Rote Bastion und ein schwarzer armer Vetter

WIEN-WAHL: H�UPL / OXONITSCH
WIEN-WAHL: H�UPL / OXONITSCH(c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
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Wahlkämpfe in Wien. Die SPÖ versteht es seit 1945, sämtliche Konkurrenten von der Macht fernzuhalten. Körner, Jonas, Marek, Slavik, Gratz, Zilk, Häupl: Die Bürgermeister waren stets auch bundespolitische Schlüsselfiguren.

Als am Abend des 25. November 1945 die erste freie Wahl der Zweiten Republik ausgezählt wurde, war für Politiker und die Zeitungen nur eine einzige Frage wichtig: Wer stellt künftig den Bundeskanzler? Das Ergebnis sprach eindeutig für die ÖVP. Leopold Figl machte das Rennen.

Wer interessierte sich da besonders für die gleichzeitige Wahl zum Wiener Rathaus? Das Votum glich etwa jenem Stärkeverhältnis, das bis 1933 bestanden hatte: Die Sozialisten dominierten mit 58 der hundert Gemeinderatsmandate, die bürgerliche Volkspartei freute sich über 36 Sitze und damit über einen Vizebürgermeister, die Kommunisten zogen mit sechs Sitzen als Verlierer vom Platz.

Das Experiment vom Roten Wien der Vorkriegszeit konnte also fortgesetzt werden. Und im Unterschied zu den Jahren zwischen 1918 und 1934 zog das bürgerliche Lager mit. Die Herausforderungen in dieser zerbombten Stadt waren unvorstellbar.

Zum ersten Bürgermeister erkoren die Sozialisten den alten k.u.k. Oberst Theodor Körner. Eine gute Wahl, denn eine Vaterfigur war in der allgemeinen Wiederaufbauhektik ganz günstig.

Im Rathaus regierte bis in die Siebzigerjahre eine rot-schwarze Konstellation. Die Rolle des ewigen Juniorpartners mit zwei Stadträten tat der Volkspartei nicht gut. Ihre Stimmenzahl schrumpfte von Wahl zu Wahl, aber sie hatte stets Amtsführende Stadträte, also wenigstens einen Zipfel der Macht in Händen. Mit Maria Schaumayer – zuständig für Wirtschaft und Verkehr – stellte die bürgerliche Partei eine couragierte Politikerin mit Visionen. Die Frau Diplomkaufmann Schaumayer – „der einzige Mann im Rathaus“ – plädierte für eine U-Bahn zu einer Zeit, da die Rathaussozialisten absolut nichts davon wissen wollten. Später hefteten sie das Projekt auf ihre Fahnen.

So erging es der Stadt-ÖVP auch unter den sozialistischen Bürgermeistern Franz Jonas, Bruno Marek und Felix Slavik.

Im roten Windschatten segelten – unbedankt – die jeweiligen ÖVP-Stadtparteichefs bzw. Spitzenkandidaten. Der legendäre konservative Unterrichtsminister Heinrich Drimmel musste geradezu vergewaltigt werden, in die Kommunalpolitik zu übersiedeln. Ähnlich wie viel später Erhard Busek (der auch ungern die bundespolitische Bühne verließ) versuchte Drimmel, Wien zu jener mitteleuropäischen Metropole zu formen, die es einst war. Sein Motto lautete: „Wien soll nicht länger Kopfbahnhof des Westens bleiben, sondern erneut zur Ost-West-Drehscheibe werden.“ Drimmel erkannte, wie wichtig die zentraleuropäische Dimension der Bundeshauptstadt war.

1973 markiert einen bemerkenswerten Wandel im Rathaus. Der junge Leopold Gratz feierte – nach dem Sternwartepark-Desaster seines Vorgängers Slavik – einen fulminanten Wahlsieg. 66 der hundert Mandate gingen an die SPÖ, die ÖVP hielt 31, verlor damit den Anspruch auf den Vizebürgermeister (obwohl sie leicht dazugewann), die Freiheitlichen kamen nur noch auf drei Sitze.

Nur um einen Sitz hatte Gratz die Zweidrittelmehrheit verpasst. Es war die erfolgreichste Wahl für die SPÖ seit 1945. Da Gratz auch 1978 und 1983 seiner Partei die absolute Majorität verschaffte, gilt er sicher als der erfolgreichste SPÖ-Bürgermeister.

In seiner ersten Enttäuschung unterlief 1973 dem damaligen VP-Stadtparteichef, Franz Bauer, der entscheidende Fehler: Er kündigte die Koalition mit den Sozialisten, begab sich freiwillig in Opposition und begnügte sich mit Stadträten ohne Portefeuille (wie es die Stadtverfassung bis dato vorsieht). So blieb die Wiener Volkspartei lange Jahre ohne Macht und Einfluss, auch wenn ab 1976 Erhard Busek frischen Wind suggerierte und sich ab 1978 wieder mit dem Titel eines Vizebürgermeisters (ohne Ressort) schmücken durfte. Seine Macht blieb – trotz der „bunten Vögel“ – bescheiden. Er wurde gestürzt, danach kamen und gingen immer neue Stadtparteiobleute, die allesamt in der Quasi-Oppositionsrolle verkümmerten.

Gratz und danach Helmut Zilk: Sie spielten die Volkspartei an die Wand, indem sie ihr – später auch der FPÖ und den Grünen – gut besoldete Stadtratsposten zuschanzten, sie aber von der Macht und von den Geldflüssen fernhielten. Mit fetten Sonderverträgen wurden Wirtschaftsbündler in das komplizierte Finanzkarussell der Stadt eingebunden. So blieben der Stadt-ÖVP stets die Hände gebunden. Sie war weder Regierungspartei noch Opposition.

Indes zementierte die Rathaus-SPÖ ihr Machtkartell für alle Zeiten – wie es schien. Zilk hatte dafür den richtigen Mann an seiner Seite: Hans Mayr, Finanzgewaltiger, Vizebürgermeister und Stadtparteivorsitzender. So konnte Zilk für ständige Events sorgen, während Mayr die Strippen zog: Gewerkschaft, Gemeindebauten, stadteigene Firmen sonder Zahl, die Kulturbetriebe, die Schulverwaltung usw. All dies übernahm der Gesundheitsstadtrat Michael Häupl, als er 1994 Zilk im Bürgermeisteramt ablöste und gleichzeitig auch zum Vorsitzenden der Wiener SPÖ gewählt wurde. 1996 setzte es eine herbe Wahlniederlage, weil die FPÖ stärker wurde. Sie knackte die absolute SPÖ-Mehrheit, lachender Dritter war die ÖVP, mit der Häupl eine Koalition eingehen musste. Zwei Stadtratsposten überließ er den Herren Görg und Marboe, nach vier Jahren holte Häupl die Absolute wieder zurück und war den stillen, aber bemühten schwarzen Koalitionspartner wieder los. Doch schon bei der nächsten Wahl – 2010 – musste wieder ein Regierungspartner gefunden werden. Die Entscheidung war schwierig, weil den Frauenfreund Häupl gleich zwei Damen umwarben: Maria Vassilakou (grün) und Christine Marek (VP). Die schwarze Kandidatin wollte in den Verhandlungen etwas zu viel, Frau Vassilakou gab's billiger. Und bekam den Zuschlag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2015)

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