1945: Die ersten Zeitungen sind da

Die Zweite Republik - Eine unglaubliche Geschichte
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Das „Neue Österreich“. Ab 23.April erschien das „Organ der demokratischen Einigung“. Ernst Molden betrieb die Auferstehung der traditionsreichen „Neuen Freien Presse“.

Seit dem 15.April 1945 gab es wieder die ersten Zeitungen nach dem Krieg. Zunächst nur die „Österreichische Zeitung“, eine Publikation der sowjetischen Besatzungsmacht mit entsprechender Propaganda. Und dann, ab 23.April, das „Neue Österreich“, bewilligt und überwacht von den vier alliierten Besatzungsmächten. Am 28.April brachte dieses „Organ der demokratischen Einigung“ (Untertitel) die Proklamation der Unabhängigkeit Österreichs und einen Leitartikel: „Es lebe die Republik Österreich!“ Das berichtete die „Presse“-Journalistin Pia Maria Plechl in ihren Erinnerungen, die sie 1995 zum 50.Geburtstag der Zweiten Republik verfasst hat.

Den Herausgeberrat des „Neuen Österreichs“ bildeten honorige Herren der drei zugelassenen Parteien ÖVP, SPÖ, KPÖ. Chefredakteur und auch Mitglied der Herausgeberschaft war Ernst Fischer, Kommunist und bald Staatssekretär; als seine Stellvertreter wurden der Sozialist Paul Deutsch und der Repräsentant der neu gegründeten ÖVP, Leopold Husinsky, gewählt. In einer der ersten Nummern war dem Volksschauspieler, Widerständler und Mitherausgeber Paul Hörbiger ein langer Artikel gewidmet.

Molden sucht nach Geldgebern

Auch die Intellektuellen und Ex-Journalisten der alten „Neuen Freien Presse“, die im Jänner 1939 von den Nazis eingestellt worden war, sammelten sich nach und nach wieder in der Heimat und begannen, ein Zeitungsprojekt zu besprechen. Es dauerte freilich noch Monate, bis daraus „Die Presse“ entstand. Im Mittelpunkt: Dr. Ernst Molden. Schon im Krieg hatte der Historiker und Universitätslehrer Molden, der von 1934 bis 1938 Vize-Chefredakteur der „Neuen Freien Presse“ gewesen war und unbeirrbar an ein kommendes freies Österreich glaubte, daran gedacht, das Blatt in entsprechend veränderter Form wieder erstehen zu lassen.

Liberal oder eher katholisch?

Ehe die Gestapo ihn und seine Frau, Paula von Preradović, 1944 (schon zum zweiten Mal) verhaftete, hatte er mit Kollegen auch anderer Vorkriegszeitungen darüber gesprochen. Am 5.April 1945 konnten die Moldens aus dem Gefangenenhaus in ihr Heim in der Döblinger Osterleitengasse zurückkehren. Wo ihre Söhne, der 27-jährige Otto und der 21-jährige Fritz, waren, wussten sie nicht.

Im Vertrauen darauf, sie wiederzusehen, schrieb die Dichterin vom 5.April bis zum 30.Mai „Ein Tagebuch an meine Söhne“. Darin ist mehrfach von den Zeitungsplänen die Rede. Gedacht war an eine „von den intellektuellen Kreisen geplante, auf sehr seriösem Bildungsniveau gedachte katholische Zeitung, ähnlich Saugniers Organ ,La Croix‘.“

Täglich war Molden in der Stadt unterwegs. So hat er sich mit Friedrich von Maurig, Direktor der Schoeller-Bank, der später tatsächlich finanzielle Geburtshilfe für „Die Presse“ vermittelte, und dem nachmaligen VdU-Politiker Herbert Kraus, einem Kollegen vom „Südost-Echo“, über Möglichkeiten der Geldbeschaffung unterhalten und „mit Herrn Fligl, dem ehemaligen Administrationsleiter der NFP“.

„Wir kommen für den Augenblick eigentlich zu dem Resultat, dass die anonym-christliche Haltung einer nicht mehr im alten, antikatholischen Sinn liberalen ,Neuen Freien Presse‘ Papa eigentlich besser liegen würde als eine ausgesprochen hoch katholische Zeitung“, schreibt Frau Molden.

Am 7.Mai konnte Molden von weiteren „sehr positiv verlaufenen Unterredungen“ in der Zeitungssache berichten. Vor allem seien „die Vorbehalte von Minister L.“ gegen ihn geschwunden: Gemeint war Eduard Ludwig, Staatsrat vor 1938, nach 1945 Professor für Zeitungswissenschaft, Nationalratsabgeordneter und Europa-Politiker, der starke Mann in der Pressepolitik der Bundeskanzler Dollfuß und Schuschnigg. Ludwig erscheine nun „für den Gedanken einer neutralen, anonymen katholischen Zeitung unter Papas Leitung gewonnen“.

Am 10.Mai hatte Molden wieder eine Reihe von „sehr entscheidenden fruchtbaren Gesprächen“, und „die besten der in Betracht kommenden Journalisten“ boten ihre Mitarbeit an. Vor allem aber fiel eine Entscheidung: Friedrich Funder, vor 1938 Chefredakteur der katholischen „Reichspost“, sollte eine Wochenzeitschrift dieses Typs gründen („Die Furche“), Molden „eine dem Niveau nach der ,Neuen Freien Presse‘ entsprechende, aber dem Geist nach in vielem von ihr verschiedene, anonym-christliche große Tageszeitung, etwa der ,Neuen Zürcher Zeitung‘ ähnlich, was Rang und inneres Format betrifft“.

Am 24.Mai versicherte ÖVP-Generalsekretär Hurdes Molden seines „bedingungslosen Interesses für die von ihm geplante Zeitung“. Das ist die letzte Tagebuchmitteilung der Paula von Preradović an ihre Söhne über das Frühjahr 1945. Kurz darauf erhielt sie Nachricht von ihnen. Die geplante parteiunabhängige Zeitung konnte erst am 26.Jänner 1946 erscheinen, bis 19.Oktober 1948 nur als Wochenblatt; die Medienpolitik der Parteien war ihr absolut nicht hold („Judenblattl“). Auch blieb ihr der Traditionsname „Neue Freie Presse“ verwehrt („Deutsches Eigentum“). Molden griff auf den Gründungsnamen von 1848, „Die Presse“ zurück.

Viele Straßen werden umbenannt

Indessen ging die neue Stadtverwaltung mit Rasanz daran, unliebsame Straßenbezeichnungen zu ändern. Pia Maria Plechl erinnert sich, was sie damals als Zwölfjährige in Hietzing mitverfolgte. So erhielt der Goldmark-Platz, vor 1938 nach dem Hietzinger Komponisten benannt, seinen Namen zurück. Er hatte Walter-Flex-Platz geheißen, nach dem von den Nazis – weitgehend missbräuchlich – zum Mythos erhobenen, 1917 an den Folgen seiner Kriegsverletzung verstorbenen Dichter benannt.

Als Erster kam der Rathausplatz an die Reihe: In der Hauptstadt des wiedererstandenen Österreich konnte es keinen Adolf-Hitler-Platz geben. Das war auch für die Zwölfjährige in Hietzing ganz selbstverständlich. Paul Hörbigers Villa in der jetzigen Münichreiterstraße, die auch nach Kriegsende noch eine Zeitlang Stuttgarter Straße hieß und vor 1938 Bernbrunngasse geheißen hatte, ist ihr bald ein Begriff geworden.

Vienna gegen Sportklub

Doch noch eindrucksvoller war für sie, dass man wieder Radio hören konnte. Die erste Sendung am 29.April war eine Aufzeichnung des Staatsaktes der Provisorischen Regierung Renner im Parlament. Die Welt wurde offensichtlich wieder heil...

Im „Neuen Österreich“ gab es schon Inserate, vor allem solche, in denen Bauarbeiter – von Polieren bis zu Hilfskräften – gesucht wurden. Die Wiener Gebietskrankenkasse und auch die Landwirtschafts-Krankenkasse für Wien und Niederösterreich hatten sogar schon am 16. April den Betrieb wieder aufgenommen. Und am 6. Mai gab es ein Freundschaftsspiel zwischen der Vienna und dem Wiener Sportklub (am 1. Mai hatte ein österreichisches Team gegen eine Mannschaft der Roten Armee gespielt).

Nächsten Samstag:
Die Episode am Pragser Wildsee 1945

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2015)

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