Neues Museum: Gegen die Scham, von Sklaven abzustammen

(c) Mémorial ACTe
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Im französischen Guadeloupe hat das Mémorial ACTe eröffnet, das weltgrößte Museum zur Geschichte der Sklaverei. Doch viele Nachfahren wollen sich gar nicht erinnern. Auch schwarze Kollaboration ist ein Tabu.

Nur noch Ruinen bleiben von der größten Zuckerfabrik der Kleinen Antillen. Und längst haben sich mächtige Feigenbäume des Terrains bemächtigt, ihre wuchernden Wurzeln wirken wie Krakenarme, die das alte Gestein überziehen – als wollten sie jede Erinnerung ersticken. Von diesen Feigenbäumen haben sich offenbar auch die Architekten des Mémorial ACTe leiten lassen, das diese Woche seine Pforten geöffnet hat: ein Museum zur Sklaverei, größer, als es die Welt bisher gesehen hat, gelegen auf der kleinen karibischen Inselgruppe Guadeloupe, die zu Frankreich gehört – und damit auch zur EU. Diese hat den 240 Meter langen und 85 Millionen Euro teuren Bau mitfinanziert.

Wie eine riesige schwarze Schlange schaut er aus. Darüber spannt sich eine silberne Struktur wie ein feines Netz, oder eben wie die Wurzeln des Feigenbaums. Die schwarze Fassade freilich scheint überall durch – so, wie die dunkle Geschichte, die hier auf dem Fabriksterrain in der Stadt Pointe-à-Pitre auf der Insel Grande-Terre und an vielen anderen Orten der Welt ihren Schauplatz hatte, nicht ganz zugedeckt werden kann.

Kein Sklaverei-Museum in den USA

Aber wie weit man sie bloßlegen soll, darüber sind die Meinungen geteilt, nicht nur in Guadeloupe. Die USA haben knapp ein halbes Jahrhundert nach dem Zweiten Weltkrieg in Washington das United States Holocaust Memorial Museum eröffnet, und seit ein paar Jahren gibt es in New York ein Museum zu 9/11. Ein bundesstaatlich finanziertes Museum zur Sklaverei hingegen gibt es bis heute nicht. Das 2001 initiierte Projekt eines United States National Slavery Museum ist noch immer nicht verwirklicht. Das wäre so, sagte der US-Historiker Eric Foner kürzlich zur „New York Times“, als ob die Deutschen ein Museum zur amerikanischen Sklaverei bauen würden, bevor sie eines zum Holocaust machen. „Da würde man doch denken, die versuchen, was zu verbergen.“ Die Amerikaner wüssten noch immer nicht recht, wie sie mit diesem Thema umgehen sollen. „Für manche ist es alte Geschichte, für andere ist es Geschichte, die noch nicht ganz Geschichte ist.“

In Frankreich legt sich François Hollande seit Jahren ins Zeug. Frankreich hat viel Geld für das Mémorial ACTe beigesteuert (gemeinsam mit der EU trägt es die Hälfte der Kosten, die andere Hälfte zahlt Guadeloupe, dessen Präsident das Projekt auch initiiert hat); und schon 2012 wurde in Nantes, einst große Drehscheibe des Sklavenhandels, ein Mahnmal für die Abschaffung der Sklaverei eröffnet – unter vielen Einwänden, die nicht verwundern in einem Land, das traditionell eher stolz auf seine Vergangenheit ist: Man bohre damit nur in alten Wunden und kultiviere nationale Schuldgefühle.

(c) Mémorial ACTe

Menschen waren Möbeln gleichgestellt

Es gibt freilich nicht nur das rechtsrechte Gerede. Auch in Guadeloupe selbst sind offenbar längst nicht alle Einwohner begeistert über das neue Museum. Und zwar oft gerade weil die Sklaverei zu ihrer eigenen Geschichte gehört. Guadeloupe hat kaum mehr Einwohner als Graz und Innsbruck zusammen, gut 400.000. Die meisten von ihnen sind Nachfahren jener bis zu 290.000 afrikanischen Sklaven, die als „Menschenmaterial“ hierher importiert und rechtlich weitgehend (und sogar wörtlich) „meubles“, also Möbelstücken gleichgestellt waren. Wie Interviews mit den Bewohnern von Pointe-à-Pitre zeigen, ist vor allem vielen Älteren diese Herkunft unangenehm.

Die meisten Menschen hier, schreibt einer der Initiatoren des Museums, der Arzt Serge Romana, halten sich an das alte Sprichwort „Yè sé on kouyon, dèmen sé on tèbè“, was so viel heiße wie „Das Gestern ist ein Idiot, das Morgen ein Trottel“. Aber viel Scham scheint im Spiel: Man hat die Assoziationen der ehemaligen Ausbeuter mit dem Wort „Sklaven“ verinnerlicht, fühlt sich durch die Erinnerung beschämt und gedemütigt (wie viele Juden nach 1945), und gibt ungern zu, dass man von Sklaven abstammt. Junge Menschen erzählen von Großeltern, die sich weigern, von ihrer afrikanischen Herkunft zu erzählen. „Wir suchen nach Mitteln, um diese Scham zu beseitigen“, schreibt Romana.

Einmal schon war in Frankreich nach der Französischen Revolution die Sklaverei abgeschafft worden, nur um von Napoleon wieder eingeführt zu werden. Der Mann, der federführend bei ihrer endgültigen Abschaffung in Frankreich und dessen Kolonien war, hieß Victor Schœlcher, stammte aus dem Elsass, verkehrte in Paris mit Künstlern wie George Sand, Berlioz oder Liszt und vertrat Guadeloupe in der Nationalversammlung. Als die Sklaverei mit dem von ihm initiierten Dekret 1848 verboten wurde, musste man die Befreiten neu benennen, sie hatten keine Nachnamen. Die Beamten taten das zum Teil mit Fantasie, zum Teil mit Zynismus – wenn etwa eine Frau „Négresse Ungratiful“ genannt wurde. Aufzeichnungen darüber enthalten außer dem neuen Nachnamen und dem Vornamen eine Kennziffer, Alter, Geburtsort, Name der Mutter und der Kinder. Mithilfe dieser Akten aus französischen Archiven wird das neue Mémorial ACTe künftig nicht nur als Museum, sondern auch als genealogisches Forschungszentrum dienen.

Schwarze Kollaborateure: Ein Tabu

Versöhnend wirken will das Museum – kein leichtes Ziel; auch weil die Geschichte weniger einfach ist, als sie manche sehen wollen. In der Dauerausstellung des Museums, die nicht nur die lokale, sondern die globale Geschichte der Sklaverei erzählt, sieht man Ketten und Peitschen, die schwarze Sklaven-Aufseher benutzten. Dass Afrikaner mit den Unterdrückern gemeinsame Sache machten, ist, wie Proteste zeigen, ein besonderes Tabu.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2015)

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