„Wieso ihr alle mich so rasch vergessen konntet . . .“

J�disches Museum Wien: Post41. Berichte aus dem Getto Litzmannstadt
J�disches Museum Wien: Post41. Berichte aus dem Getto Litzmannstadt(c) APL, PSZ, Sign. 2317, S. 15171
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Postkarten von Wienern aus dem Ghetto Litzmannstadt sind im Jüdischen Museum zu sehen, sie erreichten ihre Adressaten nie. Die Ausstellung „Post41“ erzählt vom Leben in diesem Ghetto, das die Nazis im besetzten Polen errichten ließen. Es ist so gut dokumentiert wie bei keinem anderen.

So viele Ghettofotos hat man schon gesehen, so viele Zeitzeugen gehört; es ist schwer, nicht abzustumpfen dabei, so traurig sie auch ist, diese Gewöhnung. Dazwischen aber trifft doch immer wieder etwas ins Herz. Manch einem Besucher könnte das angesichts der Postkarten passieren, die aus dem polnischen Lódź für die Ausstellung „Post41. Berichte aus dem Getto Litzmannstadt“ nach Wien gekommen sind. Viele Postkarten von Wienern sind es, geschrieben an Verwandte und Freunde. Diese haben die Karten nie erhalten, zum Teil verraten Stempel, warum: „Inhalt unzulässig“, oder „Hebräische und jiddische Sprache verboten“, oder „unsauber“. Manchmal heißt es einfach nur: „Zurück“.

1941 wurden vom Wiener Aspangbahnhof 5000 Juden in das Ghetto von Litzmannstadt im von den Nazis besetzten Polen deportiert. Litzmannstadt hieß seit Hitlers Überfall das heutige Lódź im Herzen von Polen, die drittgrößte Stadt nach Warschau und Krakau. Erstaunlich, wie wenig bekannt dieses Ghetto in Österreich ist. Und das, obwohl von keinem so viele Dokumente und Selbstzeugnisse gerettet werden konnten, wie man in der Ausstellung des Jüdischen Museums liest. Der „Judenälteste“, der die jüdische Ghetto-Verwaltung leitete, ließ ein eigenes Archiv für alle Informationen und Dokumente über das Ghetto anlegen. So wurde auch eine tägliche Chronik eingeführt, an der Schriftsteller und Journalisten mitarbeiteten; auch ein Wiener und eine Wienerin waren darunter, Oskar Rosenfeld und Alice Chana de Buton. Fotografen sollten das dortige Leben in Bildern dokumentieren. Zum Teil vergruben sie ihr Material vor der Liquidierung des Ghettos 1944 noch rasch. Als diese erfolgte, wurden die Insassen nach Auschwitz gebracht; schon in den Jahren davor waren viele von ihnen im Vernichtungslager Chelmno gestorben.

3400 Karten von Wienern in Lódź

Die jüdischen Verwalter wollten das Ghetto von seiner besten Seite zeigen, um sein Weiterbestehen zu sichern. Kaum ein Dokument erzählt daher ohne innere oder äußere Zensur von den Verhältnissen. Dasselbe gilt für die 3400(!) Postkarten, die in den Jahren 1941 und 1942 von aus Wien Deportierten geschrieben, aber nie abgeschickt wurden: weil die Kartenquoten überschritten waren oder weil die Deutschen eine Postsperre verhängt hatten oder weil der Inhalt nicht genehm war. Da konnte allein schon die Bemerkung, dass „etwas Zwiebel und Knoblauch“ das Essen besser machen würde, einen dicken roten Zensurstrich hervorrufen.

Postkarten waren zeitweise extreme Mangelware im Ghetto und wurden auf dem Schwarzmarkt teuer gehandelt. Man steht nun also vor einigen von ihnen, in einem kleinen Raum des Jüdischen Museums in der Dorotheergasse; man versucht, die meist bemüht sorgfältig wirkende, kleine Schrift zu entziffern (möglichst viel Text sollte auf die Karte passen), liest in und zwischen den Zeilen, von begrabenen Hoffnungen, Bitten um Geld, um Nachricht lieber Menschen. „Mein Gesundheitszustand ist gut. Mehr kann ich nicht mitteilen.“ Oder: „Zerbreche mir Tag für Tag den Kopf, wieso ihr alle mich so rasch vergessen konntet.“ Aber auch: „Wir wohnen mit sehr netten Leuten zusammen.“ Wenn Menschen länger in einem Raum mit 80 Menschen auf dem Fußboden geschlafen hatten, empfanden sie ein Zimmer, das sie mit mehreren Familien teilten, fast als Glück.

„Gedenkbuch“, nicht Katalog, nennen die Ausstellungsmacher den dicken Band, der es erlaubt, die splitterhaften Eindrücke aus der Schau einzuordnen. Man könnte sich ihn einfach kaufen und zu Hause bleiben. Aber dann könnte man nicht auf Video Hella Fixel und Grete Stern vom Ghetto-Alltag erzählen hören, zwei aus Wien stammende Überlebende, die im Ghetto zu lebenslangen Freundinnen wurden. Vor allem aber kann man der (einzelnen) Schreiber besser gedenken, wenn man sich Zeit nimmt für die Karten, sie materiell vor sich sieht. Die Handschrift ist am Verschwinden – diese Postkarten machen auch spürbar, was mit ihr verloren geht.

JÜDISCHE GESCHICHTE(N) IN WIEN

„Post41. Berichte aus dem Getto Litzmannstadt“: bis 6. März 2016 im Museum Dorotheergasse.

„Komm mit nach Terezín“: Nur noch bis Sonntag, den 4. 10., ist diese Ausstellung zur Musik in Theresienstadt zu sehen, in der Akademie der bildenden Künste.

„The Golden Land“: ein Musical des National Yiddish Theatre auf Englisch und Jiddisch, zu sehen vom 10. bis 12. Oktober im MuTh.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2015)

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