Schubertring: Ein Palais in nobler Nachbarschaft

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der ÖAMTC verlässt sein Hauptquartier und bezieht einen modernen Neubau. Der Ringstraßenpalast ist umgeben von veritablen Gebäuden mit klingenden Namen.

Wenn der ÖAMTC in absehbarer Zeit in seinen neuen Bürobau im 3. Bezirk übersiedelt, wird am Schubertring Nr. 7 ein Palais frei, das eine wechselvolle Geschichte hat. Der Palast, der vielen Clubmitgliedern in guter Erinnerung bleiben wird, ist 1864 errichtet worden.

Die Adresse – eine der nobelsten der Stadt – lautete zunächst Kolowratring 3, benannt nach Franz Anton Graf Kolowrat-Liebsteinsky, einem adeligen Gegenspieler des Fürsten Metternich. Bis 1928 trug dieser Abschnitt des Prachtboulevards diesen Namen, jetzt heißt er Schubertring.

Neorenaissance war Mode

Der Bauherr, die „Anker“-Versicherung, hatte damals schon Niederlassungen in allen Großstädten der Habsburgermonarchie. 1864 war nun Wien an der Reihe. Die auserkorenen Architekten, Johann Romano und August Schwendenwein, fügten das Haus perfekt in die gerade entstehende Häuserzeile ein, Neorenaissance war die große Mode. Die beiden Stars verwirklichten sich in dieser Epoche des unglaublichen Aufschwungs an vielen markanten Plätzen der City: Am Schwarzenbergplatz gleich zweimal, am Parkring ebenso: Das Palais Henckel von Donnersmarck etwa wird gerade renoviert.

Kolowratring 3: ein Gewerbehaus und bürgerliches Miethaus. Das Erdgeschoß diente Werkstätten und Läden, in den oberen Etagen konnte man an bester Adresse zur Miete wohnen.

Nach 1900 schnupperte das Palais erstmals Automobil-Luft: Ein Autohändler zog ein, neben einem Linoleumgeschäft und einer Tabaktrafik. Dann kaufte die begüterte Familie Kuffner das Haus, deren Besitz ihr 1940 genommen wurde.

Die Brüder Ignaz und Jacob Kuffner aus dem mährischen Lundenburg waren Besitzer der Ottakringer Brauerei, Ignaz stellte sich nicht nur als Bürgermeister des Vororts in den Dienst der Allgemeinheit: Seine Wohltätigkeit für die Armen wurde mit dem erblichen Adel belohnt.

Kuffner musste emigrieren

Der Name des Nachfahren Moriz Kuffner lebt heute noch in der von ihm errichteten Sternwarte fort. Als 85-Jähriger zog er vor dem „Anschluss“ 1938 die Konsequenz: Er verkaufte die Brauerei und starb bald darauf im Zürcher Exil.

Das Haus am Ring wurde „arisiert“, es ging in den Besitz des Bankhauses Krentschker über – nach dem Krieg bekam die Familie Kuffner ihren Besitz zurück und verkaufte an die Girozentrale. 1966 vergrößerte sich die Bank und tauschte ihre Liegenschaft mit dem ÖAMTC, der um zwei Häuser weiter rückte.

Lippert baute um

Der Denkmalschutz bewahrte die Ringstraßenfassade vor heftigen Eingriffen. Im Inneren gestaltete der Architekt Georg Lippert das Palais zum zeitgemäßen Bürohaus um: Generalsekretariat, Rechtsdienste, Kartografie fanden hier ebenso ihren Platz wie ein Rundfunkstudio, die Fernschreibzentrale und die Redaktion der Clubzeitschrift. Im Erdgeschoß machten die Clubbediensteten ihren Schalterdienst.

Auch die Nachbarhäuser verdienen Beachtung. Im Eckgebäude zur Johannesgasse mit dem Blick auf den Stadtpark war ab 1916 die „Österr. Politische Gesellschaft“ untergebracht, ein Klub des geistigen Wiens, ein Treffpunkt des Wiener Besitz- und Bildungsbürgertums“, wie Hannes Kerschl, der Haushistoriker des ÖAMTC, recherchierte. Ziel des Klubs war eine Reform der Monarchie, doch reichte dafür die Zeit nicht mehr.

Auch im Nebenhaus Fichtegasse 11 war die Politik zu Hause. „Wir schreiben seit 1848“ heißt es stolz im Werbespruch der „Presse“. Hier also befanden sich ab 1. September 1869 Redaktion, Setzerei, Druckerei und Expedit der einflussreichsten Tageszeitung der Monarchie, der „Neuen Freien Presse“. Bis auf den Chefredakteur – der war großzügiger untergebracht – hatte jeder Redakteur ein schmales hohes Zimmer, jedes war gleich möbliert: dunkler Schreibtisch, ein runder Tisch mit grünem Tuch bespannt, zwei schwarze Lederfauteuils und ein Ledersofa. Das diente dazu, dass sich die Redakteure zwischen Abendblatt und Morgenausgabe eine Stunde hinlegen konnten. Nicht immer ruhten sie dabei...

Die „österreichische Times“ beschäftigte ständig 500 bis 600 Mitarbeiter, darunter etwa 90 Korrespondenten im Ausland. Moriz Benedikt trieb sein Team zu journalistischen Spitzenleistungen an; er war respektiert und gefürchtet; er wurde als erster und einziger Journalist vom Kaiser ins Herrenhaus berufen.

„Fenster nach Europa“

Für das Bürgertum der Jahrhundertwende bedeutete das Blatt ein Fenster nach Europa. „In Wien gab es eigentlich nur ein einziges publizistisches Organ hohen Ranges, die ,NFP‘“, urteilte Stefan Zweig, der 1901 erstmals ein Feuilleton in der Zeitung veröffentlichen konnte. Elias Canetti schildert in einer Autobiografie die sakrale Handlung, wenn in seinem kleinen Heimatort Rousse die tägliche ,NFP‘ eingelangt war. „Es war ein großer Augenblick, wenn Vater sie langsam auseinanderfaltete. Sobald er sie zu lesen begonnen hatte, hatte er kein Auge mehr für mich. Auch die Mutter fragte ihn dann nichts, nicht einmal auf Deutsch.“ Über ganz Europa war sie verbreitet. Sie war das Blatt der „täglich zweimal verfälschten öffentlichen Meinung“, wie ihr schärfster Kritiker, Karl Kraus, spottete.

Nächsten Montag:
Herbst 1945: Die Anklage von Nürnberg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2015)

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