Vor 125 Jahren: Der erste Mensch wird ''elektrokutiert''

Das erste Exemplar des Elektrischen Stuhls, auf dem 1890 William Kemmler starb
Das erste Exemplar des Elektrischen Stuhls, auf dem 1890 William Kemmler starb(c) Wikipedia
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Am 6. August 1890 wird der Mörder William Kemmler auf den Elektrischen Stuhl geschnallt. Er stirbt qualvoll, während Forscher einen PR-Streit führen.

Der Zahnarzt Albert Southwick wird im Jahr 1881 zufällig Zeuge eines Unfalls, bei dem ein Betrunkener einen Stromgenerator berührt - und sofort stirbt. Southwick erzählt das Erlebte seinem Freund, Senator David McMillar. Die Nachricht trifft einen Nerv, denn seit längerem wird in den politischen Reihen nach neuen, fortschrittlicheren Hinrichtungsmethoden gesucht, die den Galgen ablösen sollen. Die Elektrizität scheint ein Ausweg zu sein: 1886 wird die „Electrical Death Commission“ ins Leben gerufen, die – wie auch Southwick – Kontakt mit dem Erfinder Thomas Edison aufnimmt. Edison ortet die Chance, seinem Konkurrenten, George Westinghouse, zu schaden. Letzterer hat mit Energieübertragungen durch Wechselstrom Bekanntheit erlangt, Edison selbst arbeitet mit Gleichstrom – und beide streiten darüber, welche Stromart sicherer in der Anwendung ist.

Stromexperimente an Hund und Pferd

Edison und sein Mitarbeiter Harold P. Brown führen mehrere Tests mit Hunden, Katzen, Kälbern und Pferden durch, die sie zunächst mit Gleichstrom „behandeln“, um seine „Unschädlichkeit“ zu demonstrieren. Anschließend befestigen sie die Tiere an einem Wechselstromgenerator – und versetzen ihnen einen tödlichen Stromschlag. 1903 wird auch die Elefantenkuh Topsy auf diese Weise getötet. Nachdem die Methode gefunden ist, macht sich Edison daran, sie zu benennen und propagiert die Begriffe „electrocution“ und „to westinghouse“.

Westinghouse zieht daraufhin vor Gericht. Edison bediene sich Methoden, „die unmännlicher, beleidigender und lügnerischer sind als in jedem Wettkampf, den ich kenne“, tobt er. Doch er verliert. Edison wird gestattet, den „Old Sparky“ („alter Funkensprüher“), wie der Elektrische Stuhl auch genannt wird, für Hinrichtungen von Menschen vorzubereiten. 1888 verabschiedet das Parlament in Albany das „Electrical Execution Law“, mit dem festgelegt wird, dass alle Personen, die ab dem 1. Jänner 1889 zum Tod verurteilt werden, per Stromschlag hinzurichten sind. Als Ersten trifft es William Kemmler. Er hat seine Lebensgefährtin mit einer Axt ermordet.

„Sie hätten es besser mit einer Axt getan“

Es ist der Zeitpunkt, an dem das „Auburn Prison“ Bedeutung erlangt. Denn in dem 1816 als Modellanstalt Anstalt gegründete Gefängnis (man setzt auf die Disziplinierung ihrer Insassen mittels „Stille, Züchtigung und Gruppenarbeit“ und bietet Besichtigungstouren an) sitzt Kemmler nicht nur ein, er soll hier auch sterben.

Kurz nach 6 Uhr morgens am 6. August 1890 wird der Mörder aus seiner Zelle geholt. Vor den Augen von 25 Zeugen wird der 30-Jährige verkabelt, eine Elektrode wird an seinem Rücken, eine an seinem Kopf befestigt (erst später wird die Beinelektrode eingeführt), eine schwarze Maske wird ihm über das Gesicht gestülpt. Um 6:42 Uhr wird der Schalthebel umgelegt, 17 Sekunden lang treffen Kemmler 1000 Volt. Sein Körper windet sich, Adern platzen auf, er erbricht – doch er stirbt nicht. Die Anwesenden sind entsetzt. Der Generator wird neu aufgeladen, die Spannung auf 2000 Volt erhöht. Wieder wird der Schalter ungelegt – diesmal für 70 Sekunden.

Tags darauf berichten die amerikanischen Zeitungen von dem „entsetzlichen Schauspiel“, das sich in Auburn zugetragen habe. „Blut tauchte auf dem Gesicht des Unglückseligen in dem Stuhl auf. Es stand ihm auf der Stirn wie Schweiß. (…) Ein furchtbarer Geruch breitete sich in der Todeskammer aus“, schreibt die „New York Times“, denn die Haare und das Fleisch unter den Elektroden waren verschmort. Im „New York Herald“ heißt es, die Tötung durch Stromschlag „war eine Schande für unseren großartigen Staat“. Auch Westinghouse kommentiert den Vorfall: „Sie hätten es besser mit der Axt getan.“

Abgelöst durch die Giftspritze

Trotz der „Startschwierigkeiten“ setzte sich „Old Sparky“ bald durch: Mehr als die Hälfte der US-Bundesstaaten wechselten vom Galgen auf die „humanere Methode“. Heute ist Nebraska der einzige Bundesstaat, in dem der Elektrische Stuhl die einzige Exekutionsmethode ist. Ebenfalls noch verwendet wird er in Alabama, Florida, Georgia, South Carolina und Virginia. Im Mai 2014 führte Tennessee die Exekution durch den Elektrischen Stuhl wieder als Standardmethode ein, sofern das Gift für eine tödliche Injektion nicht beschafft werden kann.

Außerhalb der Grenzen der USA fand die „Elektrokution“ allerdings wenig Zuspruch; lediglich die Philippinen führten sie von 1924 bis 1976 durch.

In den USA wurden neben Mördern während des Zweiten Weltkriegs auch deutsche Spione „elektrokutiert“. Allerdings mehrten sich über die Jahre Berichte über aus den Schädeln der Verurteilten schlagende Flammen, die „Old Sparky“ fast überall verschwinden und durch die Giftspritze ersetzen ließen. Als bislang letzter Verurteilter wurde Robert Charles Gleason Jr. 2013 in Virginia auf dem Elektrischen Stuhl hingerichtet. Derzeit gibt es die Todesstrafe in 31 der 50 US-Staaten, wenn auch in einigen nur noch pro forma. 35 Häftlinge wurden 2014 hingerichtet.

Wechsel- vs. Gleichstrom

Wechselstrom ändert seine Richtung in regelmäßigen Abständen. Er löst an der Skelettmuskulatur schon ab einer Stärke von 10 Milliampere Kontraktionen aus. Ab 30–50 Milliampere kann ein Atemstillstand für die Dauer des Stromflusses ausgelöst werden. Gleichstrom dagegen ist ein elektrischer Strom, dessen Stärke und Richtung sich zeitlich nicht ändert. Hier sind Stromstärken von bis zu 300 Milliampere nötig, um tödliche Verletzungsfolgen herbeizuführen.

>>> Bericht der „New York Times“ vom 7. August 1890

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