Fritz Kolbe, der vergessene Spion gegen Hitler

(c) Pendragon Verlag
  • Drucken

Der möglicherweise wichtigste Spion des Zweiten Weltkriegs wurde nach 1945 als Verräter gebrandmarkt - im Gegensatz zu vielen ehemaligen Nazis.

Fritz Kolbe war möglicherweise der wichtigste Spion des Zweiten Weltkriegs. Ab 1943 versorgte er die Amerikaner mit wichtigen Geheiminformationen aus dem NS-Regime. Die Akten, die er in die neutrale Schweiz schmuggelte, waren so brisant, dass die Briten Kolbe als mutmaßlichen Doppelspion wegschickten. Nun hat ihm der deutsche Autor Andreas Kollender mit dem im Pendragon-Verlag erschienenen Krimi "Kolbe" ein literarisches Denkmal gesetzt.

Kollender erzählt dabei die Geschichte eines Mannes, der nicht erst dann gegen das Regime kämpft, als alle erkennen, dass der Krieg verloren ist. Kolbe hasst Hitler und seine Vasallen von Beginn an abgrundtief. Er tritt folglich - auch nach mehrmaliger Aufforderung - nie der NSDAP bei, was seine Karrierechancen innerhalb des Auswärtigen Amtes stark einschränkt: Er wird nie in eine Botschaft oder ein Konsulat versetzt.

Kolbes Informationen sind zu gut

Aber wohl gerade deshalb gerät er in eine Position, die ihm den Zugang zu vielen wichtigen Informationen ermöglicht. Er sitzt an zentraler Stelle und erhält die Meldungen von den deutschen Botschaften in aller Welt. Sein Entschluss, für die Alliierten zu spionieren, ist laut Kollender kein gut geplanter - sondern ein waghalsiger und vor allem naiver Versuch, etwas zu tun. Kolbe schnürt sich die Geheimdokumente mit Bindfaden an die Schenkel und nutzt eine Dienstreise in die Schweiz, um diese zu schmuggeln. Vor Ort sucht er Kontakt zu den Briten, die ihn - wie bereits erwähnt - ablehnen. Zu unglaublich erscheint ihnen der kleine Beamte, der all diese brisanten Informationen besitzen will. Nur durch Glück kann er sich an die Amerikaner wenden, die ebenfalls erhebliche Zweifel hegen, dem kleinen Beamten des Auswärtigen Amts aber letztlich doch Glauben schenken.

»Wenn man das Richtige tut, dann bezahlt man dafür.«

Andreas Kollender: "Kolbe"

In der Folge behält Kolbe geheim eingestufte Dokumente, die zur Vernichtung vorgesehen sind oder fertigt Kopien davon an - und lässt sie den Amerikanern zukommen. Sogar Pläne von Hitlers Geheimversteck "Wolfsschanze" in Polen sowie Hinweise auf die bevorstehende Deportation der Juden Roms leitet Kolbe weiter. Er hofft auf eine Bombardierung des Führerhauptquartiers durch die Amerikaner, allerdings vergeblich.

Ein Verräter, kein Widerstandskämpfer?

Autor Kollender zeigt, was der Verrat mit dem Verräter anrichtet - egal wie gut und richtig der Zweck sein mag. Denn Kolbe werden die Folgen seiner Spionagetätigkeit immer wieder drastisch vor Augen geführt: etwa durch verheerende alliierte Luftangriffe auf Ziele in deutschen Städten, die er übermittelt hat. Kollender porträtiert Kolbe auch als naiven Idealisten, der es eigentlich nur aus purem Glück schafft, sein gefährliches Schmuggelgut in die Schweiz zu bringen.

Geld nimmt Kolbe, der sich als "deutscher Patriot mit einem menschlichen Gewissen" ("Mein Wunsch ist es, den Krieg zu verkürzen") fühlt, für seine gelieferten Informationen übrigens keines. "Mit dem Vorwurf des Verrats hatte ich mich innerlich auseinander gesetzt und ihn überwunden", schreibt Kolbe später über seinen Widerstand. "Hitler war durch Betrug und Gewalt an die Macht gekommen und hatte Deutschland und die ganze Welt in den Krieg gestürzt."

Das Auswärtige Amt wurde nie "entnazifiziert"

Dennoch gilt er unter Diplomatenkollegen nach Endes des Zweiten Weltkriegs als "Verräter des Vaterlandes". Kein Wunder, denn das Auswärtige Amt wird niemals "entnazifiziert". Mit anderen Worten: Ein Großteil der Beamten versah auch schon während des NS-Regimes seinen Dienst. Eine Studie des deutschen Ministeriums aus dem Jahr 2005 zeigt laut "3sat", dass im Jahr 1952 zwei Drittel der leitenden Beamten und vier Fünftel der Referatsleiter ehemalige NSDAP-Mitglieder waren. Kolbe-Biograf Lucas Delattre erklärte Kolbes Dilemma folgendermaßen: "Demokrat mit prowestlicher Einstellung war Fritz Kolbe ohne jeden Zweifel. Sein einziger Fehler war, dass er es lange vor den anderen gewesen war."

Die offizielle Anerkennung als Widerstandskämpfer erfolgt dementsprechend sehr spät - durch Außenminister Joschka Fischer im Jahr 2004: "Lange Zeit war kaum jemandem bewusst gewesen, wie mutig und entschlossen Fritz Kolbe Widerstand gegen das Nazi-Regime geleistet hat."

Nach dem Krieg: Viele Nazis machen Karriere, Kolbe nicht

Während Kolbe, der niemals der NSDAP beitrat, nach Ende des Krieges als Verräter gebrandmarkt wird, machen viele ehemalige Nazis - wie Reinhard Gehlen, der unter Hitler die Abteilung Fremde Heere Ost leitete und zum BND-Chef aufsteigt - im Nachkriegsdeutschland Karriere. Auch Kolbes OSS-Verbindungsmann (der OSS war die Vorläuferorganisation des Geheimdienstes CIA, Anm.) Allen Dulles profitiert von seinem Spion und steigt zum CIA-Chef auf. Bloß Kolbe, der sich als Handelsvertreter für Motorsägen durchs Leben schlägt, gerät bis zu seinem Tod im Jahr 1971 endgültig in Vergessenheit. An seinem Grab stehen nur zehn Menschen, zwei davon hat die CIA geschickt.

>>> Zum 3sat-Bericht

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.