Am 30. Juli 1945 versenken die Japaner die "USS Indianapolis" - zu spät, um den Abwurf von "Little Boy" über Hiroshima wenige Tage später verhindern zu können.
Es war die Nacht auf den 30. Juli 1945 als Korporal Edgar Harrell seinen Wachdienst an Bord der „USS Indianapolis“ (CA-35) beendete. Der Schwere Kreuzer war Teil der „Portland Klasse“, die die Amerikaner im Pazifikkrieg gegen das Kaiserreich Japan in die Schlacht warfen. Gerade hatte das Schiff den Hafen von Tinian verlassen und war auf dem Weg zur Philippinen-Insel Leyte. Zurückgelassen hatte es die Kriegsentscheidung: die letzten fehlenden Teile von „Little Boy“, jener Atombombe, die in wenigen Tagen Hiroshima treffen würde.
Die Nacht war heiß, schreibt Harrell in seinem im Mai 2014 erschienen Buch „Out of the Depths: An Unforgettable WWII Story of Survival, Courage, and the Sinking of the USS Indianapolis“ (zu Deutsch: Aus den Tiefen: Eine unvergessliche Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg über Überleben, Mut und den Untergang der USS Indianapolis). Harrell erhielt die Erlaubnis, sich eine Pritsche an Deck zu nehmen, gleich unter dem Geschützturm Nummer 1. Er nickte ein – und wurde von einem ohrenbetäubendem Lärm geweckt: Um 0:14 Uhr schlug ein Torpedo in die „USS Indianapolis“ ein, abgefeuert vom japanischen U-Boot I-58 unter Kaigun-Taisa Mochitsura Hashimoto.
„Whoom. Ich flog in die Luft. Da war Wasser, es flogen Trümmer, Feuer, alles kam rauf und wir waren plötzlich 25 Meter von der Wasserlinie entfernt. Es war eine gewaltige Explosion. Dann, als ich wieder auf die Beine kam, der nächste Schlag. Whoom“, erinnerte sich der damals 19-jährige Loel Dean Cox 2013 gegenüber der „BBC“.
Zwölf Minuten, hunderte Tote
Eigentlich hatte Hashimoto einen Torpedofächer von sechs Torpedos gezündet, eingeschlagen haben nur zwei. Und sie genügten. Das Schiff bekam Schlagseite nach Steuerbord. Nach nur zwölf Minuten war der 186,3 Meter lange Kreuzer verschwunden und mit ihm die Mehrheit seiner 1196-köpfigen Besatzung. „Drei Viertel der Crew starben in dem Disaster“, so Harrell bei einem Memorandum vor zwei Jahren. Allein die Explosion einer Munitionskabine riss an die 300 Menschen in den Tod. „Manche hatten Schwimmwesten, andere nicht, und die meisten ploppten ins Wasser wie die Korken“, meinte Harrell. Viele hatten Verbrennungen, gebrochene Arme oder Beine. Wieder andere waren mit Öl überzogen, das durch den Torpedoeinschlag aus dem Schiffsinneren quoll. Von den 900 Männern, die sich vom Schiff ins Wasser retten konnten, erlagen an die 100 in den nächsten Stunden ihren Verletzungen.
Wenige Stunden später der nächste Schlag: „Am Morgen kamen die Haie“, sagte Harrell, der sich inmitten einer Gruppe aus 80 Mann befand. „Wir hörten einen furchteinflößenden Schrei“, so der Soldat. „Und dann verschwand ein Körper unter Wasser, nur die Schwimmweste kam wieder an die Oberfläche.“
Tödliche Halluzinationen
Die Zeit arbeitete gegen die Männer: Der Durst wurde unerträglich, die Körper dehydrierten. Die Zungen schwollen an, die Lippen sprangen ihnen auf, das Salz verkrustete die Gesichter, die Sonne brannte auf sie hinab. Aus Verzweiflung tranken manche das Meerwasser und wurden bald von Halluzinationen geplagt. Auf die Wahnbilder folgten Koma und Tod. Am dritten Tag hatte sich die Zahl der Überlebenden um Harrell (in der weiteren Umgebung fanden sich weitere „Überlebendengruppen“) von 80 auf 17 verringert – und noch immer schien keine Rettung in Sicht. Grund dafür war die hohe Geheimhaltungsstufe der Mission: Die „USS Indianapolis“ war kurz nach dem ersten Atomtest am 16. Juli 1945 von San Francisco über Hawaii nach Tinian Island aufgebrochen (Operation „Bowery“). An Bord befanden sich Uran 235 und Teile jener Atombombe, die am 6. August Hiroshima treffen sollte. Am 26 Juli traf der Kreuzer in Tinian ein. Fast zeitgleich wurde Japan in der „Potsdamer Deklaration“ von den USA, Großbritannien und China zur bedingungslosen Kapitulation aufgefordert. Das Kaiserreich lehnte ab, die „USS Indianapolis“ nahm indes Kurs auf Guam und weiter zur Philippinen-Insel Leyte, die es nie erreichen sollte.
Nur wenigen Marinedienststellen war die Operation „Bowery“ bekannt, weshalb der Schwere Kreuzer nicht sofort vermisst wurde. Erst nach vier Tagen machten Flugboote die Schiffbrüchigen ausfindig und forderten Überwassereinheiten zur Bergung der „boys“ an. Gerettet wurden nur noch 317 Personen – und diese sollten Jahre brauchen, um sich von dem Erlebten zu erholen. Harrell selbst lag monatelang in Krankenhäusern.
Abgeschlossen war der Fall damit nicht: Im November 1945 wurde „Indianapolis“-Kommandant Charles B. McVay III von einem Militärgericht verurteilt, weil er das Schiff wegen angeblichen Unterlassens von „Zick-Zack-Manövern“ gefährdet hätte. 1968 nahm er sich das Leben – 32 Jahre vor seiner Rehabilitation. Denn im Oktober 2000 wurde er auf Drängen der „Indianapolis“-Hinterbliebenen-Organisation vom US-Kongress entlastet. Den Ausschlag dafür hatten eine Reihe von Interviews mit Überlebenden des Unglücks sowie die Aufarbeitung hunderter Aktenseiten gegeben – durchgeführt vom damals zwölfjährigen Hunter Scott im Rahmen eines Geschichtsprojektes an seiner Schule.
Offen geblieben ist bis heute dennoch ein Punkt: Der genaue Ort des Untergangs der „USS Indianapolis“ ist unbekannt, ihr Wrack verschollen. Zwei größere Suchoperationen im Juli und August 2001 sowie im Juni 2005 verliefen erfolglos.