Cecilia Malmström: "Wir wollen die weltweiten Standards setzen"

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EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström verteidigt TTIP als wichtigen Zwischenschritt für die künftige Position im globalen Wettbewerb. Und sie warnt vor einer Verschiebung der Handelsströme zuungunsten Europas.

Die Presse: Warum propagiert die EU-Kommission TTIP – ein Handelsabkommen mit den USA. Reichen die Größe und das Potenzial des Europäischen Binnenmarkts nicht mehr aus?

Cecilia Malmström: Wir sind noch nicht aus der wirtschaftlichen Krise heraußen. Wir brauchen Wachstum, Jobs, Investitionen. 90 Prozent des Wachstums kommen heute von außerhalb Europas. Das ist der Grund, warum wir uns für derartige Abkommen engagieren. Wir haben Verhandlungen mit Singapur und Kanada abgeschlossen, verhandeln mit Japan, bereiten Verhandlungen mit Mexiko und anderen lateinamerikanischen Ländern vor. Das ist ein Patchwork, um das Potenzial des globalen Handels auszuschöpfen. Es ist aber nicht die EU-Kommission, die das forciert. 28 Mitgliedstaaten haben uns das Mandat für diese Verhandlungen erteilt.

Wenn Sie 30 Jahre nach vorn blicken: Wird Europa im internen Handel überhaupt eine Chance haben, mit den deutlich wettbewerbsfähigeren Preisen Asiens mitzuhalten?

Eines der Elemente von TTIP ist deshalb ein strategisches. Wir wollen weltweite Standards für Produkte und Dienstleistungen setzen. Wir bemühen uns schon jetzt darum und wollen das fortsetzen. Es geht um einen Kampf gegen Kinderarbeit, prekäre Arbeitsverhältnisse. Auch in Fragen des Konsumentenschutzes haben wir die stärkeren Interessen und letztlich auch die stärkere Stimme.

Das klingt gut. Aber wird Europa nicht auch gezwungen sein, Kompromisse bei seinen eigenen Standards – etwa Lebensmittel- oder Umweltstandards – zu machen?

Das ist im Mandat für die Verhandlungen zu TTIP genau festgelegt. Dort, wo wir höhere Standards haben, werden wir diese erhalten. Umgekehrt ist es genauso, auch die USA werden ihre Standards nicht reduzieren. Wir werden bei technischen Standards eine gegenseitige Anerkennung anstreben. Das heißt: Wenn wir zum Beispiel Textilien in die USA verkaufen wollen, muss geprüft werden, ob diese leicht entflammbar sind. Einen sehr ähnlichen Test gibt es auch in Europa. Künftig werden wir nicht beide Tests durchführen müssen und können damit sehr viel Geld sparen. Ähnlich ist es im Fahrzeugbau bei Sicherheitsgurten oder Crashtests. Die amerikanischen Autos sind sehr sicher, unsere auch. Wir müssen diese Tests dann nur einmal durchführen, um die Fahrzeuge auf beiden Märkten verkaufen zu können. Dies betrifft aber eben nur den technischen Bereich, anders ist das bei heiklen Bereichen wie Umwelt- oder Lebensmittelsicherheit. Hier wird jede Seite ihre hohen Standards behalten.

Die Österreicher fürchten mit TTIP eine Zukunft, in der US-Konzerne wie Amazon oder Google noch stärker als heute den internationalen Markt dominieren.

Diese Unternehmen, die Sie nennen, sind schon heute sehr groß. Das können wir mit TTIP nicht ändern. Aber wir können dazu beitragen, dass europäische Anbieter mehr Chancen haben, sich zu etablieren. Heute zahlen Lebensmittelproduzenten aus der EU in den USA hohe Abgaben für den Verkauf von Käse, Schokolade oder Wein. Wenn diese Abgaben beseitigt werden, haben europäische Firmen weit größere Chancen. Das ist auch eine Chance für kleine Unternehmen, für die der Weg in die USA heute viel zu teuer und bürokratisch ist.

Wir sprechen von einem globalen Markt. Werden in Zukunft aber auch regionale Märkte mit einer kleinstrukturierten Wirtschaft noch Chancen haben? Oder werden nur noch internationale Player dominieren?

Die meisten Unternehmen in Europa sind heute Klein- und Mittelbetriebe. Sie machen 90 Prozent unserer Wirtschaft aus. Gerade sie müssen wachsen, wenn wir bestehen wollen. Viele von ihnen bedienen heute die lokalen oder regionalen Märkte. Daran wird sich nichts ändern. Wer expandieren will, hat aber künftig eine größere Chance. Um das auch für Klein- und Mittelbetriebe zu ermöglichen, haben wir ein spezielles Kapitel in TTIP vorgesehen. Ob diese Betriebe schließlich auch wettbewerbsfähig sein werden, können wir freilich nicht entscheiden. Das muss sich zeigen. Wir können mit internationalen Abkommen nur die Voraussetzungen dafür schaffen.

Vor wenigen Tagen wurde in Brüssel eine Studie von Transparancy International veröffentlicht, wonach die EU-Kommission ihre vorbereitenden Gespräche überwiegend mit großen Unternehmen führt. Das macht den Eindruck, als fänden kleinere Unternehmen kein Gehör.

Natürlich treffe ich mit Vertretern großer Unternehmen zusammen. Aber ich treffe auch mit den Organisationen zusammen, die Klein- und Mittelbetriebe vertreten. Einzelne kleine Unternehmen haben meist kein eigenes Büro in Brüssel, große Unternehmen schon. Aber deshalb bemühe ich mich gerade auf meinen Reisen, mit vielen lokalen Unternehmern zusammenzutreffen. Wir beziehen außerdem Umweltorganisationen und andere NGOs in unsere Vorbereitungen ein.

In TTIP ist eine regulatorische Zusammenarbeit vorgesehen. Neue Gesetze müssen vorab gegenseitig übermittelt und diskutiert werden. Wird also Washington künftig die Rechtssetzung in Europa beeinflussen können?

Nein. Wir werden weiterhin selbst die Rechtssetzung bestimmen. Die Idee ist, dass wir ein gemeinsames Forum schaffen, um neue Standards zu diskutieren. Wenn beispielsweise in der EU neue Regeln für Elektroautos vorbereitet werden, wäre es sinnvoll, darüber zu sprechen, ob wir nicht die gleichen Standards in den USA einführen sollten. Am Ende werden aber nur das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente über diese Gesetze abstimmen. Der US-Kongress würde ja auch nie zulassen, dass wir Einfluss auf dessen Gesetzgebung nehmen.

Was wäre die Folge, wenn TTIP oder die künftigen Handelsabkommen nicht zustande kämen?

Wir werden uns selbst um viele Optionen bringen. Der globale Markt ist im Umbruch. Die USA verhandeln auch mit der Pazifikregion. Es könnte sich der internationale Handel zuungunsten Europas verschieben. Wir wären dann schwächer im globalen Wettbewerb.

Glauben Sie noch immer an einen Erfolg von TTIP?

Ich bin Optimistin. Ich bin sicher, dass wir ein Abkommen zustande bringen. Es wäre gut, das noch unter der Obama-Regierung zu schaffen. Vielleicht gelingt es bis nächstes Jahr.

ZUR PERSON

Cecilia Malmström ist in der EU-Kommission für Handelspolitik zuständig. In der vorangegangenen Kommission war die Schwedin für die innere Sicherheit verantwortlich. Malmström ist Politikwissenschaftlerin. Sie engagierte sich in der liberalen schwedischen Volkspartei und war von 2006 bis 2010 Europaministerin der Regierung Reinfeldt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2015)

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