Nationale Armeen bleiben weiter

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Interview. Konflikte müssen in globaler Zusammenarbeit gelöst werden, sagt Sicherheitsexperte Walter Feichtinger. Das Bundesheer werde aber auch in Zukunft eine Rolle spielen.

Die Presse: Gibt es im Jahr 2048 noch ein österreichisches Bundesheer?

Walter Feichtinger: Ich gehe davon aus, dass es international noch Streitkräfte geben wird. Daher gehe ich davon aus, dass es auch ein Bundesheer geben wird.

Mit gleicher Bedeutung wie bisher?

Die Bedeutung hängt von den Rahmenbedingungen ab. Der wichtigste Faktor ist für mich die Frage, wie sich Europa entwickelt. Davon hängen Sicherheitsfragen ab und für die Streitkräfte die Frage, welchen Beitrag sie für die Sicherheit leisten. Das ist aber nicht eng im Rahmen einer militärischen Landesverteidigung zu sehen.

Kann man schon abschätzen, was die großen Bedrohungen sein werden?

Man sollte sich den Konflikttrend anschauen. In den vergangenen zehn Jahren haben sich weltweit die Konflikte auf 30 bis 35 im Jahr eingependelt. Der Großteil davon ist innerstaatlicher Natur, und wir wissen heute, wie gefährlich das ist, wenn diese innerstaatlichen Konflikte über längere Zeit wüten. Die haben eine Außenwirkung bis weit nach Europa. Ich gehe davon aus, dass sich dieser Konflikttrend nicht wesentlich verändern wird, dass wir daher noch viele solcher Konflikte erleben werden.

Militärische Auseinandersetzungen innerhalb Europas erwarten Sie nicht?

Theoretisch kann es das schon geben. Ich nehme aber an, dass dieses Friedensprojekt Europa nach wie vor hält. Ich sehe keine Anzeichen, dass man nicht mehr in der Lage sein wird, Konflikte auf eine zivile Art und Weise zu lösen.

Worum wird es bei künftigen Krisen gehen? Um einen Kampf um Rohstoffe und Wasser?

Man muss sich die strategischen Trends der vergangenen Jahrzehnte ansehen. Das eine ist der demografische Wandel. 2048 werden wir mit neun Milliarden den Höhepunkt der Weltbevölkerung erreicht haben. Das hat Auswirkungen, weil viele Länder der Dritten Welt einen Zuwachs haben werden. Dazu haben wir den Klimawandel, was zu Wanderbewegungen führen wird. Ein anderer Bereich sind die Ressourcen. Wasser wird lange Zeit schon als Konfliktstoff gesehen, aber im großen Stil hat es bisher noch nicht zu Problemen geführt.

Was bringen die neuen Technologien?

Das lässt sich überhaupt noch nicht abschätzen. Man sollte den Begriff Krieg nicht zu eng sehen. Man muss keinen konventionellen Krieg führen, um einen anderen Akteur zu beeinflussen. Da wird sich noch viel tun, vor allem im technologischen Bereich.

Das heißt, Kriege werden in Zukunft ganz anders aussehen?

Wir werden wahrscheinlich alle Facetten von Kriegen in den nächsten Jahrzehnten erleben. Konventionelle Kriege wird es in kleinem Maßstab vermutlich noch weiterhin geben. Aber die Cyber-Dimension wird vermehrt im Vordergrund stehen: Man kann in einem völlig undurchsichtigen Milieu auf einen Gegner wirken, der gar nicht weiß, dass er attackiert wird. Mit der Cyber-Dimension und mit psychologischer Kriegsführung ist man in der Lage, eine Stimmung zu erzeugen und die Handlungsfähigkeit von Staaten und Regierungen maßgeblich zu beeinflussen, ohne dass man realisiert, was vor sich geht.

Nicht staatliche Player wie jetzt der Islamische Staat werden eine größere Rolle spielen?

Das ist jetzt schon so: 90 Prozent der registrierten gewaltsamen Konflikte sind innerstaatlicher Natur. Neu ist die Art der Kriegsführung des Islamischen Staates – diese Brutalität hat man so nicht erwartet. Das ist die totale Enthegung des Krieges. Nach 1648 hat man die Hegung des Krieges durch völkerrechtliche Bestimmungen versucht. Die werden jetzt vom Islamischen Staat ganz bewusst mit Füßen getreten. Dabei verfolgt der IS natürlich eine strategische Absicht: Das ist die schlimmste Form einer psychologischen Kriegsführung, indem man die andere Seite so erschreckt, dass sie gar nicht mehr kampffähig ist. Die Frage ist, ob sich in Zukunft andere daran ein Beispiel nehmen werden. Ich traue mich nicht, das zu beantworten.

Was muss die Antwort Europas auf all die Bedrohungen sein?

Es hat sich klar gezeigt, dass ein nationaler Zugang völlig unzureichend ist. Das kann man nur im großen Maßstab, also im europäischen und globalen Zusammenhang, machen.

Das heißt, die nationale Ebene ist bedeutungslos geworden?

Die nationale Ebene ist immer noch die, die den Bürgern am nächsten ist. Man wird zu einer Arbeitsteilung kommen und differenzieren, welche Aufgabe auf welcher Ebene am besten erledigt wird. Sicherheit um und außerhalb Europas wird wahrscheinlich nicht die Aufgabe einzelner Staaten sein. Da braucht man eine europäische Organisationsform und Architektur dazu. Den Staaten selbst bleibt schon noch eine Kernaufgabe über, die vom Katastrophenschutz über Assistenzleistungen bis hin zu begrenzten militärischen Handlungen reichen kann.

Die Zukunft ist also nicht eine europäische Armee?

Es wird ein europäisches militärisches Element geben. Das wird aber nicht alle nationalen Elemente ersetzen können. Ich gehe daher von einem Säulenmodell aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2015)

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