt bis gestern“ vom 11.April).

Und nun beginnt der ebenso erstaunliche wie rasante politische Aufstieg des Leopold Figl. Denn die sowjetische Besatzungsmacht zieht ihn zur Versorgung Wiens mit Lebensmitteln heran. Der frühere Bauernbundfunktionär hilft mit, so gut er kann. Und er gründet in der Schenkenstraße gleich den Bauernbund als Vorstufe für die geplante Volkspartei. In der Laudongasse folgt am 14.April der Arbeiter- und Angestelltenbund, dann kann sich – am 17.April – im Schottenstift die neue Partei konstituieren. Leopold Kunschak wird erster Obmann.

Davor freilich stand ein Wagnis besonderer Art. Denn die Gründungsväter der ÖVP mussten Kontakt zu den Parteifreunden in den Ländern aufnehmen. Dazu war aber die Demarkationslinie zwischen sowjetischer Zone (Ostösterreich) und Oberösterreich zu überwinden. Also erklärte sich der 22-jährige Herbert Braunsteiner, ein guter Schwimmer, als Kurier bereit. Ausgestattet mit Empfehlungsbriefen von Kardinal Innitzer und von Figl, kam er bis zur abgeriegelten Brücke über die Enns. Er durchschwamm den eiskalten Fluss, schlug sich dann zu Fuß bis zum Ex-Landeshauptmann Heinrich Gleißner in Linz durch und fand dort offene Ohren. Nicht so in Salzburg, wo Erzbischof Andreas Rohracher erklärte, er wolle mit Repräsentanten der „KP-Marionetten in Wien“ nichts zu tun haben. Erst ein Mittelsmann schaffte die Zustimmung. In Tirol war man hingegen wieder sofort aufgeschlossen. Dort hatte Karl Gruber, der spätere Außenminister, bereits das Kommando übernommen.

Todfeinde – nun vereint

Auch der Historikerin Birgit Mosser-Schuöcker gelingt es in ihrer Biografie, dieses unglaubliche Leben stringent darzustellen. Figl war ganz eindeutig keine Notlösung, nur weil sich in der Stunde null niemand anderer anbot, sondern ein Mann der Tat, der seine Lektion in der Nazi-Zeit gelernt hatte. So wie Hurdes oder Lois Weinberger, Franz Olah oder Adolf Schärf, Kunschak, Böhm, Raab und viele andere frühere Todfeinde.

Nach einem fulminanten (und überraschenden) Wahlsieg der Volkspartei im November 1945 wurde Leopold Figl schließlich als erster Bundeskanzler der Zweiten Republik angelobt. Trotz absoluter Mehrheit bildete er eine große Koalition mit der SPÖ.

Buchtipps:
Helmut Wohnout - „Leopold Figl und das Jahr 1945“ Residenz Verlag, 224Seiten, 21,90Euro

Birgit Mosser-Schuöcker - „Leopold Figl – Der Glaube an Österreich“

Amalthea Verlag, 256Seiten, 74Abbildungen, €24,95

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.