Kreisky: „Ich hatte immer eine Stunde zum Lesen...“

Fischer, Kreisky
Fischer, Kreisky(c) APA/WALTER HENISCH
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Bruno Kreisky. In seinen Memoiren gab der alte Exkanzler den Nachfolgern mehrere gute Ratschläge.

Im dritten Band seiner Lebenserinnerungen, die Oliver Rathkolb, Margit Schmidt und Johannes Kunz nach Bruno Kreiskys Tod herausgegeben haben, findet sich eine Passage, die als Vermächtnis an die heutige Politikerkaste verstanden werden kann („Der Mensch im Mittelpunkt“, Kremayr & Scheriau, 1996). Hier befasst sich der alte Kreisky mit seinem Verhältnis zu Kunst und Kultur.

„Ich habe mich immer für Bereiche interessiert, die weitab von der Politik sind, von dem, was als Politik verstanden wird. Sehr oft war damit auch ein gewisses utilitaristisches Interesse verbunden, dass ich nämlich in diesen Gebieten immer wieder neue Einsichten gewonnen habe, die mir halfen, mein politisches Persönlichkeitsbild zu formen, meine politischen Aspekte, oft ungewohnte Aspekte, zu formulieren. Und hier habe ich die Bedeutung der Literatur erkannt. Ich bin ein regelmäßiger Bücherleser gewesen, also ein ganz systematischer, und bin es bis heute. Das kann ich von mir im Unterschied zu vielen anderen Funktionären sagen, die immer wieder klagen, sie hätten keine Zeit, ein Buch zu lesen. Dann sage ich ihnen immer: ,Aber du hast ja die Nacht.‘ Ich lese auch heute noch, so wie in allen Jahren meines Dienstes. Ich habe unerbittlich daran festgehalten, abends eine Stunde Zeit zum Lesen zu haben. Ich habe nie gern im Bett gelesen; das ist mir zu gefährlich, weil einen der Schlaf übermannt... Wenn es zwölf Uhr nachts war, habe ich bis ein Uhr gelesen, wenn es ein Uhr war, bis zwei Uhr, sogar nach dem Opernball, als es bereits fünf Uhr früh war, habe ich eine Stunde gelesen. Das muss man eben tun, wenn man ein politischer Mensch sein will und sich auf einer gewissen Höhe halten will. Ich habe immer eine Stunde zum Lesen gehabt...“

Auch sein (langsames) Reden hat der alte Mann in dem Buche reflektiert. „Es gibt eben verschiedene Redner. Es gibt solche, die lassen einen Schwall auf die Leute los und glauben, es reicht, und es gibt auch Leute, denen das gefällt. Ich bin ein langsamer Redner und will haben, dass die Leute mich verstehen... Das gesprochene Wort ist wie eine Kugel aus dem Lauf – man kann es nicht mehr zurückholen. Das ist auch der Grund, warum ich an meinen Reden oft lang gearbeitet habe. Diese Arbeit ist mir bei Weitem nicht so leicht gefallen, wie es sich dann angehört hat. Ich habe an einer Rede oft lang herumgefeilt, einzelne Wendungen verbessert und andere Passagen weggelassen. Es ist für mich immer ein erschütterndes Erlebnis zu sehen, wie so mancher Journalist jeden Tag über irgendwas anderes schreibt, über Sachen, bei denen man spürt, wenn man sie kennt, dass er davon nichts versteht – Klischees, Klischees, Klischees...“

Die Mahnung an die Gestalter der veröffentlichten Meinung hingegen ist mit Vorsicht zu genießen. „Die Geringschätzung der Männer und Frauen, die politisch wirken, ist das Krebsübel der Demokratie. Die allermeisten von ihnen gestalten ihr Leben unvergleichlich strenger als andere Menschen. In Österreich gibt es ein geradezu überraschend geringes Maß an politischer Korruption...“ Er wäre heute entsetzt. (hws)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2015)

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