Mauthausen: Die Befreiung vom Untergang

Die Waechter - Erinnerungen an Mauthausen
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70 Jahre nach Mauthausen. Am 5. Mai 1945 befreiten US-Soldaten das Konzentrationslager. Der Umgang mit der beispiellosen Bestialität des Holocaust in Österreich war und ist problematisch.

Vor 70 Jahren wurde das Konzentrationslager Mauthausen durch US-Soldaten befreit. Die historische Aufarbeitung und Vermittlung der beispiellosen Bestialität des Holocaust und der Täterschaft vieler Österreicher waren und sind problematisch. Sie schwanken zwischen feiger oder fahrlässiger Verharmlosung und der politischen Verwendung für Zwecke Einzelner. Deutschland war da immer ehrlicher und klarer.

„Ewig schwärende Wunde inmitten Österreichs, dieses Landes der äußersten, unerträglichen Widersprüche zwischen Mozart und Eichmann, Josef Roth und Kaltenbrunner, Wittgenstein und Hitler.“ So bezeichnete André Heller 2003 bei der Gedenkfeier zur Befreiung Mauthausens am 5.Mai 1945 die Bedeutung des Lagers.

Das „österreichische“ Konzentrationslager hat seit 8. August 1938 existiert, alle verfügbaren Namenslisten ergeben 197.464 Häftlinge, doch viele Kranke oder Geschwächte kamen schon um, bevor sie registriert wurden. „Presse“-Historiker Günther Haller beschreibt das Grauen in der morgigen „Presse am Sonntag“: Totenscheine wurden nur in den ersten Jahren sorgfältig geführt, später blieben Tausende unregistriert. Exekutionen wurden in einer „Genickschussecke“ durchgeführt. Im Frühjahr 1942 wurde ein grüner Lastkraftwagen umgerüstet zu einem „Gaswagen“, mit Seiteneingang für die Opfer, die durch Kohlenmonoxid umkamen. Eine als Duschbad getarnte Gaskammer gab es in Mauthausen ab 1942, durch ein Eisenrohr wurde Zyklon-B-Gas eingeleitet. Keiner der SS-Führer, die nach 1945 vor Gericht standen, hat die Existenz der Mauthausener Gaskammer geleugnet. Die Gesamtzahl der darin Ermordeten wird auf 4000 bis 5000 geschätzt. Am 3. Mai 1945 verließ die SS das Lager, am 5. Mai wurde der Ort Mauthausen von US-Truppen befreit. Sie sahen hunderte Männer, Frauen, Kinder, halb nackt oder mit Lumpen bedeckt, lebende Skelette, viele auf allen vieren. Sie hatten nicht die Kraft, ihre Arme den Befreiern entgegenzustrecken.

Historische Bilder, Filme, Zeitzeugenberichte und Forschungen belegen die Mitschuld vieler Österreicher am Genozid, den Jubel Tausender über Adolf Hitler und über das Großdeutsche Reich. Dennoch bastelte sich die junge Republik und fast die gesamte Elite des Landes die Opferlüge: Österreich sei überfallen worden, hätte nichts bis wenig mit Kriegsverbrechen zu tun. Erst das Gedenkjahr 1989 und der Fall Waldheim zwangen uns dazu, uns mit der eigenen Geschichte und Mitschuld auseinanderzusetzen. Eine ganze Generation hinterfragte das kollektive Schweigen der Eltern und Großeltern. Der Diskurs veränderte das Land, das Pendel schlug in die andere Richtung aus. Über Jahre gehörten Gedenkveranstaltungen und der Hinweis auf die Mitschuld von Österreichern – fälschlich auch oft: vom Staat Österreich – zum Standardrepertoire politischer Sonntagsreden. Der Begriff Holocaust wurde inflationär verwendet. Parteipolitiker nutzten das „Niemals wieder“ für innenpolitische Zwecke: Plötzlich hieß das historische Monster nicht mehr Nationalsozialismus, sondern wurde auf Faschismus ausgeweitet. Schöner Nebeneffekt: Auch die harmlosere Variante Austrofaschismus und die Österreichische Volkspartei mit ihrer Dollfuß-Verehrung konnten in die Nähe der Nazis gerückt werden. Nicht wenige Politiker und Künstler nutzten die neue, richtige Gedenkkultur auch für den eigenen Zweck. Das Feld Antifaschismus galt und gilt als Leo: Auch mit schlichten Aussagen bekommt man hier Zustimmung und kann den Karriereweg abkürzen.


Und auch heute sind Aufarbeitung und zeitgemäße Vermittlung des Holocaust teils beschämend. In Mauthausen gibt es immer mehr Schließtage, es fehlt nicht an Interesse von Schulen und Besuchergruppen, aber an geeigneten Vermittlern vor Ort. Selbst in Unterrichtsmaterialien scheut man noch immer, den Holocaust direkt anzusprechen. So findet sich auf einer Seite der Lehrergewerkschaft in Unterrichtsmaterialien für Pflichtschullehrer (www.fcg-wien-aps.at/files/medien/nationalfeiertag1.pdf) die „traurig-fröhliche Geschichte vom 26. Oktober“ für Volksschüler aufbereitet: „Es war einmal ein mächtiger Herrscher, der kam mit Soldaten und Kanonen und eroberte unser Land. Von diesem Tag an gehörten alle Österreicher zu seinem Reich und mussten ihm gehorchen. Die Männer wurden sogar seine Soldaten, und sie mussten mithelfen, andere Länder zu besiegen. Die Menschen in jenen Ländern wehrten sich. Es wurde ein schrecklicher Krieg daraus. Millionen Menschen wurden getötet! Aber immer mehr Menschen halfen zusammen und machten dem bösen Krieg ein Ende. Unser Land hieß wieder Österreich.“ An einer anderen Stelle ist immerhin von jüdischen Opfern die Rede. „Besonders betroffen waren die Juden“, heißt es da.

Wir schreiben Mai 2015. Die Wunde schwärt noch.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2015)

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