"Alice im Wunderland": Jahrestag zwischen Party und Pädophilen-Gerücht

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Die "echte" Alice im Wunderland(c) imago/United Archives Internatio (imago stock&people)
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Vor 150 Jahren wurde "Alice im Wunderland" veröffentlicht. Lewis Carroll schrieb es für ein Mädchen, heute zählt es zu den meistzitierten Werken der Geschichte.

"Ich markiere diesen Tag mit einem weißen Stein", schrieb Charles Lutwidge Dodgson jedes Mal in sein Tagebuch, wenn er etwas Herausragendes erlebt hatte. Auch den 25. April 1856 "markierte" er in seinen Erinnerungen, und tatsächlich sollte der Tag nicht nur entscheidenden Einfluss auf sein Leben, sondern auch auf die Literaturgeschichte nehmen.

An jenem 25. April traf der britische Mathematik-Dozent im Park des Christ Church College in Oxford das Vorbild für die spätere Figur "Alice im Wunderland". Die damals dreijährige Alice Liddell war die Tochter des Dekans. "Die drei kleinen Mädchen waren die meiste Zeit im Garten, und wir wurden ausgezeichnete Freunde", heißt es im Tagebuch des 24-Jährigen Dodgson über die erste Begegnung mit Alice und ihren Schwestern.

Lewis Carroll
Lewis Carroll(c) EPA (-)

Am 4. Juli 1862 machte Dodgson mit den drei Mädchen und seinem Kollegen Robinson Duckworth einen Bootsausflug auf der Themse. "Erzähl uns eine Geschichte", bettelten die Mädchen - und Dodgson erfand 'Alice's Adventures Underground'. Alice drängte danach auf eine Fortsetzung, Dodgson begann zu schreiben. Zu Weihnachten 1864 schenkte er ihr einen kunstvollen, handgeschriebenen und selbst illustrierten Band. Am 4. Juli 1865 wurde das Buch unter dem Titel "Alice's Adventures in Wonderland" und dem Pseudonym Lewis Carroll veröffentlicht. Die Illustrationen steuerte John Tenniel bei.

Carrolls Fotos: Pädophilie oder Abbild der Unschuld?

Carrols Manuskript für Alice Liddell
Carrols Manuskript für Alice Liddell(c) imago stock&people (imago stock&people)

Den 150. Jahrestag der Publikation feiern Fans wie Literaturwissenschaftler mit Lesungen, Partys und Workshops. Er heizt aber auch die Spekulationen wieder an, die es um Carrolls Verhältnis zu der "echten Alice" und zu Mädchen allgemein schon lange gibt. Carroll hatte viele - wie er sie nannte - "child friends", mehrere junge Mädchen fotografierte er nackt. Manche Biografen nannten ihn daher pädophil, während andere darauf hinwiesen, dass Nacktfotos von Kindern im viktorianischen Zeitalter durchaus üblich und als Ausdruck der Unschuld und Reinheit des Kindes gesehen wurden.

Die "BBC" hat im Jänner aus Anlass des Jahrestages die Dokumentation "The Secret World of Lewis Carroll" gesendet, in der sie den Pädophilie-Vorwürfen breiten Raum einräumt. Ein Mitwirkender fand bei den Recherchen für die Doku in einem französischen Museum das Foto eines nackten jungen Teeangers, das nach der Beschriftung Alices ältere Schwester Lorina Liddell zeigt, aufgenommen von Carroll. Einen Beweis dafür gibt es nicht, auch wenn Experten der "BBC" erklärten, Technik, Aufnahmedatum sowie Gesichtszüge des Mädchens (auf dem Bild etwa 12 Jahre alt) würden für die Richtigkeit dieser Angaben sprechen. Wenn das Bild tatsächlich von Carroll stamme, werfe das ein weiteres beunruhigendes Licht auf Carrolls Leben, sagt Sprecherin Martha Kearney in "The Secret World".

Der Autor Will Self wirft Carroll in der Doku "stark unterdrückte Pädophilie" vor. Die Ur-Urenkelin von Alice Liddell, Vanessa Tait, erzählt, sie sei mit dem Wissen um "seltsame" Elemente in der Beziehung des Schriftstellers zu den Liddell-Mädchen aufgewachsen. Sie glaubt, dass Carroll in Alice "verliebt" war, aber nie eine Grenze überschritten habe. Nach Carrolls Tod von Verwandten aus den Tagebüchern gerissene Seiten sowie ein Bruch mit der Familie Liddell, dessen Ursachen unbekannt blieben, nähren die Spekulationen ebenfalls.

Hingegen weist die Carroll-Biografin Jenny Woolf darauf hin, dass der Schriftsteller für missbrauchte Kinder spendete, und dass von keine seiner "child friends" je Vorwürfe erhoben habe.

Illustration von John Tenniel
Illustration von John Tenniel(c) imago/United Archives Internatio (imago stock&people)

Unbestritten ist jedenfalls der Einfluss von "Alice im Wunderland" und dem Nachfolgewerk "Through the Looking-Glass, and What Alice Found There" (deutsch: "Alice hinter den Spiegeln") auf Kunstgeschichte und Popkultur. Die beiden Bücher, die heute meist als Einheit gesehen werden, gelten als das am dritthäufigsten zitierte Werk nach der Bibel und Shakespeare. Die surreale Welt von "Alice" beeinflusste Künstler von James Joyce bis John Lennon und fasziniert bis heute Kinder wie Erwachsene.

Kurzbiografien

Charles Lutwidge Dodgson alias Lewis Carroll wurde am 27. Jänner 1832 als drittes von elf Kindern in Daresbury geboren. Er besuchte Privatschulen und studierte am Christ Church College in Oxford Mathematik, Theologie und klassische Literatur. Sein Pseudonym Lewis Carroll benutzte er erstmals bei der Veröffentlichung eines Gedichts. Am 14. Jänner 1898 starb er an den Folgen einer Lungenentzündung im Haus einer Schwester in Guildford.

Alice Liddell wurde am 4. Mai 1852 geboren. Mit 28 Jahren heiratete sie Reginald Hargreaves, das Paar bekam zwei Söhne. Zwei davon fielen im Ersten Weltkrieg. 1926 ließ sie wegen finanzieller Schwierigkeiten das Manuskript Alice's Adventures Underground bei Sotheby’s für 15.400 Pfund versteigern. 1932 erhielt sie in New York  die Ehrendoktorwürde.  Sie starb am 16. November 1934 in Hampshire.

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