Wandel: Die Kirche als eine von vielen NGOs

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Die katholische Kirche bewegt sich weg von einer Massenkirche hin zu einer engagierten und glaubenssicheren Minderheit. Das Selbstverständnis als Staatsreligion wird nicht haltbar sein.

Wien. „2048 wird es vermutlich keine Kirchensteuer mehr geben“, sagt Paul M. Zulehner. Der Pastoraltheologe sieht einen deutlichen Strukturwandel, den die katholische Kirche Österreichs in den kommenden Jahrzehnten durchmachen wird. Weg nämlich von einer von oben verordneten Religion hin zu einer Bewegung, die stark von der Basis getrieben wird.

Das unter anderem deswegen, weil die Zahl der Katholiken deutlich abnimmt – und damit auch das Selbstverständnis als quasi Staatsreligion nicht länger haltbar sein wird. Das rührt nämlich noch aus Zeiten, in denen Religion als von oben, also von den Herrschenden verordnetes Schicksal betrachtet wurde. „In Zukunft wird es nicht mehr eine schwache Massenkirche geben, sondern eine engagierte, glaubenssichere Minderheit.“

Dabei werde, so glaubt Zulehner, die Erneuerung von zwei Seiten ausgehen. Von der kirchlichen Basis und von der Führung. Was die Basis betrifft, gebe es bereits sehr viel Engagement von Menschen für ihre Kirche. Ein Zeichen dafür ist etwa der Kampf schrumpfender Gemeinden um ihre Pfarren – wegen schwindender Mitgliederzahlen denkt die Kirchenführung in Österreich ja an Pfarrzusammenlegungen und Schenkungen von Gebäuden an andere christliche Gemeinschaften.

„Und in manchen Gemeinden ist die Kirche ja die letzte Gemeinsamkeit – etwa auf dem Land, wo man kein Postamt mehr hat und keine Geschäfte.“ Ein möglicher Weg wäre etwa die Gründung von Kirchenerhaltungsvereinen – in denen die Menschen sich unter anderem auch um die finanziellen Grundlagen kümmern. „Die Gemeinden werden stärker von den geschenkten Ressourcen und der Fantasie ihrer Mitglieder leben.“

Auch in der kirchlichen Arbeit in den einzelnen Gemeinden wird sich einiges ändern. Denn weil es zunehmend weniger Priester gibt, werden der Papst und die Bischöfe vermutlich gar nicht anders können, als Laien aufzuwerten. „Die Pfarreien zu vergrößern, damit sich ein Priester um mehrere Gläubige kümmert, ist ein Auslaufdenken“, sagt Zulehner. So wie auch die Schließung von Pfarren.

„Überzeugte Christen werden das Leben der Christen tragen. Aus deren Kreis werden ehrenamtliche Priester gefunden werden.“ Der Religionssoziologe sieht in Zukunft mehr Verantwortung bei nicht geweihten Männern und Frauen, „die sich entschieden haben, in der Spur des Evangeliums zu leben“. Die Priester sollen dann vor allem als spirituelle Helfer arbeiten und den Laien in der täglichen Gemeindearbeit zur Seite stehen. Als „Seelsorger mit Augenmaß“, wie es der Theologe bezeichnet.

Kirche mischt sich wieder ein

Nach einer Zeit des verordneten Katholizismus gehe es darum, dass die Kirche lernen müsse, mit der Freiheit des Menschen zu leben – und sie für sich zu gewinnen. „Die Kirche wird mehr eine Grassroot-Bewegung, also nicht mehr auf der Seite des Staates und der Parteien stehen, sondern eher bei den NGOs.“ Was ihr auch neues Ansehen bringen könnte – so wie heute etwa Organisationen wie Greenpeace angesehen sind.

Gelebt werde dies auch in konkreter Nächstenliebe, etwa in der Arbeit für Flüchtlinge, glaubt Zulehner. „Die Kirche richtet sich dabei stärker in Richtung Jesus aus.“ Und im Selbstverständnis der Kirche gehe es bereits in diese Richtung – durch die Reformen von Papst Franziskus. „Franziskus ist wieder auf der Spur des Konzils, die Kirche mischt sich wieder in die elementaren Probleme der Welt ein.“ Zuletzt habe das der Papst etwa mit seiner Enzyklika „Laudato si“ zur Ökologie bewiesen, in der er zur Schonung der Umwelt als dem einen Haus der Menschheit aufrief. Der erneuerten katholischen Kirche werde es gelingen, sagt Zulehner, von einer konfessionellen wieder zu einer universellen Religion zu werden.

AUF EINEN BLICK

Der katholischen Kirche stehe in den kommenden Jahrzehnten ein deutlicher Strukturwandel bevor, sagt der Pastoraltheologe Paul M. Zulehner. Sie werde sich weg von einer von oben verordneten Religion hin zu einer Basisbewegung entwickeln. Unter anderem deswegen, weil die Zahl der Katholiken deutlich abnimmt – und damit auch das Selbstverständnis als quasi Staatsreligion nicht länger haltbar sein werde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2015)

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