Bayerns barocker Ersatzkönig spaltete die Bundesrepublik

 Franz Josef Strauß
Franz Josef Strauß(c) imago stock&people
  • Drucken

CSU-Chef Franz Josef Strauß prägte die Politik in der BRD in diversen Funktionen entscheidend mit – und polarisierte wie kaum ein anderer Politiker der Nachkriegszeit.

Wenn er zu den Klängen des Bayerischen Defiliermarsches, inmitten seiner Höflinge, wie ein Landesfürst mit breiter Brust in die dampfende Nibelungenhalle in Passau einzog, johlten die Anhänger und Parteigänger – in bierseliger Vorfreude darauf, dass ihr FJS es den Großkopferten in Bonn hineinsagen würde, den Brandts, Schmidts oder Kohls. Franz Josef Strauß, der langjährige CSU-Chef und Ministerpräsident, von manchen als „Kini“, als bajuwarischer Ersatzkönig verehrt, etablierte die Aschermittwoch-Rede als politisches Ritual, und seine Sottisen über Feind wie Freund sorgten von München bis Hamburg für Furore.

Seine Reden brachen wie ein Naturereignis über das Auditorium herein: Mit Urgewalt, in abgehacktem Stakkato, polternd, nach Luft schnappend, schwitzend, auf den Zehen wippend, zog der Brachialpolitiker, der Sohn eines Münchner Fleischhauers, vom Leder, dass es eine Art hatte. Dass sich hinter der Fassade des barocken Homo politicus, des Demagogen und Populisten ein durchaus belesener Bildungsbürger mit einer Affinität für Latein verbarg, als Schüler ein Primus und in seiner Jugend ein passionierter Radfahrer, wussten indes die wenigsten. Vor allem nördlich des „Weißwurst-Äquators“ erschien er als Inbegriff des derben und dumpfen Stammtischpolitikers, verachtet als skrupellos und verschlagen. Strauß polarisierte die Bundesrepublik wie kein anderer.


Licht und Schatten. Die Licht- und Schattenseiten des Patriarchen kommen dieser Tage, 27 Jahre nach seinem Tod, erneut zum Vorschein, da seine Partei den heutigen 100. Geburtstag ihres Säulenheiligen wie einen Staatsakt begeht. Wer anderer als Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber, der langjährige Strauß-Adlatus, sollte die Laudatio halten? Nur Kanzlerin Angela Merkel ließ sich entschuldigen. Pünktlich zum Jubiläum erschien zugleich Peter Siebenmorgens Strauß-Biografie „Ein Leben im Übermaß“, die den „Amigo-Affären“ und Geheimkonten des Politikers, den Geldflüssen der deutschen Industrie, penibel nachspürt. Die notorischen Strauß-Kritiker heulten sogleich reflexartig auf. Selbst für die Nachwelt ist FJS allemal für eine Kontroverse gut.

Die Karriere des Franz Josef Strauß, der eher zufällig in die Politik geraten war, vollzog sich kometengleich. In der Nachkriegszeit avancierte der verhinderte Gymnasiallehrer, protegiert von der US-Besatzungsmacht, rasch zum Landrat in Oberbayern und zum ersten Generalsekretär der eben erst gegründeten CSU. Als Bundestagsabgeordneter machte er in Bonn von sich reden, und Kanzler Konrad Adenauer konnte nicht umhin, das Polit-Talent in den 1950er-Jahren in seine Regierung zu berufen – als Minister ohne Portefeuille, danach als Minister für Atomfragen und schließlich als Verteidigungsminister. Mit dem Argument, er wolle nicht als Witzfigur enden, hatte der Junggeselle erst die Bestellung zum Familienminister ausgeschlagen. Ganz geheuer war der eigenwillige Kopf seinem rheinischen Parteifreund, dem ungleich älteren Adenauer, ohnehin nicht.

Als Verteidigungsminister erreichte der 41-Jährige vorläufig den Zenit seiner Macht. Mit Feuereifer trat er für die Wiederaufrüstung der BRD ein, insbesondere auch für die atomare. Im Nachkriegs-Deutschland brach Strauß damit ein Tabu und schuf sich solcherart Feinde. Nach einem Saufgelage mit Strauß in der Hamburger Villa des „Spiegel“-Herausgebers Rudolf Augstein, der den bayerischen Machtpolitiker als Gefahr für die demokratische Ordnung empfand, nahm das Unheil seinen Lauf – es war der Beginn einer eigentümlichen Hassliebe zwischen zwei Trinkkumpanen, die es liebten, selbst noch nach ihrem Zerwürfnis über den Lauf der Welt zu philosophieren.

Die Journalisten des Nachrichtenmagazins hefteten sich an die Fersen des affärengeplagten Ministers. Die Titelgeschichte „Bedingt abwehrbereit“ brachte 1962 einen Skandal ins Rollen, der als sogenannte „Spiegel“-Affäre in die Annalen einging, dem Magazin das Attribut „Sturmgeschütz der Demokratie“ eintrug und Strauß politisch das Genick brach. „Landesverrat“ witterte der Verteidigungsminister, er veranlasste die Verhaftung des Autors der Cover-Story im Spanien-Urlaub, eine Razzia in der Hamburger Redaktion und schließlich sogar die Festnahme Augsteins. Als sich am Ende der Koalitionspartner FDP gegen Strauß wandte, war dessen Rücktritt unausweichlich. Die Affäre prägte den Ruf des Bayern als unberechenbaren, autokratischen Politiker mit Hang zur Finte und Intrige – ein Image, das an ihm haften blieb und seinen Aufstieg an die Spitze vereitelte.

Strauß verkraftete seinen Absturz in das schwarze Loch der relativen Bedeutungslosigkeit nur schwer, obwohl die CSU ihn inzwischen zum Parteichef gekürt hatte. Bald entdeckte er ein neues Aufgabengebiet: Er vertiefte sich in Wirtschaftsstudien, knüpfte Kontakte zu Industriebossen, um vier Jahre später sein glanzvolles Comeback als Finanzminister einer großen Koalition vorzubereiten. Im Volksmund galt das ungleiche Duo aus Strauß und dem SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller – frei nach Wilhelm Busch – als „Plisch und Plum“.


Dauerrivale Kohl. In der Ära Willy Brandts betrieb Strauß Frontalopposition gegen die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition, gegen die Verträge mit Moskau und Warschau. Zugleich beobachtete er argwöhnisch den Aufstieg des neuen CDU-Chefs Helmut Kohl, des vermeintlichen Provinzpolitikers aus Rheinland-Pfalz. Aus seiner Verachtung für den Kontrahenten machte er kein Hehl. In einer Rede in der Münchner Wienerwald-Zentrale vor der Jungen Union qualifizierte er Kohl als „total unfähig“ für das Kanzleramt ab, weil es ihm an „charakterlichen, geistigen und politischen Voraussetzungen“ mangelte. Dennoch verfehlte der ungeliebte Rivale 1976 sein Ziel nur knapp.

Strauß war indes so erbost über seine CDU-Parteifreunde, dass er in Wildbad Kreuth die Trennung vollzog und die Partnerschaft mit der CDU-Fraktion im Bundestag aufkündigte. Er verfolgte die ambitionierte Strategie, die Regionalpartei CSU im gesamten Bundesgebiet zu verankern. Die Abspaltung währte aber nur wenige Wochen, Strauß kehrte Bonn den Rücken und ließ sich 1978 in München zum bayerischen Ministerpräsidenten wählen.

Die Modernisierung des Agrarlandes war bereits in vollem Gang. Doch der Technologie -und Technik-Fan Franz Josef Strauß hatte großen Anteil daran, Industriekonzerne im Land anzusiedeln und Bayern als Wirtschaftsmacht und Musterland an der Spitze Westdeutschlands zu positionieren. Bei Auslandsreisen, etwa in den Apartheid-Staat Südafrika, zog er lukrative Aufträge für heimische Rüstungs- und Hightechfirmen an Land. Dass er nebenbei Schmiergeld in seine Taschen steckte, dass er nichts dabei fand, sich in Privatjets von befreundeten Mäzenen – sogenannten Spezln – in die Ägäis oder an die Côte d'Azur fliegen zu lassen, machte Strauß angreifbar. Nur nicht in Bayern, wo eigene Gesetze galten: „Mia san mia.“ Das Strauß'sche Credo war in Bayern lange wie in Stein gemeißelt: Rechts von der CSU dürfe es keine Partei geben, lautete sein Diktum, das die Republikaner eine Zeit lang widerlegten. Für CSU-Wahltriumphe legte er die Latte hoch: „50 plus x“ hieß die Formel.


„Wie eine Eiche“. Ihm selbst war bei seiner Kanzlerkandidatur 1980 gegen Helmut Schmidt weniger Fortüne beschieden. Von seinem Hofstaat, den Stoibers, Waigels & Co. dazu gedrängt, setzte er sich in einer internen Kampfkandidatur gegen den Kohl-Favoriten Ernst Albrecht durch. Letztlich scheiterte er am breiten Widerstand und an der Kampagne „Stoppt Strauß“. Bayerns Regent stand auf verlorenem Posten – und dass er sich auch oft selbst im Weg stand, gehört zur persönlichen Tragik.

Sein neues Faible für Außenpolitik sprengte die Grenzen des Freistaats, seine Reisen nach Washington und Peking und erst recht in Diktaturen wie Chile oder Paraguay machten Schlagzeilen. Die Einfädelung eines Milliardenkredits für die marode DDR und sein Besuch bei Staatschef Erich Honecker sorgten selbst in den eigenen Reihen für Kopfschütteln. Ende 1987 pilotierte er eigenhändig einen Jet nach Moskau, um Michail Gorbatschow kennenzulernen. Stoiber schildert gern, dass er Todesängste ausgestanden habe, als Strauß in einem Schneesturm auf dem Moskauer Flughafen landete, weil der Treibstoff zu knapp war, um nach Minsk auszuweichen. „Das erste Mal kam ich bis Stalingrad“, antwortete Strauß auf eine Frage Gorbatschows nach seinem ersten Russland-Besuch.

Als FJS neun Monate später bei einem Jagdausflug in Regensburg starb, standen die Bayern auf seinem letzten Weg Spalier, mit Fackeln an den Kreuzungen. Kardinal Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., rief ihm beim Requiem nach: „Wie eine Eiche ist er vor uns gestanden, und wie eine Eiche ist er gefällt worden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.