Bürgerrechte: Ist die Überwachung zu stoppen? Ja, wenn . . .

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Staaten und Konzerne dringen immer tiefer in die Privatsphäre. Der Techniker und Bürgerrechtler Christof Tschohl glaubt, dass diese Entwicklung jetzt noch gebremst werden kann. Wenn nicht, drohe 2048 „ein Desaster“.

Wien. Es ist Frühling 2015. Die Software sagt, wo in den nächsten Stunden voraussichtlich weitere Einbrüche stattfinden werden. Vorsichtshalber steigen zwei Polizisten in einen Streifenwagen und zeigen Präsenz rund um die gefährdeten Häuserblocks. Einbruch wird in dieser Nacht keiner mehr gemeldet. Die Maßnahme zeigte Wirkung.

Die Szene könnte ein kleiner Vorgeschmack auf die Zukunft des Jahres 2048 sein. In welche Richtung sich Technologie und Gesellschaft bei der Überwachung bewegen, loten aktuell Sicherheitsbehörden, Forscher und Wirtschaft gemeinsam aus. Das Projekt CriPA (Crime Predictive Analytics) befindet sich in Österreich im Testbetrieb. Dabei wird eine Software mit historischen und aktuellen Informationen über Straftaten – im konkreten Fall Einbrüche – gefüttert. Anschließend errechnet das Programm mit Hilfe zusätzlicher Parameter (Ort, Zeit, Datum, Einbruchsmethode, Beute etc.), was aus den vorliegenden Daten für die nächsten Stunden, Tage und Wochen abzuleiten ist.

Die Software ist derzeit in Wien im Einsatz. Projektpartner sind das Bundeskriminalamt, das Joanneum Research, die Softwareschmiede SnyerGIS, die Uni Salzburg und das Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie. Nach Angaben eines beteiligten Polizisten ist die Qualität der Prognosen in Gebieten mit hoher Falldichte – also in Städten – „sehr gut“. In ländlichen Regionen hingegen ließen sich mangels Basisdaten kaum qualitätvolle Vorhersagen stellen.

„Dieses Projekt zeigt ganz gut, wie man in Zukunft Datenanalyse sinnvoll und im Einklang mit Bürgerrechten nutzen kann“, sagt Christof Tschohl. Der 37-Jährige ist Nachrichtentechniker, Jurist und wissenschaftlicher Leiter des auf Kommunikationstechnologie spezialisierten jungen Thinktanks Research Inistitute – Zentrum für digitale Menschenrechte in Wien. Die eingespeisten Daten seien allesamt nicht personenbezogen und dienten genau genommen einem guten Zweck. Dennoch zeigt das Projekt für ihn einen der großen Trends für die Zukunft auf: „Das Voraussagen von allem Möglichen wird kommen. Wenn wir heute nichts dagegen tun, könnte das Jahr 2048 ein Desaster werden.“

Anzeichen für die Trends, die dahinter stehen, gibt es bereits. Sicherheitesbehörden arbeiten schon länger daran, durch die Analyse des von Videokameras aufgezeichneten Verhaltens von Personen Aussagen darüber zu treffen, ob diese eine Gefahr darstellen könnten.

Vernetzen, was verfügbar ist

Auch Nachrichtendienste arbeiten in diese Richtung. Die Entwicklung geht in die umfassende Verknüpfung und Analyse sogenannter Open Source Intelligence (OSINT). Dabei fließen offene Informationen aus Netzwerken, Datenbanken und anderen Quellen zusammen, um maßgeschneiderte Gefährdungsprognosen zu erstellen.
Gerade im Sicherheitsbereich könne das jedoch „extrem riskant“ sein, glaubt Tschohl. „Kein Computersystem ist fehlerfrei.“ Hinzu kommt die Tendenz, dass Behörden vor und hinter den Kulissen ganz massiv an der Aufhebung anonymer Räume im Internet arbeiten.

Dabei dürfte bis 2048 nicht nur der Staat sein Interesse an den Bürgern steigern. Immer mehr Versicherungen interessieren sich für das Verhalten ihrer Kunden, insbesondere dafür, ob ihr Lebensstil im Einklang mit der vorgeschriebenen Prämie steht. Nach der Durchleuchtung des Konsumverhaltens im Internet stehen mit der Vernetzung von Automobilen und Haushalten (Internet der Dinge) die nächsten großen Schritte an.

Das muss nicht immer nachteilig enden. Vernetzte Haushaltsbehelfe und Küchengeräte könnten für Geriatriepatienten oder andere Hilfsbedürftige enorme Verbesserungen der Lebensqualität mit sich bringen. Tschohl: „Hier ist die Forschung schon sehr weit.“

Mehr kritische Öffentlichkeit

Dabei stehen für den Forscher die Chancen gar nicht schlecht, dass gegen Mitte des Jahrhunderts doch nicht alle Bürger bis in die letzte Facette ihrer Persönlichkeit durchleuchtet sind. Unter zwei Voraussetzungen zumindest. Erstens: Es brauche mehr Bildung. Zweitens: Eine verpflichtende Folgenabschätzung vor der Einführung neuer Technologien und Gesetze und deren angemessene Berücksichtigung in der Technologieumsetzung. Warum das wichtig ist?

„Spätestens seit den Snowden-Veröffentlichungen“, so Tschohl, „machen sich immer mehr Menschen Gedanken darüber, was es bedeutet, wenn Teile ihres Lebens gespeichert und durchleuchtet werden. Durch mehr Bildung könnte diese Gruppe eine kritische Masse erreichen und etwas verändern. Das intellektuelle Potenzial dazu haben wir.“

Zur Person

Christof Tschohl forscht und arbeitet
am Schnittpunkt von Technik und Recht. Er ist ausgebildeter Nachrichtentechniker und Jurist, war
am Boltzmann-Institut für Menschenrechte, der Uni Wien und für die Kapsch AG tätig. Spuren hinterließ er auch als Mitglied der Initiative AK Vorrat. Sie
war mitverantwortlich dafür, dass die Vorratsdatenspeicherung aufgehoben wurde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2015)

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