Forschen nach 1945: "Wir schreiben Verlustgeschichte"

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Universität Wien(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Nur wenige Vertriebene kehrten nach 1945 zurück. Doch sie veränderten die heimische Forschungslandschaft grundlegend, sagt Historiker Feichtinger.

Von rund 150.000 "rassischen" oder politischen Vertriebenen kamen nach Ende des Zweiten Weltkriegs nur rund 8000 nach Österreich zurück. Gerade Wissenschafter konnten kaum wieder an Universitäten Fuß zu fassen. Dennoch veränderten Rückkehrer die heimischen Forschungslandschaft grundlegend, ihr Schicksal und Einfluss sind daher Thema einer am Freitag in Wien beginnenden Konferenz.

"Wir schreiben zurecht die Verlustgeschichte", meinte Historiker Johannes Feichtinger vom Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) vorab. Die vorherrschende Erzähltradition und der Befund der "Vertriebenen Vernunft" stimme jedoch vor allem für die Universitäten: "Hier sind auffallend wenige Forscher zurückgekehrt. Kaum jemand, der vor 1938 eine Professur innehatte, bekam diese nach 1945 wieder."

Bisher habe es kaum Aufmerksamkeit dafür gegeben. "Die Remigration ist sicher keine Erfolgsgeschichte, aber sie war vorhanden", betonte Feichtinger, der auch bei der Konferenz "Exiles, Returnees and their Impact in the Humanities and Social Sciences in Austria and Central Europe" der ÖAW einen Vortrag halten wird. Denn vor allem in den nach und nach entstandenen außeruniversitären Forschungseinrichtungen wurden Remigranten zum entscheidenden Faktor. Besonders in den Wirtschaftswissenschaften brachten die Rückkehrer die Philosophie John Maynard Keynes, volkswirtschaftliches Know-how und Instrumentarien - etwa die Grundlagen für die Berechnung des Bruttonationalprodukts - nach Österreich mit. Damit fanden sie insbesondere aufseiten hiesiger Politik und Expertenkreise durchaus Anklang und trugen so dazu bei, "die Zweite Republik auf neue Beine zu stellen".

"Neues Wissen wurde außeruniversitär eingebracht"

Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges gewann die Idee der Vollbeschäftigung und des Wirtschaftswachstums an Bedeutung. "Es kam zu einer Verwissenschaftlichung der Wirtschaft und des Wohlstands, die Daten und Methoden wurden jedoch nicht an den Unis, sondern durchgehend außeruniversitär erforscht", so der Historiker. Führend dabei waren etwa das 1927 als Konjunkturforschungsinstitut gegründete und 1945 wiedererrichtete Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo). An den Universitäten gab es zu diesem Zeitpunkt dagegen nicht einmal ein eigenes Studium der Volkswirtschaftslehre. "Neues Wissen wurde außeruniversitär eingebracht", betonte Feichtinger.

Obwohl er immer nur temporär nach Österreich zurückkam, leistete auch der 1938 von einem USA-Aufenthalt nicht mehr zurückgekehrte Wirtschaftswissenschafter und spätere Begründer der Spieltheorie, Oskar Morgenstern, einen noch heute nachwirkenden Beitrag zur Forschungslandschaft seiner ehemaligen Heimat: Gemeinsam mit dem Soziologen und Exilösterreicher Paul F. Lazarsfeld gründete er 1963 das Institut für Höhere Studien (IHS).

In den 1960er-Jahren wurden Forschung und Entwicklung zunehmend als wirtschaftstreibender Sektor ausgemacht. 1967 wurde schließlich das Forschungsförderungsgesetz beschlossen. "Wissenschaft und Forschung wurden erst dann gefördert, als es galt, das Wachstum zu sichern", erklärte Feichtinger. Auch hier stießen Remigranten die Debatte an. Eine systematische Untersuchung des Impacts der nach Österreich Zurückgekehrten - ob nun in Wissenschaft, Literatur oder Theater - fehlt laut Feichtinger allerdings.

(APA)

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