Europa und Arabien: Unten Gehrock, oben Fez

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Ob Kreuzzüge oder 19. Jahrhundert: Für Historiker aus Europa und dem islamischen Raum ist es schwierig, eine gemeinsame Sicht auf die Geschichte zu entwickeln. Über die beeindruckende Online-Ausstellung „Sharing History“.

Womit soll ein Haus der Europäischen Geschichte beginnen?, fragte man sich vor 20 Jahren: Mit Karl dem Großen? O nein, mit dem antiken Athen!, forderten die Griechen. Auch daran scheiterte das Projekt des Europäischen Parlaments seinerzeit, zumindest im ersten Anlauf. Mittlerweile verspricht man die Eröffnung des Brüsseler Museums zum x-ten Mal, derzeit für das kommende Jahr.

Dass es von der Idee bis zum fertigen Haus so lang dauert, zeigt, wie schwer es schon für Europäer ist, eine Version für die Geschichte ihres Kontinents zu finden; was auch nicht recht verwundert – wenn schon ein österreichisches Haus der Geschichte (bei dem u.a. auch der zeitliche Ausgangspunkt umstritten ist) so schwierig ist... Viel schwieriger wird es, wenn man versucht, Europa und den arabischen Raum in einer Geschichte zusammenzuspannen, mit der sich Historiker aller betroffenen Länder einverstanden erklären können. Das Museum with No Frontiers (MWNF) unter der Leitung der Österreicherin Eva Schubert hat es versucht, mit der Online-Ausstellung „Sharing History. Arab World – Europe 1815–1918“, die seit Juni auf der Website des MWNF zu sehen ist.

Druckerpresse und Symphonie

Institutionen aus 22 Ländern hat Eva Schubert dafür gewonnen, aus dem arabischen Raum etwa die Maghrebstaaten, Libanon, Jordanien und Saudiarabien. „In einer ersten Phase trägt jedes Land Material bei, präsentiert seine jeweilige Landesgeschichte“, erzählt Schubert. „Dann gibt es die transnationalen Ausstellungsthemen, die jeweils von zwei bis drei Ländern erarbeitet werden, zum Beispiel Tunesien und Portugal.“ In zehn Teilausstellungen, wie Kunst, Erfindungen, Soziales, Wirtschaft, Städte und Migration, wird vor allem gezeigt, wie Europa und arabische Länder einander begegnet sind und sich beeinflusst haben – etwa in Mode, Musik, Technik: wie etwa im 19.Jahrhundert in gewissen muslimischen Milieus die Kombination von Gehrock und Fez beliebt wurde, wie die Druckerpresse den arabischen Raum begeistert hat oder wie Wadih Sabra, der Komponist der libanesischen Hymne, die Verbreitung symphonischer Musik gefördert hat.

Migration verlief im Vergleich zu heute in umgekehrter Richtung – hunderttausend Europäer emigrierten nach Nordafrika und in den Nahen Osten, umgekehrt kaum einer; in Tunis etwa befanden sich nach dem Ersten Weltkrieg bis zu 100.000 Italiener. Etliche berühmte Künstler waren Söhne emigrierter Eltern – vom Autor des „Futuristischen Manifests“, Filippo Tommaso Marinetti, über den Dichter Giuseppe Ungaretti bis hin zu Albert Camus. Im 19. Jahrhundert blühte auch der Orientalismus, die europäische Orient-Verklärung, und viele Maler ließen sich aus Begeisterung für diese „exotische“ Welt in der Türkei oder in arabischen Ländern nieder.

„Sharing History“ steckt voller Wissenswertem für historisch interessierte Laien wie für Schulklassen; es ist eine Pionierleistung, allerdings nicht der Versuch, arabisch-europäische Geschichtsschreibung auf einen Nenner zu bringen. Vielmehr lässt „Sharing History“ mehrere Perspektiven gesondert nebeneinander stehen, selbst wenn das zu Widersprüchen führt. Warum auch nicht? Die Widersprüche erzählen eine Geschichte für sich. Ideologische Gräben werden damit freilich nicht überbrückt. „Sharing History“ sei nur eine „Anregung zum Dialog“, wie der Botschafter der Arabischen Liga, Wael al-Asad, und Eva Schubert bei der Vorstellung des Projekts richtig meinten. Dem Sprengstoff wird ausgewichen.

Eine islamische Kreuzzugsgeschichte

Der größte liegt ohnehin nicht im 19. Jahrhundert. „Sharing History“ wäre auch in Bezug auf die Kreuzzüge wichtig. Wie bei Schuberts Projekt gilt auch dort: Um gemeinsame Sichtweisen zu entwickeln, muss man zuerst einmal wissen, wie der andere etwas sieht. Ein fesselnder westlicher Vermittlungsversuch stammt vom 1967 geborenen amerikanischen Professor für islamische Geschichte Paul M. Cobb. In seinem 2014 auch auf Deutsch erschienenen Buch „Der Kampf ums Paradies“ schilderte er die Geschichte der Kreuzzüge ungewohnt, nämlich so gut wie gänzlich auf der Grundlage der islamischen Originalquellen. Diese werden immer noch vernachlässigt, weil westliche Historiker zu wenig Arabisch können, Forscher im Nahen Osten wiederum viel dünner gesät sind und im Westen wenig gelesen werden. Cobb versuchte, die Kreuzzugsgeschichte so zu erzählen, „wie es die Muslime des Mittelalters erlebten“. Ein wichtiges, wenn auch wenig überraschendes Ergebnis ist, dass es eine einzige gemeinsame muslimische Erfahrung der Kreuzzüge nicht gegeben hat, ebenso wenig wie einen kohärenten „Gegenkreuzzug“ und einen epochalen Zusammenprall zwischen Islam und Christentum – auch wenn einige Ideologen es schon damals so gedeutet haben.

Bestenfalls gab es, so Cobb, einen Konflikt zwischen „fränkischen Völkern einerseits und bestimmten muslimischen Gemeinschaften andererseits“. Übersteigerungen täten „den nuancierteren, weniger dramatischen, aber dennoch authentischen Entscheidungen von Generationen mittelalterlicher Christen, Muslime und Juden Unrecht“, schreibt Cobb. „Mittelalterliche Muslime und Christen zogen für ihre eigenen Ideale und Ziele in den Krieg, nicht für unsere.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2015)

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