Hinter Merkel steht ein kluger Mann

German Chancellor Merkel
German Chancellor Merkel (c) REUTERS (HANNIBAL HANSCHKE)
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Wie sich die ersten Schritte der DDR-Physikerin in der Politik abspielten.

Wer verstehen will, wie die deutsche Kanzlerin tickt, wie sie diesen erstaunlichen Aufstieg in einer männerdominierten Politik schaffte, der muss an die Anfänge zurückgehen. Ewald König, von 1985 bis 2003 Deutschland-Korrespondent der „Presse“, akkreditiert sowohl in Bonn als auch in Ostberlin, kennt Angela Merkel noch aus ihrer DDR-Zeit. Er begleitete die unscheinbare Wissenschaftlerin bei ihren ersten Gehversuchen in der Politik – und gibt zu, sie so wie alle unterschätzt zu haben.

„Merkels Welt zur Wendezeit“ ist ein interessantes Kaleidoskop aus den Notizen, die sich der aufmerksame Ewald König täglich gemacht hat. Es ist übrigens schon das dritte Buch über seine Zeit als Berlin-Korrespondent. Aber erstmals erleben wir Angela Merkel als Neopolitikerin. Die DDR-Physikerin hatte erst 1986 über den „Mechanismus von Zerfallsreaktionen mit einfachem Bindungsbruch und Berechnung ihrer Geschwindigkeitskonstanten auf der Grundlage quantenchemischer und statistischer Methoden“ mit einem Sehr gut dissertiert. Die schriftliche Arbeit unter dem Allerweltstitel „Was ist sozialistische Lebensweise?“ trug ihr hingegen nur ein Genügend ein.

Schweigend auf dem Podium

Und nun, 1989, wandte sie sich dem gerade erst gegründeten „Demokratischen Aufbruch“ zu, freilich zuerst sehr schüchtern und aufmerksam zuhörend. Ihre Kollegen berichten, dass sie bei ihrem ersten Auftritt auf einem Podium nur der Diskussion wortlos lauschte.

Dass Frau Doktor Merkel den Mauerfall am 9. November 1989 nicht live mitbekam, weil das ein Donnerstag war und sie an jedem Donnerstag mit einer Freundin die Sauna besuchte, das ist weithin bekannt. Aber Ewald König schildert von da an ihren Werdegang, zunächst als völlig unerfahrene Regierungssprecherin des DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière, dann als Ministerin für Frauen und Jugend im ersten gesamtdeutschen Kabinett Helmut Kohls. Die dümmliche Bezeichnung als „Kohls Mädchen“ hat sie schnell hinter sich gelassen. Und all die CDU/CSU-Machos in jahrelanger Kleinarbeit ausgetrickst.

Ratgeber: Joachim Sauer

Es sind die kleinen Blitzlichter, die König beschreibt und die uns Angela Merkel näherbringen. Kurz vor der Wahl 1990 schien ihre Karriere schon zerstört: Sie lief Gefahr, durch ihren Chef im „Demokratischen Aufbruch“, Wolfgang Schnur, in den Strudel der Stasi-Verstrickung hineingerissen zu werden. Schnur musste Hals über Kopf zurücktreten. Wie hat Angela Merkel auf die Katastrophensituation reagiert? „Wenn sie jemanden hat, der wirklich ihre Vertrauensperson ist, ist das immer ihr Mann gewesen“, zitiert König einen CDU-Intimus.

„Gerade in der Situation mit Wolfgang Schnur – das hat sie mir einmal erzählt – war sie völlig geschockt und hat ihren Mann angerufen. Joachim Sauer hat ihr ein paar Sätze für die Pressearbeit in die Feder diktiert. Ich habe das gesehen und mich gewundert: Das klang ganz vernünftig trotz der Schocksituation. Er hatte damals das richtige Gespür. Viel konnte man ja noch nicht sagen.“

So steht hinter der Weltpolitikerin Angela Merkel wohl ein sehr kluger Mann. Er weiß, wann es Zeit ist, zu reden, und wann, zu schweigen. (hws)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2015)

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