Film: Videogames werden zur Schlüsselkunst

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Ein Kinobesuch wird so teuer wie heute das Burgtheater. Dafür gibt es zum Film passendes Essen, Comedy und Pyrotechnik.

Im Jahr 2048 wird es kein Kino mehr geben. Zumindest nicht mehr das, was wir heute darunter verstehen. Nämlich allein oder mit Freunden in eines der vielen Kinos gehen, sich einen Film ansehen und wieder nach Hause fahren. Die ungebremste technische Reproduzierbarkeit von audiovisuellen Kunststücken führt zur Erosion der Alleinstellungsmerkmale des Kinos: Der gewaltsame, weil kaum vermittelte und schon gar nicht reflektierte Umbruch von einer analogen in eine so gut wie exklusiv digitale Filmwelt nimmt der Schlüsselkunst- und erzählform des 20. Jahrhunderts vieles an Reiz und noch mehr an Sex-Appeal. Technikaffine rüsten Kellerräume oder Wohnzimmer zu intimen Vorführräumen hoch, in denen man ultrahochaufgelöste Blockbuster genießen kann, ohne sich außer Haus begeben zu müssen.

Die Industrie reagiert auf diese Entwicklung mit einem veränderten Verteilungsschlüssel: Während etwa für in Österreich produzierte und daher öffentlich geförderte Kinoproduktionen eine Erstverwertung im Kino zwingend vorgeschrieben ist und der Film erst nach sechs Monaten auf Heimmedien wie Blu-ray oder als Video-on-Demand erscheinen darf, werden in den USA vor allem im Indie-Sektor immer häufiger Filme zeitgleich ins Kino und ins Wohnzimmer geliefert. Die große Leinwand dient nur mehr als Werbefläche. Der Streaming-Dienst Netflix hat unlängst ausgerechnet bei den traditionsreichen Filmfestspielen von Cannes erklärt, dass er auch ins Filmproduktionsgeschäft einsteigen möchte. Die so ermöglichten Filme sollen freilich zuerst exklusiv gestreamt und erst später von Kinos gebucht werden können – eine komplette Inversion der heimischen Förderauflagen, die vor allem die Rolle der Kinos in der Verwertungskette schwächt.

Angesichts dieser Entwicklungen zu glauben, dass man 2048 auch nur annähernd dieselbe Diversität an Kinofilmen zur Auswahl hat, wäre närrisch. Und die, die anlaufen, werden Erlebnischarakter haben müssen. Eine Erfolgsgeschichte im Kinobetreibergeschäft in den USA hat den Weg in die Zukunft wohl schon vorgezeichnet: Das 1997 in Texas gegründete Alamo Drafthouse setzt auf einen Mix aus Neustarts und Spezialvorstellungen: Die werden von Pyrotechnik- oder Comedy-Shows eingeleitet, von Celebrity Guests begleitet, auf den Film abgestimmte Speisen und Getränke werden im Saal serviert. Das Konzept ist erfolgreich: Allein in Texas gibt es mittlerweile mehr als 20 Drafthouse-Kinokomplexe. Das Credo lautet: Wer Publikum will, muss ihm etwas bieten, was über die Vorführung eines Films, den man noch in zig anderen (Heim-)Kinos sehen kann, hinausgeht.

Nur wenige Studios überleben

Eine Logik, die auch die großen US-Studios verinnerlicht haben: Sie setzen immer höhere Beträge auf eine immer überschaubarer werdende Anzahl von Filmen, die mittels Marketings zu globalen Events, also Ereignissen, aufgeblasen werden. Die zwei (Groß-)Väter der Blockbuster-Kultur, Steven Spielberg und George Lucas, warnten schon davor, dass dies zum Kollaps von Studios führen wird, nämlich dann, wenn einige der Megaprojekte floppen.

Celluloid-Revival für Hipster

Bis es so weit ist, sollte man sich auf immer mehr Fortsetzungen und Remakes einstellen, die über technische Gimmicks wie 3-D, Surround-Tonsysteme wie Dolby Atmos und immer schärfere Auflösungen versuchen, dem Kino Einzigartigkeit abzuringen. Parallel zur technischen Aufrüstung werden wohl auch die Karten teurer werden: Vielleicht muss man 2048 für einen Kinobesuch so viel hinblättern wie heute für eine Burgtheater-Premiere. Denn dann wird sich eine andere Kunstform zum Massenphänomen aufgeschwungen haben: Das Videospiel durchläuft aktuell einen ähnlichen Emanzipationszyklus wie das Kino im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Manche tun es als billige Unterhaltung ab, Klügere haben längst erkannt, dass Games eine Schlüsselkunst der Zukunft sind. Die Konvergenzerscheinungen zwischen Film und Spiel häufen sich jedenfalls: Nicht nur verwenden Studios mittlerweile Technik, die für Videogames entwickelt worden ist. Mit bald marktfähigen Geräten wie dem Oculus Rift, einer Virtual-Reality-Brille, wird die von Großproduzenten so sehnlichst herbeigerechnete Unmittelbarkeit in der Filmbetrachtung, das Einsteigen in eine andere Welt, zur sehr realen Möglichkeit.

Und dann wird es auch diejenigen geben, die sich bewusst gegen all diese Innovationen stellen und das Kino in seine analoge Vergangenheit, ins Land des warmen Filmkorns, zurückwünschen und vielleicht ausgerechnet 2048 eine Renaissance des Celluloid anschieben. Dann werden sich die Hipster von morgen Filme von gestern anschauen, in einem dunklen Saal hocken und sich fragen, wie wohl das Kino im Jahr 2075 aussehen wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2015)

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