Wiener Uni: Gebaut aus der zerstörten Synagoge

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Dass die Wiener Uni einst Trümmer der jüdischen Synagoge als Baumaterial benutzt hat, ist kaum bekannt – wie so viele erstaunliche Details der 650 Jahre alten Beziehung zwischen Juden und Universität.

Ein im Wilden Westen mit Florett kämpfender Wiener Anthropologe, der an der Bar einen kleinen Braunen mit Schlagobers und Wasser bestellt? Der kann nur erdichtet sein und ist es auch. „Asterix“-Schöpfer René Goscinny hat ihn 1963 in den Lucky-Luke-Band „Die schwarzen Berge“ eingebaut. Lucky Lukes Glückwünsche zum erfolgreichen Duell wehrt der Herr „Doktor“ ab: „Oh, nicht doch . . . als ich noch Student war in Wien, da haben wir das Fechten zum Zeitvertreib betrieben!“ Einen jüdischen Namen trägt er, Gustav Frankenbaum heißt er im Original, in der deutschen Übersetzung Sigismund Freudenreich.

Sich wehren zu können, das wusste Goscinny, der Enkel eines Warschauer Rabbiners, wohl aus familiären Erzählungen, wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für jüdische Studenten immer wichtiger. „Wir Juden werden uns schon zu schützen und zu helfen wissen“, schrieb die Zeitschrift „Wahrheit“ noch 1927, in heute so schmerzhaft klingendem Optimismus. Damals war die Verprügelung jüdischer Studenten an der Wiener Uni (in welche die Polizei allein schon wegen der Schulautonomie nicht hineindurfte) schon an der Tagesordnung. Wie brutal die Zustände waren („Es war schlicht und einfach die Hölle“, erinnerte sich Bruno Kreisky später), lässt sich ausführlich aus einem neuen Buch erfahren, Klaus Taschwers „Hochburg des Antisemitismus. Der Niedergang der Universität Wien im 20. Jahrhundert“ (Czernin). Oder, weniger detailliert, im Jüdischen Museum Dorotheergasse – in der räumlich wie inhaltlich überzeugend konzipierten Schau „Die Universität. Eine Kampfzone“.

Steinrecycling als „Wunder“

Viel weniger bekannt sind aber andere Kapitel der jüdisch-universitären Geschichte: zum Beispiel, dass die Wiener Uni, die heuer ihr 650-Jahr-Jubiläum feiert, Trümmer der zerstörten jüdischen Synagoge als Bausteine verwendet hat. Ein gutes halbes Jahrhundert nach ihrer Gründung wurden alle Juden aus Wien vertrieben bzw. im Pogrom von 1421 hingerichtet, die Synagoge auf dem damaligen Schulhof, dem heutigen Judenplatz, zerstört. Der Pogrom-Verantwortliche, Herzog Albrecht V., schenkte der Universität daraufhin Steine der Synagoge für den Bau der „Neuen Schule“ im Bereich der heutigen Bäckerstraße im Ersten Bezirk. „Und wahrlich ein Wunder: Die Synagoge des Alten Gesetzes wird wunderbar in eine Schule der Heilslehren des Neuen Gesetzes umgewandelt“, heißt es in den damaligen Uni-Akten. Klingt für heutige Ohren nach einem bösen Witz – und so sieht denn auch Andrew Mezvinskys Videoinstallation aus, die diese wundersame „Steinreise“ auf Basis eines alten Stadtplans darstellt – und zwar offenbar mit imperialismuskritischer Note: Die Optik erinnert an Video-Strategieaufbauspiele à la „Civilization“.

Diese Ereignisse „waren Organisatoren des Jubiläums 650 Jahre Universität Wien nicht bekannt“, begründet die Direktorin des Jüdischen Museums, Danielle Spera, im Vorwort zum Katalog, warum sie auf die Idee für diese Ausstellung gekommen sei. Ein kleiner enttäuschter Seitenhieb ist das wohl auch, denn die gewünschte Kooperation mit der Uni (die Millionen Euro für ihre Jubiläumsfeierlichkeiten veranschlagt hat) kam nicht zustande; das Jüdische Museum bekam nur 12.000 Euro zusätzliche Subventionen für diese Schau – rund ein Zehntel der Kosten.

Gut, dass das Jüdische Museum unter der Ägide von Chefkurator Werner Hanak-Lettner die Schau trotzdem gemacht hat. Gut, weil man in dieser zum Beispiel den kaum bekannten Schilderungen des jüdischen Religionslehrers und Historikers Gerson Wolf begegnet. In seinen „Studien“ zum 500. Jubiläum der Wiener Uni schrieb er auch kritisch über die Geschichte des Verhältnisses zwischen Juden und der Universität seit deren Gründung: 1419, also kurz vor dem Pogrom, war in einer Sitzung der theologischen Fakultät etwa von „der Verbindung der Juden mit den Waldensern und Hussiten“ die Rede, von „der Menge der Juden, ihrer üppigen Lebensweise, ihren vermaledeiten Büchern“.

Schwören auf die Jungfrauengeburt

Nach dem Pogrom durften Juden nicht in Wien wohnen, erst im 17. Jahrhundert siedelten sie sich wieder an; Beschwerdebriefe zeigen, dass christliche Studenten in dieser Zeit immer wieder in der Judenstadt Bewohner verprügelten. Und noch jahrhundertelang promovierte in Wien kein Jude – allein schon, weil er dafür auf die Jungfrauengeburt hätte schwören müssen.

Das Toleranzpatent Josephs II. von 1782 änderte das zwar und erlaubte den Juden, zu studieren, zu promovieren, zu lehren – doch bürokratische Schikanen und Diskriminierung blieben. Fast ein Jahrhundert später erst konnte „Die Presse“ 1861 als Sensation den ersten jüdischen ordentlichen Professor der Monarchie vermelden, wenn auch nicht in Wien, sondern in Prag. Noch ein Jahrzehnt später durften Juden immer noch nicht die fürs Jusstudium nötige Prüfung in Kirchenrecht ablegen – eine regelrechte „Taufmaschine“ sei diese Regelung gewesen, heißt es in der Ausstellung.

Dennoch, im 19. Jahrhundert wurde die Wiener Uni ein Hoffnungsort für viele Juden – ab 1897 auch für weibliche. Die Lieblingsstudien der Eltern illustriert der jüdische Witz von der Frau im Volksgarten, die auf die Frage nach dem Alter ihrer Kinder antwortet: „Der Arzt ist sechs und der Rechtsanwalt vier.“ Dieser Witz stammt von der Jahrhundertwende, die berüchtigte Rede Theodor Billroths über das Medizinstudium schon von 1875: Erstmals rechtfertigte da ein berühmter Professor den rassistisch legitimierten Antisemitismus an der Wiener Universität. Detail am Rande: Eine der berühmtesten Operationen Billroths (die Magenresektion II) führte nicht er durch, sondern sein jüdischer Assistent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2015)

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