Hitlers „Mein Kampf“, frei auf dem Markt

Die österreichische Erstaufführung „Adolf Hitler: Mein Kampf“ ist vom 1. bis 3. Oktober im Schauspielhaus Graz zu sehen (19.30 Uhr).
Die österreichische Erstaufführung „Adolf Hitler: Mein Kampf“ ist vom 1. bis 3. Oktober im Schauspielhaus Graz zu sehen (19.30 Uhr).(c) APA/Sebastian Kahnert
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2016 erlischt das Urheberrecht für die Propagandaschrift des Diktators. Dann ist mit Neuausgaben zu rechnen. Beim Steirischen Herbst führt ab diesem Donnerstag die Theatergruppe Rimini Protokoll ihre Deutung des Buchs auf.

Nach dem Selbstmord Adolf Hitlers am 30. April 1945 und dem Ende des Zweiten Weltkriegs bald darauf war rasch auch Schluss mit dem deutschen Bestseller „Mein Kampf“: Ein US-Soldat beförderte den Bleisatz der Propagandaschrift des Führers des Deutschen Reiches ins Feuer, wie ein kurzer Film aus einer Wochenschau zeigt. Aus der Schmelze entstanden im Oktober jenes Jahres der Stunde Null die ersten Druckplatten der „Süddeutschen Zeitung“, so die Fama über das linksliberale Blatt.

Der Neudruck des Buches (nicht Besitz von oder Handel mit alten Ausgaben) wurde in Deutschland verboten, durch Bayerns Finanzministerium als Nachfolger des NS-Verlages Franz Eher – mittels Urheberrecht. Das erlischt Ende 2015. Viel früher setzte unter Fachleuten eine Diskussion darüber ein, wie man mit diesem tabuisierten Buch künftig umgehen solle, gegen dessen Gebrauch im Extrem Paragraf 130 des deutschen Strafgesetzbuches (Volksverhetzung) angewandt werden kann. Darf man es allgemein verfügbar machen? Oder nur bei begründetem historischem Interesse? Die Justizministerkonferenz befand 2014, dass eine unkommentierte Verbreitung dieses Buchs „auch nach Ablauf der urheberrechtlichen Schutzfrist zum 31. Dezember 2015 verhindert werden soll“.

Kritische Aufarbeitung in München

Für Sven Felix Kellerhoff, der im September 2015 „,Mein Kampf‘. Die Karriere eines deutschen Buches“ veröffentlicht hat, verhindert diese Haltung eine sachliche Auseinandersetzung mit dem „Originalwerk eines Autors deutscher Sprache mit der höchsten jemals verbreiteten Auflage“. Mit den Mitteln des Urheberrechts werde eine wissenschaftliche Aufarbeitung verhindert. Für ihn ergeben sich gerade als „Folge der bayerischen Obstruktion gegen die seriöse Geschichtswissenschaft“ Mythen um das Buch – ein „Nährboden der Unwissenheit“.

Bayern hat allerdings auch eine historisch-kritische Ausgabe gefördert, die Anfang 2016 erscheinen soll. Ein Dutzend Historiker des Münchner Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) erstellt eine kritische Ausgabe, die jedes Kapitel ausführlich erklärt und in 3500 Anmerkungen Hitlers Behauptungen kommentiert. Die Zusätze der Forscher sind fast doppelt so lang wie die knapp 800 Seiten Primärtext. Es war offenbar viel zurechtzurücken.

An sich ist die Diskussion über ein Verbot müßig. Von den mehr als zwölf Millionen Exemplaren, die zu Lebzeiten Hitlers gedruckt wurden, kursieren noch mehr als genug in Antiquariaten. Wer will, kann jederzeit auf fremdsprachige Editionen ausweichen (das Buch wurde bis 1945 in 18 Sprachen übersetzt). Im Netz ist die Hetzschrift sogar gratis verfügbar. Tonaufnahmen von Helmut Qualtinger, der aus dem Buch vorgetragen hat, enthüllen auf geniale Art das dumme Böse. Auch der Regisseur und Autor George Tabori setzte sich damit auseinander.

Und „Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2“ gibt es ab diesem Freitag als multimediale Show: Der Steirische Herbst hat die Berliner Theatergruppe Rimini Protokoll zu Gast (Anfang September wurde die Show bereits beim Kunstfest Weimar uraufgeführt). Sechs divergente Personen, darunter ein Anwalt aus Tel Aviv, eine deutsche Juristin und ein blinder Radiomoderator, erzählen von ihren Erfahrungen mit dem verfemten Buch.

Der Bestseller machte den Autor reich

Die Tabuisierung hat zu Legenden über Hitlers „Erinnerungen“ geführt, diesem „Manifest“, das er nach dem gescheiterten Putsch in München während seiner Festungshaft in Landsberg 1924 niederschrieb – oder schreiben ließ. Band eins („Eine Abrechnung“, die Biografie bis zum Jahre 1918) erschien Mitte 1925, Band zwei („Die nationalsozialistische Bewegung“, ihre Programmatik) Ende 1926.

Das Buch war ein Erfolg, machte Hitler reich, erzielte hohe Auflagen, lange bevor er 1933 Reichskanzler wurde. Man kann also nicht nur von Zwangsbeglückung reden, die es später in der Nazizeit gab, als zum Beispiel jedes Paar bei der Eheschließung auf Kosten der Gemeinde mit „Mein Kampf“ bedacht wurde. Gegen die Mär, dass fast niemand diesen Text gelesen habe, obwohl ihn fast jeder deutsche Haushalt besaß, sprechen die Statistiken der Bibliotheken. Die Zahlen zur Ausleihe enttarnen die Schutzbehauptung.

War es tatsächlich unlesbar, wie vom Biografen Joachim Fest angedeutet wurde? Bei ihm heißt es, Hitlers Verleger sei „von der steifen und redseligen Langeweile des Manuskripts zunächst überaus enttäuscht“ gewesen. IfZ-Direktor Andreas Wirsching widerspricht laut Kellerhoff der Ansicht, der Text sei „wirr und im Grunde unlesbar“. Hitlers menschenverachtende Ideologie, sein Judenhass und das Streben nach Weltherrschaft offenbaren sich ganz direkt. Der Heidelberger Literaturwissenschaftler Helmuth Kiesel beschreibt in der „Süddeutschen Zeitung“ den Hass und die Gemeinheit dieses Buchs: „Aus Hitler, so will dieser seine Leser glauben machen, spricht das Weltgericht.“

Soll man dieses teuflische Buch also allgemein zugänglich machen? Für eine liberale, offene Gesellschaft steht das außer Frage. Aufklärung trägt zur Bewältigung der Vergangenheit bei. Auch der Historiker Ernst Piper hat ein starkes Argument dafür: „Welcher Text wäre besser geeignet, die Brutalität und Menschenverachtung der NS-Weltanschauung aufzuzeigen, als ,Mein Kampf‘?“

Sekundärliteratur: „,Mein Kampf‘. Die Karriere eines deutschen Buches“ von Sven Felix Kellerhoff (Verlag Klett-Cotta, 367 Seiten, 25,70 Euro) – der Journalist der Tageszeitung „Die Welt“ informiert über Entstehung und Wirkungsgeschichte dieser Propagandaschrift.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2015)

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