Seyß-Inquart: "Bis zuletzt zeigte er keinerlei Reue"

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Seyß-Inquart: "Bis zuletzt zeigte er keinerlei Reue" (c) imago/Leemage (imago stock&people)
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Für seine Biografie über den ehemaligen Bundeskanzler und NS-Reichskommissar wertete der Historiker Johannes Koll bisher unbekannte Briefe aus.

Als Bundeskanzler und Reichsstatthalter Österreichs, Reichskommissar in den Niederlanden und Reichsminister ohne Geschäftsbereich erreichte Arthur Seyß-Inquart im NS-Regime höhere Positionen als jeder andere Österreicher. Als Schreibtischtäter war er verantwortlich für den Tod Hunderttausender Menschen. Bis zuletzt "zeigte er keinerlei Reue", wie Historiker Johannes Koll erklärt.

Am Dienstag präsentiert Koll in Wien seine neue Seyß-Inquart-Biografie, in der er unter anderem die letzten Tage des als Kriegsverbrecher in Nürnberg zum Tode Verurteilten aufarbeitet. Bisher unbekannte Briefe, Denkschriften wie auch seine eigenen Ausführungen würden belegen, dass der Österreicher "vor Gericht und in der Nürnberger Gefängniszelle keinerlei Zeichen von Reue oder Einsicht von sich gab. Er war sogar fest davon überzeugt, dass der Nationalsozialismus in Deutschland wieder die Oberhand gewinnen werde", schilderte Koll. Deshalb nutzte er den Prozess auch, um weitere angeklagte Nationalsozialisten mit Argumenten auszustatten.

Den Fokus seiner Untersuchungen legte Koll aber auf Seyß-Inquarts Zeit in den Niederlanden, in der sich die Handlungsspielräume des ehrgeizigen Karrieristen, der "eigentlich keine Hausmacht hatte, weder in der SS noch in der NSDAP", besonders gut nachvollziehen lassen. Der Historiker wertete die Bestände von 26 Archiven sowie andere Quellen aus und stellte fest, "dass Seyß-Inquart bei der Nazifizierung und Gleichschaltung der Niederlande viel Freiraum hatte - und diesen zur Profilierung genutzt hat."

"Erstaunliche" Karriere

Dabei nutzte Seyß-Inquart sowohl die "mit erschreckender Effizienz gesteuerte Judenverfolgung" wie die brutale Bekämpfung jeglichen Widerstands für seine "erstaunliche" Karriere. Kolls Biografie will aber nicht an der Person des Nationalsozialisten beschränkt bleiben: Anhand von Seyß-Inquarts Wirken soll auch die Bedeutung einer solchen "Zwischeninstanz" zwischen Reichsführung und Verwaltungsapparat herausgearbeitet werden.

Augenmerk liegt zudem auf der Besatzung der Niederlande - bei der Seyß-Inquart etwa mit seiner Kulturpolitik, die beispielsweise explizit Künstler aus der "Ostmark" förderte, Akzente setzte. Zudem wolle er eine Lücke in der Tätergeschichte schließen, so Koll, zu "diesem Schreibtischtäter, der für die systematisch betriebene Entrechtung und den Tod von Hunderttausenden von Menschen verantwortlich war, wohl ohne selber einen einzigen Schuss abgegeben zu haben".

Johannes Koll: "Arthur Seyß-Inquart und die deutsche Besatzungspolitik in den Niederlanden (1940-1945)", Böhlau, 691 Seiten

Buchpräsentation am 29. September, 18.30 Uhr, Wirtschaftsuniversität Wien, Foyer der Executive Academy, Welthandelsplatz 1, 1020 Wien

(APA)

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