Gestrandet, tot: Boatpeople einst und heute

Boat People
Boat People(c) Wikipedia
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Hunderttausende asiatische Bootsflüchtlinge ertranken vor Jahrzehnten, europäische Intellektuelle wie Sartre und Heinrich Böll reagierten mit der Aktion „Ein Schiff für Vietnam“. Es veränderte die Öffentlichkeit und die Politik.

Boat People“ oder „Boatpeople“ nennt man heute in vielen Medien die afrikanischen Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen versuchen und dabei zu tausenden ertrinken. Der Begriff verbindet die gegenwärtige Flüchtlingstragödie im Mittelmeer mit einer, die Jahrzehnte zurückliegt. Boatpeople, das waren jene Menschen, die in den Jahren nach dem Vietnam-Krieg vor dem kommunistischen Regime flüchteten, das hunderttausende hinrichten, foltern, an Sklavenarbeit oder in Umerziehungslagern sterben ließ. Über eineinhalb Millionen versuchten in der zweiten Hälfte der Siebziger- und in den Achtzigerjahren in Booten über das Südchinesische Meer zu gelangen. Hunderttausende kamen darin um, häufig, weil sie in den Monsun-Winden Schiffbruch erlitten oder im Golf von Thailand von Piraten angegriffen wurden; viele wählten wegen dieser Gefahren eine noch längere Route, nach Malaysia, was sich oft als noch riskanter erwies.

Im November 1978 strandeten 2500 Menschen in einem rostigen Frachtschiff an der malaysischen Küste, sie waren ausgehungert und dehydriert, das Schiff hatte einen Maschinenschaden. Von der Küstenwache wurden sie abgewiesen (die Flüchtlinge hatten der vietnamesischen Regierung Geld gezahlt, um das Land verlassen zu können, Malaysia fürchtete, mit der Annahme dieser Flüchtlinge den vietnamesischen Handel mit Flüchtlingen zu fördern). Wochenlang blieb das Boot vor der Küste, fast ohne Wasser, Nahrung und Medizin.

Hai Hong – ein Schiff wird zum Symbol

Wie so oft mobilisierten erst Bilder die Weltöffentlichkeit. Von den Ertrinkenden gab es keine Fotos, von der Hai Hong schon, sie brachten das Schicksal der in der Sonne glühenden, zwischen Exkrementen hockenden Passagiere in westliche Wohnzimmer. Boatpeople wurde zum geläufigen Wort, die Hai Hong symbolisierte deren Schicksal.

Dass europäische Politiker damals reagierten, war dem Druck der Intellektuellen zu verdanken. Mühsam rang sich damals die europäische Linke dazu durch, die kommunistischen „Freiheitskämpfer“ als Täter, die Flüchtenden als Opfer zu sehen. Berühmt wurde die französische Aktion „Un bateau pour le Vietnam“ („Ein Schiff für Vietnam“): „Wenn wir ein Schiff hätten, das das Südchinesische Meer überwacht, könnten wir viele finden und aufnehmen, die sonst sterben würden“, war der Plan. Der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy engagierte sich, ebenso André Glucksmann, Prominente wie Sartre kamen dazu, fast die gesamte Pariser Kulturszene unterschrieb den Aufruf, darunter Michel Foucault, Mstislav Rostropovich, Brigitte Bardot und Michel Foucault.

Naiv? Das sagten schon damals viele. Man debattierte: Waren es echte Flüchtlinge oder nur Wirtschaftsflüchtlinge? Waren es die politisch richtigen Flüchtlinge oder waren es korrupte Politiker, Kriegsverbrecher, böse Generäle?

Ohne diesen Einsatz freilich hätte die massenhafte Aufnahme asiatischer Immigranten mit dem Segen der französischen Regierung nie stattgefunden. Das Schiff Île de Lumière (Insel des Lichts) half Flüchtlingen vor der malaysischen und indonesischen Küste und brachte viele nach Frankreich; vor allem aber veränderte es die Haltung der Öffentlichkeit. Inspiriert davon gründete ein deutscher Journalist, unterstützt von Heinrich Böll, „Ein Schiff für Vietnam“; es hieß Cap Anamur, rettete über 10.000 Menschen aus dem Südchinesischen Meer und brachte sie mit Zustimmung der Regierung in die Bundesrepublik Deutschland – sogar ohne gesetzliche Grundlage, die wurde einfach nachträglich geschaffen.

Vietnam-Flüchlinge: politisch genehm

Heute fürchtet sich Europa vor eingeschleusten Islamisten, die Vietnam-Flüchtlinge hatten vergleichsweise Glück; sie waren politisch genehme Opfer und wurden dementsprechend medial in Szene gesetzt. „Uns ging es damals darum, die Körper zu retten, einfach nur die Körper“, erinnert sich Bernard-Henri Lévy im Gespräch mit der „Presse“ – „ohne daran zu denken, ob diese Menschen von links oder von rechts kamen. Sicher versucht der IS, Radikale in Europa einzuschleusen, und Flüchtlinge werden von anderen aus den Booten geworfen, weil sie Christen sind. Trotzdem bin ich für den kategorischen Imperativ, diesen Menschen zu helfen, bevor man das Für und Wider abwägt und überlegt, ob unter 800 Flüchtlingen ein Islamist ist. Es bräuchte wieder ein Schiff wie damals.“

So ein Schiff für Afrika gab es im Mittelmeer schon. 2004 wollte die Cap Anamur in italienischen Gewässern 37 Schiffbrüchige retten; doch sie wurde beschlagnahmt, die Geretteten bekamen kein Asyl.

Die Reaktion der EU auf das jüngste Schiffsunglück mit 800 Toten findet Lévy „elendiglich“. Auch der französische Politiker und Mitbegründer von Ärzte ohne Grenzen, Bernard Kouchner, gehörte seinerzeit zu den Initiatoren des französischen Rettungsschiffs, er vermisst dieser Tage die „öffentliche Empörung“. „Die war damals massiv. Und die Politiker waren gezwungen, darauf zu reagieren.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2015)

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