Kriegsverbrecher-Prozess in Lüneburg: Dem 93-jährigen Angeklagten wird Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen vorgeworfen.
Es ist vermutlich einer der letzten großen NS-Kriegsverbrecherprozesse: Am Dienstag ist im norddeutschen Lüneburg das Verfahren gegen den früheren SS-Mann Oskar Gröning eröffnet worden. "Für mich steht außer Frage, dass ich mich moralisch mitschuldig gemacht habe", sagte der 93-Jährige zu Beginn.
Er habe gleich bei seiner Ankunft im KZ Auschwitz von der Vergasung der Juden erfahren. Heute bereue er sein Handeln in Demut vor den Opfern. "Über die Frage der strafrechtlichen Schuld müssen Sie entscheiden", erklärte der Angeklagte.
"Buchhalter von Auschwitz"
Gröning ist wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen angeklagt. Er half im damaligen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau dabei, Geld aus dem Gepäck von Gefangenen wegzuschaffen, um es an die SS weiterzuleiten. Gröning wird deshalb auch "Buchhalter von Auschwitz" genannt.
Mit seiner Tätigkeit habe er dem NS-Regime wirtschaftliche Vorteile verschafft und das systematische Tötungsgeschehen unterstützt, wirft ihm die Staatsanwaltschaft Hannover vor. Die Anklage wurde auf die sogenannte "Ungarn-Aktion" im Sommer 1944 beschränkt, bei der mindestens 300.000 Menschen ermordet wurden. Dem 93-Jährigen droht eine Haftstrafe von mindestens drei Jahren.
Unmittelbare Beteiligung an Mord nicht erforderlich
Die Justiz verlangt seit 2011 nicht mehr den Nachweis einer direkten Beteiligung an den Morden in den Vernichtungslagern. Auch die Tätigkeit eines Aufsehers oder eines Kochs kann seitdem für die Annahme von Beihilfe zum Mord ausreichend sein. Eine unmittelbare Beteiligung an einem konkreten Tötungsdelikt muss nicht mehr nachgewiesen werden.
Auschwitz-Befreiung: ''Es war kein Wachtraum''
In seiner Aussage vor Gericht schilderte Gröning grausame Vorgänge, die sich vor seinen Augen abspielten. Auf der Suche nach entflohenen KZ-Insassen wurde er Zeuge einer Vergasung in einem dafür umgebauten Bauernhof und hörte die langsam verstummenden Schreie der Opfer.
"Um Versetzung an Front gebeten"
Nachdem er sah, wie ein SS-Mann ein zurückgelassenes Baby gegen einen Lastwagen schlug und tötete, habe er Vorgesetzte eingeschaltet und um seine Versetzung an die Front gebeten, schilderte der Angeklagte. Ihm sei aber gesagt worden, es gebe keine Möglichkeit, dort herauszukommen.
Die vierte große Strafkammer tritt in der Ritterakademie, einem eigens angemieteten Veranstaltungsort, als Schwurgericht zusammen. Unter den mehr als 60 Nebenklägern sind Holocaust-Überlebende und Angehörige von Opfern. Es gehe ihnen um eine späte Gerechtigkeit, nicht um Rache oder eine hohe Strafe, sagten Auschwitz-Überlebende über den Prozess. Für den Prozess sind bis Ende Juli 27 Verhandlungstage angesetzt.
Hinweis der Redaktion
In einer früheren Version dieses Beitrags hat DiePresse.com berichtet, der Angeklagte Oskar Gröning habe im Gericht um Vergebung gebeten. Diese Worte hat er jedoch nicht ausgesprochen. Die Nachrichtenagentur dpa korrigierte ihre Angaben.
DiePresse.com bittet für diesen Fehler um Entschuldigung.
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