Die Ein-Mann-Partei namens Gerd Bacher

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ARCHIVBILD: GERD BACHER(c) APA/BARBARA GINDL (BARBARA GINDL)
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90. Geburtstag. Der im Juni verstorbene Journalist und Generalintendant war ein begnadeter Pointenschleuderer. In einer „Durststrecke“ zwischen zwei ORF-Amtsperioden war Bacher ein Jahr lang hyperaktiver „Presse“-Herausgeber.

Am 18. November jährt sich Gerd Bachers Geburtstag zum 90. Mal. Der legendäre ORF-Generalintendant starb heuer am 27. Juni. Der Abschied, den Österreich ihm bereitete, glich einem Staatsakt. Aus diesem Anlass ein paar Anekdoten.

Nach den turbulenten Jahren im Wiener Zeitungskrieg der Sechzigerjahre, nachdem Bacher für Fritz Molden den „Express“ und den „Bildtelegraf“ geleitet hatte, schlug am 9. März 1967 seine Stunde: Der Aufsichtsrat der Österr. Rundfunk AG. wählte den 41-jährigen Geschäftsführer des Molden-Verlags zum ersten Generalintendanten aufgrund des neuen Rundfunkgesetzes.

Im Vorfeld gab es heftige Vorbehalte, nicht nur von den Sozialisten. Ernst Wolfram Marboe rannte mit Heinrich Neisser und Hans Magenschab zum ÖVP-Bundeskanzler Klaus: „Seid's ihr wahnsinnig, dieser Grinzinger Heurigenclique wollt ihr den Rundfunk übergeben?“ Klaus ließ sich davon nicht beeindrucken, denn Bacher war der Liebling der parteiunabhängigen Zeitungen.

Edi Finger wurde es doch nicht

Aber wie war man ausgerechnet auf Bacher gekommen? Helmut Zilk behauptete stets, der Journalist Kurt Tozzer und er hätten den Freund zur Kandidatur überredet. Angeblich im Balkan-Restaurant Dubrovnik am Heumarkt. Zilk: „Da hat es Namen sonder Zahl gegeben, im Rundfunkhaus schwirrte es von Gerüchten.“ Der Sportreporter Edi Finger Senior sah sich schon am Chimborasso seiner Wünsche, denn er war bekannt, er war populär. Bruno Flajnik von der „Wochenpresse“ hatte sich den Spaß gemacht, ihn als Kandidaten zu nennen. Doch der Edi nahm das sehr ernst. Auch die ÖVP. Edi Finger wurde ins Büro des mächtigen Generalsekretärs Hermann Withalm gebeten, um seine Vorstellungen vorzutragen. „Nix mit moderner Littteratua“, rief der Sportkommentator in seiner gewohnten Lautstärke: „Göttte, Schiller – dös is Kultur!“ Erzählte Zilk.

Wenn der Tiger brüllt

1967 war also Amtsantritt des neuen Führungsteams für den ORF mit Gerd Bacher als Leitfigur. Sein Freund Gustav Peichl „Ironimus“ hatte ihm die unsterbliche „Presse“-Karikatur „Der Tiger“ gewidmet.

In den ersten Wochen hatte es keiner wirklich leicht. Da war zum Beispiel die Unpünktlichkeit. Bacher und den neuen Fernsehdirektor Zilk machte das rasend. Es gab Zeiten, da begann die „ZiB 1“ um eine ganze Minute zu spät – das Wutgebrüll Bachers hörten die TV-Konsumenten gottlob nicht.

Auch beim morgendlichen Arbeitsbeginn herrschte unglaublicher Schlendrian. Um neun wollte der Fernsehdirektor seine Leute um sich sehen. Um zehn nach neun ließ er die Eingangstüren sperren und die Schlüssel einsammeln, so dass keiner mehr ungesehen hineinkam. So hat man sich halt langsam aneinander gewöhnt.

Gerd Bacher hatte was übrig für adrettes Aussehen der Mitarbeiter. Am liebsten hätte er allen Herren das Outfit verpasst, das die ORF-Führungsspitze bald – einer Uniform gleich – kennzeichnete: Graue Flanellhose, dunkelblauer Blazer, Klubkrawatte, blauweiß gestreiftes Hemd. Über den „Krawattenerlass“ spottete man zwar, aber man hielt sich dran.

Kiew war das Letzte

Bachers Vorliebe für korrekte Kleidung färbte leider nicht direkt auf die engsten Mitarbeiter ab. Gerhard Weis etwa, ein späterer Amtsnachfolger, trug meist die Anzüge um eine Nummer zu klein, so dass die Hauptlast der Façon auf dem mittleren Sakkoknopf lag. Bei einer Sitzung drohte der Zwirnfaden der Spannung nicht länger standzuhalten. Gerhard Vogl, damals Bürochef des GI, starrte unablässig auf die Gefahrenstelle. Gerd Bacher, der dies bemerkte, nahm ihn nachher zur Seite und wies schmunzelnd auf Weis: „Unser Dressman aus Kiew!“

„Kiew“, das war für Bacher das Synonym für mangelndes Stilgefühl, wie der folgende Text einer „Internen Mitteilung“ an den Radio-Intendanten Ernst Grissemann zeigt. Es ging um den ersten öffentlichen Auftritt der neuen ORF-Sinfonietta. Tags darauf lag die subtile Aufforderung, gefälligst abzuspecken, auf Grissemanns Schreibtisch: „Das war nicht die Premiere eines neuen ORF-Ensembles, sondern der Betriebsausflug von Radio Kiew. Was hier als leger missverstanden wurde, war in Wirklichkeit kleinbürgerlich, peinlich unelegant. Das beginnt damit, dass der Dirigent in einer Hose mit Gürtelschlaufen, aber ohne Gürtel, am Pult steht, und dass sich die Orchestermusiker in unbeschreiblichen Textilien produzieren. Nur sehr schlanke, sehr schöne Männer können sich Jerseyhemden, Rollkragenpullover und ähnliches leisten . . . Ich bitte daher dafür zu sorgen, dass es ein weiteres Auftreten der ORF-Sinfonietta erst gibt, wenn die ,Kostümfrage‘ gelöst ist. GB“

„Trutschen“, „Pritschen“

Manche Gewohnheiten waren freilich nicht auszurotten. Da der GI kein Akademiker war und daher nur „Herr Bacher“ tituliert werden wollte, schaffte er kurzerhand im ganzen Haus die Titel ab. Prof. Dr. Helmut Zilk teilte dies seinem Chauffeur mit. Der kapierte sofort: „Alles klar, Herr Direktor!“

Auch an anderen Kleinigkeiten scheiterte der allmächtige Bacher. Es gab unzählige Stenotypistinnen, die hübsch waren, aber keine Ahnung von Stenografie hatten. Bacher setzte eine Prüfung an und am Schluss blieben zweihundert Ungeeignete, die fristlos entlassen werden sollten: „Das sind alles nur Protektionskinder von irgendwelchen Parteisekretariaten.“ Und er fügte Schimpfworte hinzu, die publik wurden und für empörtes Rauschen im Blätterwald sorgten. „Trutschen“ oder „Pritschen“ wollten die Zuträger gehört haben. Der ÖGB drohte mit Streik, Bacher musste zurückziehen. Die Entlassungen erfolgten „zizerlweise“.

Thaddäus Podgorski, später selbst vier Jahre lang GI, beschreibt die vielen nächtlichen Sitzungen des Frühungsstabes, die Bacher liebte: „Die Ansprache hielt immer Gerd Bacher. Ich bewunderte seine Formulierungskunst. Er auch.“

Immer mehr „Unabhängige“ habe Bacher in die Führungsetagen des ORF geholt, plaudert Podgorski: „Meistens kamen sie von der ÖVP oder vom CV. Wahrscheinlich gab es damals bei der SPÖ keine fähigen Unabhängigen. Bacher hatte etwas von Johannes dem Täufer: Wer von ihm gesalbt wurde, der wurde unabhängig. Selbst VP-Parteibonzen.“

Bacher war kein Asket, ganz im Gegenteil. Er rauchte am Beginn seiner ORF-Laufbahn ordentlich, auch einem guten Glas Wein sprach er gern zu; allerdings nicht im Dienst. Bei einem Fest im Funkhaus floss der Alkohol in solch rauen Mengen, dass die Putzfrauen streikten. Bacher verbot ab sofort jeglichen Alkohol im Haus. Allerdings: „Bestehende Vorräte dürfen aufgebraucht werden.“ Darauf rief Chefredakteur Alfons Dalma seinen Chauffeur: „Herr Vana, fahren S' schnell in die Stadt und kaufen S' 16 Kisten Rosatello!“ So konnte er noch gut ein Jahr lang, gedeckt durch die Bacher-Weisung, im Büro seinen Lieblingswein konsumieren.

Kräftemessen Bacher-Kreisky

Der erste Hinauswurf Bachers aus dem ORF durch Kreisky 1974 war eine Gewaltaktion. Der SPÖ-Kanzler hatte persönlich nichts gegen den bekennenden Konservativen, meint heute dessen Pressesekretär Johannes Kunz. „Er hat Bacher geschätzt, beide waren sie ja Bildungsbürger. Aber Bacher machte einen Fehler: Er wollte mit Hilfe des ORF Politik machen. Und das konnte sich die SPÖ nicht gefallen lassen.“ Kunz erzählt, was Kreisky im vertrauten Kreis zur Ablöse Bachers bewog: ,Der Bacher will ein Match gegen mich. Also muss ich es gewinnen.‘“ Und er gewann. Freilich nur für vier Jahre, dann war Bacher wiedergewählt.

„Strafe“ muss sein

In einer zweiten „Durststrecke“, die ihn vier Jahre von der ORF-Kommandobrücke fernhielt, übernahm er für ein Jahr lang die Herausgeberschaft der „Presse“. Er betrieb aber weiter seine Rückkehr in den ORF, sodass der „Presse“-Redakteursausschuss protestierte. Vorsitzender war Kulturredakteur Hans Haider. Der diktierte dem „Standard“ ins Telefon: „Der Bacher kann von mir aus ÖAMTC-Präsident werden, aber auf keinen Fall ,Presse‘-Herausgeber!“ Anderntags wurde Haider bestraft: Beurlaubt mit sofortiger Wirkung bei vollen Bezügen. Worauf Kultur-Redakteur Wilhelm Sinkovicz beim Chefredakteur Chorherr hereinplatzte: „Herr Doktor, wie, wo und wann darf ich wen beleidigen, damit ich dasselbe krieg' wie der Haider?“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2015)

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