Serge und Beate: Zwei Leben für die Nazi-Jagd

GERMANY BEATE AND SERGE KLARSFELD
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Es verfolgte Klaus Barbie und andere Kriegsverbrecher, nun hat das Ehepaar Klarsfeld in Frankreich seine Memoiren veröffentlicht. Sie markieren das Ende der Nazi-Jäger-Ära – wie der Gröning-Prozess in Deutschland.

Ein junges Mädchen allein in Paris begegnet in einer U-Bahn-Station einem schönen Studenten, der sie anspricht – ob sie Engländerin sei. Nein, Deutsche, antwortet sie. Es ist der 11. Mai 1960. An demselben Tag, an dem Beate und Serge einander kennenlernen und ihre Liebesgeschichte beginnt, wird in Buenos Aires Adolf Eichmann vom israelischen Geheimdienst entführt. Was damals noch keiner ahnt: Die Verfolgung von NS-Verbrechern und die Geschichte von Beate und Serge werden bald untrennbar miteinander verbunden sein.

Heute sind Beate und Serge Klarsfeld ein berühmtes Paar. Sie machte Furore mit der Ohrfeige, die sie 1968 dem deutschen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger wegen seiner NS-Vergangenheit gab – eine Geste, die sogar Heinrich Böll und Günter Grass zum Streiten brachte. Serge, Sohn eines in Auschwitz ermordeten Juden, hat nicht nur mit seiner Frau unermüdlich dafür gearbeitet, dass berüchtigte Verbrecher wie der „Schlächter von Lyon“ Klaus Barbie und andere Kriegsverbrecher (wie der Generalsekretär der Polizei des Vichy-Regimes René Bousquet oder Gestapo-Chef Kurt Lischka) zur Verantwortung gezogen wurden. Er hat auch immense Energie darauf verwendet, die Erinnerung an die ermordeten französischen Juden lebendig zu halten, ja überhaupt erst zu ermöglichen. Serge selbst überlebte durch viel Glück – seine Mutter versteckte ihn während einer Hausdurchsuchung in einem Schrank.

Action, Politik und Liebe

Nun haben Beate und Serge in Frankreich ihre Erinnerungen veröffentlicht, sie sind voller Action, Politik und Liebe. So wie der Beginn ihrer gemeinsamen Geschichte seinerzeit mit dem Beginn des Eichmann-Prozesses zusammenfiel, fällt die jetzige Veröffentlichung der Memoiren mit einem anderen symbolträchtigen Prozess zusammen: jenem, der derzeit im norddeutschen Lüneburg gegen den heute 93-jährigen Oskar Gröning geführt wird, der als SS-Mitglied in Auschwitz diente. Noch einmal wird aus diesem Anlass geballt über Schuld, Versäumnisse der Nachwelt und späte Gerechtigkeit diskutiert.

Umso bedauerlicher, dass die bei Flammarion erschienenen „Mémoires“ von Beate und Serge Klarsfeld, in denen sie sich als Erzähler abwechseln, (noch) nicht auf Deutsch zu lesen sind. Literarisch sind sie anspruchslos, als detailliertes Dokument ihrer Arbeit aber hoch spannend und auch psychologisch interessant: um zu verstehen, was Menschen dazu treibt, ein Leben dem Einsatz für Sühne und Erinnerung zu widmen.

Zu den ergreifendsten Stellen im Buch gehört die Schilderung, wie 1978 der von Serge herausgegebene Wälzer „Le Mémorial de la déportation des Juifs de France“ („Das Denkmal der Deportation der Juden von Frankreich“) erschien. Bei einer Präsentation lasen Hunderte von Menschen weinend die Namen ihrer Verwandten darin, erfuhren zum Teil erstmals, was aus ihnen geworden war, wann und wohin sie deportiert wurden. Statt großer Worte standen hier exakte Zahlen, Namen, erdrückende Listen. Davor habe er einen wichtigen Angehörigen der jüdischen Gemeinschaft in Frankreich gebeten, ihm bei der Veröffentlichung zu helfen, erzählt Serge, doch der habe abgelehnt: weil „nur“ 80.000 Opfer drin stünden statt der von der jüdischen Gemeinschaft angegebenen 100.000 bis 120.000. „Ich wurde wütend“, schreibt Serge. „Die Wahrheit ist unteilbar, Geschichte muss präzise sein und streng.“

Gutes und gut Gemeintes

Nicht immer erfüllt die Autobiografie diesen hohen Anspruch. Nach der Ohrfeige für den deutschen Kanzler erhielt die heutige Sarkozy-Unterstützerin Beate Klarsfeld Geld vom SED-Politbüro für weitere Initiativen, was ihr den Vorwurf einbrachte, sich von der DDR einspannen zu lassen. Von diesem Vorfall ist in den „Mémoires“ nicht einmal die Rede. Auch dass manch gut gemeinte Aktion (wie der Versuch der Entführung von Ex-Gestapo-Chef Kurt Lischka) sehr ungeschickt erfolgte, geht aus dem Buch nicht hervor. Oft schimmert Eitelkeit durch, die Memoiren werden zur Leistungsschau.

Dass die Klarsfelds Großes geleistet haben, ist trotzdem klar. „Aus Liebe zu kommenden Generationen muss nach Beendigung des Krieges ein Exempel statuiert werden ... Vergesst auch nicht die kleinen Schurken dieses Systems“: Diese Botschaft der Weißen Rose war Motto für ihre Lebensarbeit. 70 Jahre danach hat das Exempel weitgehend seinen Sinn verloren, die größten NS-Verbrecher sind tot, es bleiben ein paar „Rädchen im Getriebe“ wie Gröning, der im KZ Dienst versah, aber an keinem Mord direkt beteiligt war; oder Werner Christukat, den Serge heute noch vor Gericht bringen will, weil er als 19-Jähriger am SS-Massaker in Oradour-sur-Glane beteiligt gewesen sei.

Heute noch die Wahrheit herauszufinden, ist aber chancenlos. Die Ära der Nazi-Jagd endet, gerade deswegen kommt der Rückblick der Klarsfelds zur richtigen Zeit und sollte auf Deutsch zu lesen sein – zumal die Fragen, ab wann man (Mit-)Täter wird und wo (Mit-)Schuld beginnt, bleiben. Nicht nur, wenn es um die Vergangenheit geht.

SERGE UND BEATE KLARSFELD

1960 lernten sich die zwei in Paris kennen. Der Geschichte- und Politik-Student Serge war Beate ein intellektueller Mentor. Wegen ihres Artikels über die braunen Flecken des amtierenden Bundeskanzlers Kiesinger verlor sie ihren Job – damit begann die gemeinsame Jagd auf NS-Verbrecher. [ EPA]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2015)

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