Ballhausplatz Nr. 2: Ein Haus, das viele Herren hatte

Menschen & M�chte ´Der Untergang �sterreichs´
Menschen & M�chte ´Der Untergang �sterreichs´(c) ORF (Historisches Archiv Orf/Heinrich)
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Vom einstigen Palais Kaunitz aus lenkte Metternich Mitteleuropa. In der NS-Zeit hingegen verlor das einstige Machtzentrum immer mehr an Bedeutung.

Im Sommer 1945 langte im schwer zerstörten Bundeskanzleramt in Wien das Schreiben eines Architekten ein: Er bitte Bundeskanzler Leopold Figl, ihn aus dem Vertrag zu entlassen, der ihm die Beseitigung der Bombenschäden am Regierungsgebäude auftrug. Er habe kein Auto, die Straßenbahn funktioniere noch nicht, er könne nicht täglich zu Fuß von Hietzing in die Innenstadt kommen. So erhielt letztlich der Architekt Oswald Haerdtl den Auftrag.

Manfred Matzka, Präsidialchef im Bundeskanzleramt, weiß viel über „sein Haus“ zu erzählen. Etwa, wie schwierig es in der ersten Nachkriegszeit war, ein beschädigtes Dach zu reparieren: „Es gab kein Blech, es regnete herein, man musste bei der russischen Besatzungsmacht betteln gehen.“

Das Ende des Zweiten Weltkriegs markiert auch das Ende der Besitznahme des Kanzleramts durch die NS-Behörden, die das ehrwürdige Palais seit dem Anschluss im März 1938 zwar nutzten, ihm aber eine immer geringere Bedeutung zukommen ließen.

Studie über die Jahre 1938 bis 1945

Den Kultur- und Kanzleramtsminister Josef Ostermayer hat diese Epoche besonders interessiert, und so erging an den Historiker im Haus, Peter Schwarz, die Bitte, die „Vita“ des BKA während der Jahre 1938 bis '45 zu erforschen und zu dokumentieren. Nun liegt das Ergebnis vor, und die Studie rekonstruiert den steten Bedeutungsverlust, den „der Ballhausplatz“ während der NS-Zeit hinnehmen musste.

In den turbulenten Tagen des März '38 war das Haus am Ballhausplatz 2 Amtsgebäude für den Bundeskanzler, der seit einer Verwaltungsvereinfachung 1922 das Außenministerium mit zwei Abteilungen in Personalunion führte – und für den Bundespräsidenten, der von der Bundesversammlung gewählt wurde (Kurt von Schuschnigg und Wilhelm Miklas).

Am 13. März 1938 tritt also Miklas unter dem Druck der deutschen Reichsregierung zurück, für zwei Tage ist der „betont nationale“ konservative Innenminister Arthur Seyß-Inquart Bundeskanzler, sein Vize ist der ebenso großdeutsche konservative Militärhistoriker Edmund Glaise-Horstenau. Das „Bundesverfassungsgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ (so der Titel) tritt in Kraft, Österreich ist nicht mehr länger ein souveräner Staat.

„Österreichische Landesregierung“

Aber Österreich existiert noch! Der „Reichsstatthalter“ Seyß-Inquart wird ja mit der Führung der „österreichischen Landesregierung“ betraut, und sein Amtssitz ist natürlich der Ballhausplatz. Wenn es nach den Vorstellungen des gemäßigten Nationalsozialisten Seyß gegangen wäre, hätte das ruhig für die nächsten Jahre so bleiben können: Der ehrgeizige Rechtsanwalt hatte, was er wollte, nämlich relative Macht, und das gemeinsame Staatsoberhaupt, Adolf Hitler, hätte weit weg in Berlin amtiert. Wien wäre so der Reichshauptstadt ebenbürtig gewesen. Schließlich hatte Hitler ja gelobt, „dieser Perle“ die gehörige Fassung zu verleihen.

Allein: Es kam ganz anders. Es tritt nämlich nun der Saarpfälzische Gauleiter Josef Bürckel auf den Plan, der Beauftragte für die Durchführung der Volksabstimmung vom 10.April und gleichzeitig kommissarische Leiter der österreichischen NSDAP. Gegen den brutalen und trinkfreudigen „Bierleiter Gaukel“ ist Seyß machtlos. Und Bürckel verlegt seinen Machtapparat in das leer stehende Parlamentsgebäude.

Am 1. Mai 1938 tritt das „Ostmarkgesetz“ in Kraft, das die Tätigkeit Seyß-Inquarts als Reichsstatthalter in Österreich beendet. Aus den neun Bundesländern werden sieben Reichsgaue: Vorarlberg und Tirol sind fusioniert, Osttirol wird Kärnten zugeschlagen, das Burgenland zwischen „Niederdonau“ (NÖ) und der Steiermark aufgeteilt.

Damit ist Seyß vorübergehend stellen- und arbeitslos. Der massige Bürckel hat alle Macht an sich gerissen: Reichskommissar, Leiter der staatlichen und kommunalen Verwaltung im Reichsgau Wien, NSDAP-Gauleiter in Wien und in der Saarpfalz.

Der Ballhausplatz führt ein Schattendasein. Im Palais verbleiben die Abwicklungsstellen zur Liquidierung der Strukturen und Geschäfte der vormaligen österreichischen Landesregierung.

Im Oktober verstreut Hitler die früheren österreichischen Nazi-Führer in alle Winde seines wachsenden Reichs. Damit tritt auch für Seyß eine katastrophale Wende ein: Statt in seine Wiener Advokatur retirieren zu können, wird er in die NS-Besatzungs- und Vernichtungspolitik geschickt. Die deutsch besetzten Niederlande sollten ihm zum Schicksal werden.

Bürckels Experiment „Nisko“

Bis August herrscht Bürckel uneingeschränkt im Haus am Ring, das in „Gauhaus“ umbenannt wurde. Am Ballhausplatz verbleiben nur zwei Abteilungen (für allgemeine und innere Angelegenheiten sowie für Wirtschaft, Landwirtschaft und Arbeit). Der Mann ist durchschlagskräftig. Er probiert die Zwangsverschickung von Wiener Juden nach Polen, wo sie ein Ghetto namens „Nisko“ aufbauen sollen. Dieser „Serienversuch aus einem Laboratorium“ sei „Forschungsarbeit, wissenschaftlich studierte Endlösung“, formuliert Bürckel. Sein Experiment wird bald wieder gestoppt. Die „Endlösung“ geht dann anders vonstatten.

Am 7. August 1940 kommt es zu einer Personalrochade. Bürckel geht zurück in die Saarpfalz, der neue Reichsstatthalter und Gauleiter heißt Baldur von Schirach. Er ist erst 33 Jahre alt, entstammt einer adeligen Familie aus Rheinland-Pfalz, und er hält es mit der Kultur. Sein Vater war Intendant des Hoftheaters in Weimar, seine Mutter eine US-Staatsbürgerin. Seit 1931 Reichsjugendführer gab er 1940 diese Machtfülle freiwillig ab, um kurz Kriegsdienst in Frankreich zu leisten. Dann ernennt ihn der „Führer“ zum neuen Herrn in Wien. Und Baldur von Schirach gefällt das alte Palais, von dem aus einst Metternich Europa regierte, besser als der kahle Prunk des Parlaments. Er richtet sich seine „Reichsstatthalterei“ wieder am Ballhausplatz ein und bezieht das luftige und helle „Metternich-Zimmer“ an der Volksgartenfront. Jenes Gemach übrigens, das sich Wolfgang Schüssel im Jahr 2000 als neues Kanzlerbüro einrichtete.

„Musensohn“ Schirach

Vorsichtig und zwischen den Eifersüchteleien der Berliner NS-Führer lavierend, will Schirach das spezielle österreichische Kulturleben fördern. Er veranstaltet Ehrungen, die dem Propagandaminister Joseph Goebbels nicht gefallen: Bruno Brehm, Gerhart Hauptmann, Max Mell, Richard Strauss, Josef Weinheber. 1943 will ihn Hitler schon abberufen, weil der Mann ihm „zu weich und verwienert“ erscheint. Denn der Musensohn hat es sich in einer riesigen Villa auf der Hohen Warte bequem gemacht, herrscht in fürstlichem Stil, verlegt schließlich gegen Ende des Krieges seine Amtsräume in die Keller der Hofburg und entschwindet immer öfter bei Fliegeralarm in den „Befehlsbunker“, der in den Gallizinberg (Hernals) gegraben wurde. Wenn der Machthaber samt Tross eilends durch die Thaliastraße gefahren wird, weiß die Zivilbevölkerung, was es geschlagen hat.

Figl fängt von vorne an

Am 10. September 1944 ist es dann so weit. Das Kanzleramt wird von alliierten Bombern angegriffen, der rechte Flügel des Hauses ist fast völlig zerstört. Bis zum April 1945 wird im Bereich des Ballhausplatzes gekämpft, dann ist endlich der Krieg zu Ende.

Und unmittelbar darauf lesen die Passanten am zerstörten Portal des Hauses den Aufruf an alle früheren Bediensteten, sich zum Dienstantritt zu melden. Leopold Figl beginnt sein Aufbauwerk, der Ballhausplatz wird wieder zum Zentrum der Politik.

Karl Renner, dem ersten Bundespräsidenten nach 1945, werden zwar wieder Räumlichkeiten im Haus angeboten, aber in weiser Erkenntnis behagt dem Staatsmann die räumliche Nähe zum Bundeskanzler nicht. Schon nach einem Jahr zieht er um – hinüber in die Hofburg.

Bis 1950 dauerte die Restaurierung der zerstörten Teile des Palais. Außenministerium und BKA samt Staatsarchiv arbeiteten danach lange unter einem Dach. Erst 2005 übersiedelte das Außenministerium schließlich ins frühere Niederösterreichische Landhaus. Als Mieter.

Nächsten Montag:
Vor 25 Jahren starb Bruno Kreisky.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2015)

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