Arthur Seyß-Inquart: Bundeskanzler und (fast) Außenminister

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Der „Anschluss“-Kanzler wurde danach NS-Reichskommissar in den Niederlanden. In Hitlers Testament war er als Außenminister vorgesehen – die Alliierten waren schneller und henkten ihn.

Am 16. Oktober 1946 wurde Dr. Arthur Seyß-Inquart in Nürnberg als ein Hauptkriegsverbrecher gehenkt. Er war zuletzt als Reichskommissar der ranghöchste Österreicher in der NS-Hierarchie. Eine neue Biografie beleuchtet diese fatale Epoche im Leben des Wiener Rechtsanwaltes ausführlich.

Wer war dieser Mann, dessen Augen durch spiegelnde Brillengläser dem Betrachter meist verborgen blieben? Ein Südmährer, geboren 1892, dessen gutbürgerliche Familie schon 1907 nach Wien übersiedelte. Jurist, Rechtsanwalt, Weltkriegsteilnehmer, katholisch, national, konservativ. Kein typischer Nazi. In der katholisch-nationalen Deutschen Gemeinschaft wird er ein Freund von Engelbert Dollfuß. Nach dessen Ermordung 1934 sieht er sich als Brückenbauer zwischen den Nazis und dem christlich-sozialen Regime. Seine Rolle in den Tagen des „Anschlusses“ 1938 ist gut dokumentiert und oft beschrieben worden. Dafür wurde er in Nürnberg auch nicht verurteilt.

Sein Drama beginnt nach 1938. Seyß will sich wieder in seine Anwaltskanzlei zurückziehen, doch Hitler ernennt ihn zum Reichsstatthalter in Wien, dann zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich – ein Titel ohne Mittel. Diese zweite Karriere sollte ihn an den Galgen bringen. Seyß wird stellvertretender Generalgouverneur im besetzten Polen und dadurch mitschuldig an der Deportation und Vernichtung der polnischen Elite.

1940 ist aus dem einst so schüchternen katholischen Advokaten ein kompletter NS-Machthaber geworden. Er wird Reichskommissar in den besetzten Niederlanden. Bis Kriegsende werden nun auf rücksichtslose Weise Arbeitskräfte zwangsrekrutiert, Juden und Widerständler werden in die KZ geschickt. 1941 – da trägt er schon die Uniform eines SS-Generals (Obergruppenführer), ordnet er Geiselerschießungen an. 1944 eskaliert die Situation: Seyß gehorcht einem Führerbefehl, Widerstandskämpfer unmittelbar der Gestapo zur Exekution zu übergeben. Mehr noch: Der einst so distanzierte Intellektuelle gibt nun detaillierte Exekutionsbefehle und legt die Zahl der Opfer selbst vorher fest. Am 1. Mai 1945 sollte er laut Hitlers Testament Außenminister werden, doch da sind schon kanadische Truppen in Holland, und Seyß wird der militärischen Justiz übergeben. (hws)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2015)

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