Albert Einstein: "Jedes Jahr widerruft er"

Albert Einstein um 1925
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Am 25. November 1915 präsentierte Einstein seine Allgemeine Relativitätstheorie. Nicht zuletzt ihretwegen gilt er als das wissenschaftliche Genie schlechthin. Doch auch ihm passierten Fehler - und er hing zeitweise irreführenden Ideen an.

Einsteins Theorie hat das Weltbild revolutioniert, sie gehört heute zu den Grundpfeilern der Physik. Dachte man mit Newton Raum und Zeit als vorgegeben, gleichsam als Bühne, auf der sich die physikalischen Ereignisse abspielen, so wurden mit der Allgemeinen Relativitätstheorie Raum und Zeit zur Raumzeit und zum Teil des dynamischen Geschehens. Um es mit den Worten des amerikanischen Physikers John A. Wheeler auszudrücken: „Materie krümmt den Raum, und der Raum bestimmt, wie Materie sich bewegt.“

Einsteins Ringen um eine „relativistische Gravitationstheorie“ hatte fast ein Jahrzehnt gedauert. Als er am 25. November 1915 eine Arbeit mit dem Titel „Die Feldgleichungen der Gravitation“ bei der Preußischen Akademie der Wissenschaften einbrachte, war es endlich gewonnen. Eigentlich war er bereits 1913 fast am Ziel gewesen, ließ sich aber durch ungenaue mathematische Argumente wieder davon abbringen. Seine zahlreichen Versuche schilderte er Ende Dezember 1915 ironisch seinem Freund und Kollegen Paul Ehrenfest: „Es ist bequem mit dem Einstein, jedes Jahr widerruft er, was er das vorige Jahr geschrieben hat.“

Bereits am 20. November 1915, also fünf Tage vor Einstein, legte der Göttinger Mathematiker David Hilbert in einer Mitteilung an die Königliche Gesellschaft der Wissenschaften eine Arbeit vor, die jene Gleichungen enthielt, nach denen Einstein so lange gesucht hatte. Wie war das möglich?

Einstein war im Juni 1915 zu Vorträgen über seine neue Theorie in Göttingen bei Hilbert eingeladen. Hilbert, der an einer Axiomatisierung der gesamten Physik arbeitete, interessierte sich für die Ideen Einsteins und hatte wohl gesehen, wo noch Schwachstellen lagen. Jedenfalls muss er eine erste Version seiner Arbeit an Einstein geschickt haben, denn dieser bedankte sich am 18. 11. dafür. Hat Einstein die Gleichungen in Hilberts Arbeit gesehen und vielleicht gar übernommen? Er hatte wohl kaum die Zeit, die komplizierte Arbeit Hilberts genauer zu lesen. Auch folgte er in seiner Abhandlung konsequent seinen physikalischen Prinzipien, während Hilbert den mathematischen Formalismus in den Vordergrund stellte. Jedenfalls kam es zu einer ernsten Verstimmung zwischen den beiden, als Einstein seine Priorität in Gefahr sah. Hilbert ließ aber Einstein alsbald wissen, dass er ihn als alleinigen Schöpfer der neuen Theorie anerkenne, worauf Einstein bereits am 10. Dezember 1915 versöhnlich schrieb: „Es ist zwischen uns eine gewisse Verstimmung gewesen. Ich gedenke Ihrer wieder in ungetrübter Freundlichkeit und bitte Sie, dasselbe bei mir zu versuchen.“

„Größte Eselei“. In den folgenden Jahren arbeitete Einstein an den Konsequenzen seiner Theorie. Er wollte wissen, ob sie nicht nur mit den Beobachtungen übereinstimmt, sondern auch den von ihm gestellten Prinzipien genügt. Schon in der erwähnten Arbeit von 1915 schrieb er, „dass es unmöglich ist, dem Raum und der Zeit notwendig eine getrennte Existenz unabhängig von den wirklichen Objekten der physikalischen Realität zuzuschreiben“.

1917 wandte Einstein seine Theorie auf den Kosmos als Ganzes an. Damals glaubte man, das Universum sei im Großen unveränderlich. Er suchte daher nach einer statischen Lösung, musste aber erkennen, dass seine Gleichungen eine solche nicht zulassen. Aus diesem Grund fügte er die „kosmologische Konstante“ hinzu, um den Kosmos zu stabilisieren. Er war sich dieser willkürlichen Veränderung seiner ursprünglichen Gleichungen bewusst und schrieb an Paul Ehrenfest in Leiden: „Ich habe wieder etwas verbrochen in der Gravitationstheorie, was mich ein wenig in Gefahr bringt, in ein Tollhaus interniert zu werden.“

Der neue Term sollte nicht nur ein statisches Universum erlauben, sondern auch verhindern, dass es Lösungen ohne Materie gibt. Beides erwies sich als Fehler. Zum einen: Hätte Einstein seinen ursprünglichen Gleichungen getraut, so hätte er die Expansion des Kosmos voraussagen können, die der Astronom Edwin Hubble 1929 durch die Beobachtung des Auseinanderdriftens der Galaxien entdeckte.

Zum anderen: Noch 1917 veröffentlichte der Astronom Willem de Sitter eine Lösung mit kosmologischer Konstante, aber ohne Materie. Also eine Lösung, die zeigt, dass eine Raumzeit auch ohne Materie möglich ist. Einstein versuchte zunächst zu zeigen, dass sie fehlerhaft sei und „versteckte Materie“ enthalte. Als ihm dies nicht gelang, verwarf er die kosmologische Konstante angeblich mit den Worten: „Das war die größte Eselei meines Lebens.“

Aber die Geschichte wendete sich: In den vergangenen Jahren haben Beobachtungen gezeigt, dass die Expansion des Universums sich nicht, wie zu erwarten, verlangsamt, sondern beschleunigt. Die Ursache für eine die Galaxien auseinandertreibende Kraft kann nicht normale Materie, wie wir sie kennen, sein, wohl aber eine kosmologische Konstante. Heute geht die Kosmologie davon aus, dass es dunkle Energie gibt, die den gesamten Kosmos durchdringt und gleichsam wie die von Einstein verbannte Konstante wirkt.

Gravitationswellen. Ebenfalls kurz nach Aufstellung der Allgemeinen Relativitätstheorie versuchte Einstein zu ergründen, wie sich die Wirkung der Gravitation fortpflanzt. Während in Newtons Theorie die Gravitation augenblicklich wirkt, sollten sich Störungen der Raumzeit höchstens mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. In einer ersten Arbeit über Gravitationswellen von 1918 zeigte Einstein, dass sie sich mit Lichtgeschwindigkeit fortpflanzen. Ähnlich wie elektromagnetische Wellen würden sie Energie transportieren. Einstein gab auch näherungsweise an, wie durch Abstrahlung solcher Wellen einem System Energie entzogen wird.

Um so erstaunlicher, dass er 1936, als er schon am berühmten Institut in Princeton arbeitete, mit seinem Mitarbeiter Nathan Rosen eine Arbeit bei einer renommierten US-Fachzeitschrift einreichte, in der er behauptete, dass Gravitationswellen in der exakten Theorie nicht existieren. Als er die Arbeit vom Herausgeber mit einer Stellungnahme eines anonymen Gutachters, der auf Fehler hinwies, zurückbekam, zog er sie empört zurück.

Gravitationswellen werden durch bewegte Massen erzeugt, sind aber im Allgemeinen zu schwach, um bemerkt zu werden. Ausnahmen sind Signale, die von explodierenden Sternen ausgehen oder von kompakten Objekten, die einender schnell umkreisen, z. B. Neutronensterne oder Schwarze Löcher. Tatsächlich ist es bis heute nicht gelungen, Gravitationswellen direkt nachzuweisen, nur indirekt, durch die Rückwirkung auf das System, ganz im Sinn der Einstein'schen Arbeit von 1918.

Einsteins Irrtümer schmälern nicht die Leistungen des Genies, im Gegenteil, zeigen sie doch, dass es in der Wissenschaft notwendig ist „den Kopf hinauszustrecken“, wie Karl Popper schreibt. Um es mit dem spanischen Philosophen Miguel de Unamuno zu sagen: „Si un hombre nunca se contradice, es porque nunca dice nada.“ Wenn ein Mensch sich nie widerspricht, dann, weil er nie etwas sagt.

Prof. Peter Christian Aichelburg ist theoretischer Physiker an der Uni Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2015)

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