200 Jahre Burschenschaften: Militante Liebe zur deutschen Nation

Ferdinand Hodler malte den
Ferdinand Hodler malte den "Auszug der Jenenser Studenten in den Freiheitskrieg 1813" für die Aula der Universität Jena(c) Wikipedia
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Am 12.Juni 1815 gründeten Studenten der Universität Jena die erste Burschenschaft. Verhaltenskodizes und Ideologie der Urburschenschaft werden bis heute gepflegt.

Werden sie nicht mehr ernst genommen? Ohne Proteste, ohne Krawalle und Gegendemonstrationen feierten deutsche Burschenschafter vergangenes Wochenende ihr zweihundertjähriges Bestehen im thüringischen Eisenach. Sie hätten gerne auf der Wartburg oberhalb der Stadt jubiliert, dem verehrten Denkmalsort deutscher Nationalisten, wo sich einst „Juncker Jörg“ recte Martin Luther versteckte und deutsche Studenten regelmäßig mit Fackelzug und „Deutschlandlied“ ihre Traditionen pflegten.

Doch die tausendjährigen Burgmauern sind ihnen ausgerechnet im Jubiläumsjahr versperrt, die öffentliche Wartburg-Stiftung als Eigentümerin hat die Burschen hinausgeworfen: Der Dachverband der Farbenträger, die Deutsche Burschenschaft, sei in rechtsextremistische Vorfälle verwickelt und vertrete nationalistisches Gedankengut. Der Sprecher des schrumpfenden Verbandes (liberale Mitgliedsbünde hatten zuletzt die Flucht ergriffen), Walter Tributsch von der Teutonia Wien, nahm es gelassen, man feierte beim Burschenschaftsdenkmal in der Stadt. Ein anderer Österreicher, Wilhelm Brauneder, der ehemalige Nationalratspräsident aus der FPÖ, hielt die Festrede zusammen mit Götz Kubitschek, einem Vertreter der Neuen Rechten. Damit war garantiert: Die burschenschaftlichen Urwerte Ehre, Freiheit und Vaterland und damit eine zweihundertjährige Tradition wurden gebührend hochgehalten. „Turnvater“ Jahn, mit dem alles begann, hätte seine Freude gehabt.

Protestturnen. Turnen für die Freiheit! Turnen gegen die Feinde! Was der verkrachte Student Friedrich Ludwig Jahn ab 1811 da propagierte, fand rasch Anhänger: Studenten und Schüler trafen sich zu ausgedehnten Wanderungen und Leibesübungen in der Hasenheide bei Berlin. Das Turnen war Bestandteil der patriotischen Erziehung in diesem geheimen „Deutschen Bund“, der Feind war das napoleonische Frankreich, das Deutschland besetzt hielt, es war zugleich ein Protestturnen gegen die deutsche Kleinstaaterei und für ein einheitliches Deutschland.

Das Bewusstsein der territorialen Zersplitterung Deutschlands war gewachsen. Die akademische Schicht, etwa die jungen Professoren von der Universität Jena, Schiller, Hegel, Fichte, reagierten mit ihrem philosophischen Denken auf die Niederlage gegen Napoleon, wollten sich von Frankreich abgrenzen und ein eigenes Volksverständnis entwickeln. Die Idee eines rationalen Verfassungsstaates wiesen sie als Idee der Französischen Revolution und als „undeutsch“ zurück. Doch eine Eigendefinition ex negativo war unbefriedigend. Da kam die mythisch-irrationale Strömung der Romantik mit ihrem unpolitischen, biologistischen Volksbegriff als Abstammungsgemeinschaft gerade recht.

Illustration aus einer Fechtfibel, Jena 1890
Illustration aus einer Fechtfibel, Jena 1890(c) Wikipedia

Vorübergehend war politisch alles offen: ob die Unzufriedenheit mit dem deutschen Partikularismus umschlagen würde in einen weltbürgerlich-menschheitlichen Kosmopolitismus im Geist der Aufklärung, oder ob die Abgrenzung zum westlichen Nachbarn zu einem restaurativ-chauvinistischen Denken mit völkisch-rassistischen Grundzügen führen würde. Wir wissen, was „gewonnen“ hat: Die Begeisterung für das „deutsche Vaterland“ und sein „Urvolk“ (Fichte) bestimmte das Projekt der nationalen Einigung, die akademische Intelligenz trieb es voran.

Doch Jahn und sein ebenso heißblütiger Freund Friedrich Friesen hatten vor, nicht nur akademisch über Fichtes „Reden an die deutsche Nation“ zu disputieren, sondern für das „unglückliche Deutschland“ zu kämpfen: Sie drängten 1813 auf die Errichtung eines militärischen Freikorps in der preußischen Armee, in dem Freiwillige aus ganz Deutschland gegen Napoleon kämpfen sollten. Das Lützowsche Freikorps war geboren, es war benannt nach seinem Führer Major Lützow und kämpfte zunächst nicht sehr erfolgreich. Die „Lützower Jäger“ waren Handwerker und Studenten, unter ihnen der populäre Dichter Theodor Körner, allesamt blutige militärische Amateure. Doch Reste des Freikorps waren noch beim endgültigen Sieg gegen Napoleon in Waterloo dabei, damit war sein Nachruhm gesichert, der Mythos geboren. Das durch seine schwarzen Uniformen mit roten Abzeichen und goldenen Knöpfen legendär gewordene Freikorps wurde zur Keimzelle der deutschen Nationalbewegung. Nach dem Krieg setzten die Studenten an der Universität Jena ihr Studium fort, die Uniformfarben behielten sie bei, Schwarz, Rot und Gold wurden die deutschen Nationalfarben.

Neu war der Zusammenschluss von Studenten in einer Organisation nicht. Seit dem Mittelalter schlossen sich Studentengruppen in Landsmannschaften zusammen, ein brauchbares Instrument, um Neulinge, die in für sie fremde Städte kamen, sozial zu integrieren. Gelebt haben die Studenten in den „Bursen“, man nannte sie daher „Burschen“, vor allem, wenn man auf die studentische Lebensart anspielen wollte. Die „Corps“ vom Anfang des 19. Jahrhunderts sind die früheste Form von Studentenverbindungen im heutigen Sinn, sie übernahmen von den alten Landsmannschaften farbige Kleidungsbestandteile und Namen, die auf die Heimatregion hinwiesen.

Kleinstaaterei. Doch die Idee der Landsmannschaft erschien 1815 nicht mehr zeitgemäß, war sie doch ein Symbol der staatlichen Zersplitterung Deutschlands: Die Kleinstaaterei war aber das, was man zugunsten eines vereinten Deutschlands überwinden wollte, daher sollten alle Studenten in einer „Allgemeinen Burschenschaft“ zusammengeführt werden. So wurden die bestehenden Landsmannschaften in Jena am 12. Juni 1815 aufgelöst, und 113 Studenten gründeten in einem feierlichen Akt im Gasthaus Grüne Tanne die erste allgemeine Burschenschaft, die Urburschenschaft.

Es wäre ungerecht, die sich ausbildende bornierte Deutschtümelei und den Antisemitismus nur diesen Studenten anzulasten. Sie standen unter dem Einfluss ihrer Ideologen und akademischen Lehrer. Die Sprache von Friedrich Ludwig Jahn, dem wichtigsten geistigen Ziehvater, war voll mit rassistischen und antisemitischen Elementen, Ernst Moritz Arndt predigte den Volkshass und den radikalen Dualismus von Freund/Feind.

Marsch der Studenten zum ersten Wartburgfest 1817
Marsch der Studenten zum ersten Wartburgfest 1817(c) Wikipedia

Schon in dieser Frühzeit waren Begriffe wie „Bastardisierung“, „Völkerkrankheit“, „ausrotten mit Stumpf und Stiel“ üblich. So nimmt es nicht wunder, dass in der Ideologie der faschistischen Volksgemeinschaft im 20. Jahrhundert Wurzeln bei den historischen Burschenschaften entdeckt wurden. Eine unmittelbare Gleichsetzung erscheint aber überzogen und unhistorisch. Die Bücherverbrennung auf der Wartburg 1817 war kein Vorläufer der NS-Aktion von 1933, die Studenten praktizierten hier etwas, was Absolutismus und Kirche in dieser Zeit nicht fremd war.

Die konstitutiven, in der Frühphase ausgebildeten Merkmale der Burschenschaften blieben zwei Jahrhunderte lang erhalten: Das deutsch-christliche Ethos mit Aversionen gegen Ausländer, Nichtchristen, Slawen, Juden insbesondere; die militante Einsatzbereitschaft für die nationale Idee und die romantisierende Verklärung des Vaterlands; das Mensur-Ritual, das als äußerlicher Akt der Tapferkeit Zeugnis ablegen soll von Opferbereitschaft für den Männerbund und quasiaristokratischem Elitedenken; das patriarchalische Leitbild, das Frauen von der Wissenschaft und der „Weltbühne“ ausschließt und sie stattdessen anleitet, im häuslichen Kreise „Freude und Frohsinn um sich zu verbreiten“.

Überlebt haben die Burschenschaften trotz personeller Auszehrung auch die Jahre, in denen die 68er-Generation die Meinungsführerschaft innehatte. Ob es im Zuge von Islamophobie und Zuwanderungsängsten in weltbürgerlich-demokratisch fundierten Republiken zu einer Revitalisierung des alten ethnischen Nationenbegriffs kommen wird, den die Burschenschafter seit 200 Jahren vertreten, ist eine offene Frage.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2015)

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