Das Kriegserbe Japans: Eine Entschuldigung als Politikum

Gedenken in Japan
Gedenken in JapanAPA/EPA/KIYOSHI OTA
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70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Ostasien ist eine wahre Aussöhnung im Gebiet illusorisch.

Wien. Fast 70 Jahre ist es her, dass Japan am 15. August 1945 seine Kapitulation bekannt gab und damit den Zweiten Weltkrieg im Pazifikraum beendete. Mehrere Wochen schon scheint es, als wollten sich auch Chinas Medien für das Gedenken an diesen glorreichen Tag für Ostasien wappnen: Schier endlos ist der Strom an Beiträgen auf Twitter, in denen die Nachrichtenagentur Xinhua Japan auffordert, eine „korrekte“ historische Sichtweise anzunehmen. Gemeint ist damit jedoch besonders eine Person: der konservative Regierungschef Japans Shinzo Abe.

Ebenso wie Südkoreas Präsidentin, Park Geun-Hye, pocht Chinas Staatschef, Xi Jinping, auf eine Entschuldigung Japans für die Kriegsgräuel. Unter der Devise „Tötet alle, verbrennt alle, plündert alle aus!“ wurden in den Jahren „japanischer Aggression“ von 1937 bis 1945 nach offiziellen Angaben 35 Millionen Chinesen getötet oder verletzt. Für Südkorea sind „Trostfrauen“ ein wunder Punkt. Während des Krieges machten japanische Soldaten rund 200.000 Frauen in ganz Asien, davon großteils Koreanerinnen, zu ihren Sexsklavinnen. Noch immer sitzen die Wunden tief: Aus Protest setzte sich am Mittwoch ein Südkoreaner vor der japanischen Botschaft in Seoul selbst in Brand. Auch Präsidentin Park verweigert seit ihrem Amtsantritt 2013 bilaterale Gespräche mit Abe.

Selbst nach Jahrzehnten scheinen die Gräben zwischen Japan und seinen früheren Kolonien unüberwindbar – obwohl sich vor Abe bereits mehrere japanische Regierungschefs deutlich für die Kriegsrolle des Inselstaates entschuldigt hatten, erklärt Patrick Köllner vom Leibniz Institut für Globale und Regionale Studien. Ein Grund dafür sei das widersprüchliche Verhalten hochrangiger Regierungspolitiker – etwa ihre kriegsverharmlosenden Aussagen oder umstrittene Besuche im Yasukuni-Schrein, in dem auch Kriegsverbrechern gedacht wird. Viele Südkoreaner und Chinesen zweifelten daher an der Aufrichtigkeit der Entschuldigungen. Das Problem ist, sagt Köllner, „dass die Entschuldigungen im Endeffekt nur Wortgeklingel sind, aber kein Ausdruck eines aufrichtigen Sühnebedürfnisses.“

In Nationalismen sieht Köllner eine weitere Ursache für die Unversöhnlichkeit der Beteiligten. In China und Südkorea spiele der Widerstand gegen Japan eine große Rolle auf dem Weg zu einer Nation: Für Korea markiert die Kapitulation Japans die Befreiung von 35 Jahren Fremdherrschaft. Gleichzeitig läutete dieser Tag die Spaltung der koreanischen Halbinsel in Nord- und Südkorea ein. Immer wieder sei die Kontroverse um „Trostfrauen“ in Südkorea daher zu einem Politikum gemacht worden. Vor allem die regierenden Parteien wollen damit innenpolitisch punkten, meint Köllner.

Territorialstreit erschwert Einigung

So werden auch Pomp und Gloria, mit denen China seine Gedenkfeiern im September inszeniert, verständlich. Monatelang läuft Chinas Propagandamaschinerie auf Hochtouren. „Lasst historische Fakten sprechen“, sagte Xi Jinping im August. Die Fakten bewiesen, dass die Kommunistische Partei der „Hauptfaktor“ im antijapanischen Widerstand gewesen sei. Die Nationalisten hätten hingegen nur eine „wichtige“ Rolle gespielt – entgegen der Meinung von Historikern. Der Sieg über Japan ist für Chinas Führung damit ein wichtiger Teil ihrer Legitimation.

Auch dass die Territorialstreitigkeiten zwischen Japan und seinen zwei ostasiatischen Nachbarn der Nachkriegsordnung entspringen, erschwert eine Einigung. Während Japan die 215 Kilometer östlich von Südkorea gelegene Inselgruppe Dokdo, auf Japanisch Takeshima, beansprucht, erhitzt Japans Hoheit über die rohstoffreichen Senkaku-Inseln seit Jahren chinesische Gemüter. Für eine wahre Aussöhnung, meint Köllner, dürfe die japanische Kriegsrolle von keiner der Konfliktparteien für politische Zwecke instrumentalisiert werden. So brauche es auch keine weiteren Entschuldigungen Japans, sondern ehrlich gemeinte symbolische Handlungen. Dazu könnte eine neutrale Stätte des Gedenkens an die Gefallenen gehören. Hoffnung auf Versöhnung sieht er allerdings selbst so lang nach Kriegsende nicht.

Auf einen Blick

Die Kapitulation Japans am 15. August 1945 setzte dem Zweiten Weltkrieg im Pazifikraum ein Ende. Während das Tenno-Reich die koreanische Halbinsel bereits 1910 annektierte, fiel Japans Armee erst in den 30er-Jahren in China ein. In der Mandschurei gründete sie den Marionettenstaat Mandschukuo und eroberte von dort aus weitere Teile Chinas. Die Japaner waren harte Kolonialherren: Die Massaker, Menschenversuche und Vergewaltigungen der Besatzer belasten noch heute die Beziehungen zu China und Südkorea.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2015)

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